Den Abrieb im Blick und dem Verschleiß auf der Spur

Steinbeis-Team entwickelt Messverfahren zur tribologischen Charakterisierung von Reaktionsschichten

Welche physikalischen Wirkzusammenhänge bestehen bei tribologischen Kontakten und was wirkt sich wie auf Reibung und Verschleiß aus? Welche Verbesserungsmaßnahmen lassen sich daraus ableiten und wie können individuelle Problemstellungen, beispielsweise in der Werkstoffauswahl, damit gelöst werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Steinbeis-Transferzentrum Tribologie in Anwendung und Praxis an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe. Das Zentrum bietet Verschleißuntersuchungen, Schadensanalysen und Oberflächenvermessungen sowie Seminare zu diesen Themen an. Da das Analyseergebnis die Grundlage für die Ableitung der physikalischen Wirkkette, und diese wiederum die Grundlage für Verbesserungsmaßnahmen darstellt, liegt hier der Schwerpunkt des Steinbeis- Transferzentrums Tribologie. In einem aktuellen Projekt gab das Zentrum seinem Kunden eine Messmethode zur großflächigen zerstörungsfreien tribologischen Charakterisierung von tribochemischen Reaktionsschichten an die Hand.

Das Expertenteam am Zentrum untersuchte einen Wälzkontakt, der aus zwei zylindrischen Laufrollen aus Stahl mit einer Härte von 670 HV besteht. Die eine Rolle dient bei diesem kontraformen Kontakt als Antriebs-, die andere als Abtriebsrolle. Die Funktion besteht in der Übertragung eines Drehmomentes beziehungsweise einer Kraft. Da eine globale Relativbewegung der beiden Zylinderrollen aus Stahl zueinander („Schlupf“) unmittelbar zum Verschleiß führen würde, muss der Reibungskoeffizient über die gesamte Betriebszeit ausreichend groß sein. Eine weitere Anforderung an den Reibungskoeffizienten ist die Gleichmäßigkeit über die Länge der Zylinderrolle. Denn eine Ungleichmäßigkeit würde zu einem außermittigen Kraftangriffspunkt und somit zu einem Drehmoment um die Hochachse und damit zum Funktionsverlust führen. Die Gefügedichte der Reaktionsschicht stellt bei den Betrachtungen eine wichtige Kenngröße dar, da der Reibungskoeffizient in erster Näherung dieser umgekehrt proportional ist.

Der Verschleiß durch die tribologische Beanspruchung, die sogenannte Tribooxidation, lässt auf den Kontaktpartnern Reaktionsschichten entstehen, die sich aus verschiedenen Eisen-Oxiden und Eisen-Hydroxiden zusammensetzen. Sie sind lichtoptisch als Verfärbungen zu erkennen, vor allem in unterschiedlichen Brauntönen. Die Bildung der verschiedenen Oxide und Hydroxide hängt vom Sauerstoffangebot und der Temperatur ab. Die Schichten haben unterschiedliche physikalische Eigenschaften, wie beispielsweise die Härte (Gefügedichte), und diese Eigenschaften verursachen lokal unterschiedliche Reibungskoeffizienten. Die bisher eingesetzten Analysemöglichkeiten wie Mikrohärtemessung, FIB (focus ion beam)-Schnitt und SNMS (Sekundär-Neutralteilchen- Massenspektrometrie) sind nicht dazu geeignet die gesamte Laufrolle zerstörungsfrei hinsichtlich der tribologischen Wirkung der Reaktionsschichten zu charakterisieren, vor allem nicht mit vertretbarem Zeitaufwand und zu akzeptablen Kosten.

Zur Bestimmung eines Maßes für die Gefügedichte als wichtige Eigenschaft im Hinblick auf den Reibungskoeffizienten, setzten die Steinbeis- Experten die Photothermie als zerstörungsfreie Messmethode ein. Die Methode moduliert einen fasergekoppelten Diodenlaser und fokussiert ihn nach einer Aufweitung auf die Probenoberfläche. Zur Messung der Wärmestrahlemissionen (thermische Wellen) wird ein Infrarot-Detektor eingesetzt. Die Wellenausbreitung ins Materialinnere hängt von den thermischen Eigenschaften des Materials ab und wird durch die thermische Diffusivität beschrieben. Sie ist umgekehrt proportional dem Produkt aus Dichte und spezifischer Wärmekapazität, und dieses Produkt wiederum proportional zur Gefügedichte. Somit lassen sich Gefügedichteunterschiede aufgrund von Härteunterschieden, Versetzungen, Unreinheiten, Belastungen oder Beschichtungsfehlern durch diese indirekte Messmethode erfassen. Als Messgrößen dienen die Amplituden- und die Phasendifferenz zwischen Laser und den erfassten thermischen Wellen.

Prof. Dr.-Ing. Dietmar Schorr, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Tribologie in Anwendung und Praxis, und seinem Team ist es nun zum ersten Mal gelungen, tribochemische Reaktionsschichten großflächig und zerstörungsfrei, mit Hilfe der Photothermie, tribologisch zu charakterisieren. Hierzu wurden drei neue Wälzlagerrollen und drei Rollen mit einer bestimmten Betriebszeit photothermisch vermessen. Durch die Messung konnte das Team signifikante Unterschiede über die Länge der Laufrolle bei einer bestimmten integralen Eindringtiefe des Lasers zwischen den Neuteilen und den gelaufenen Teilen messtechnisch erfassen. Und darüber hinaus sind sogar die verschiedenen Reaktionsschichten, die sich lichtoptisch in verschiedenen Verfärbungen der Zylinderrollen widerspiegeln, messtechnisch quantifizierbar. Die Farbe dient jedoch nur als Indikator und liefert weder eine Information über die komplexe Zusammensetzung noch über die Dicke der Reaktionsschicht. Diese beträgt in der Regel 100-300 nm.

Die Steinbeis-Analyse gab somit dem Kunden eine Methode an die Hand, die es ermöglicht die Auswirkungen der Einflussparameter auf die Reaktionsschicht und somit auf den Reibungskoeffizienten durch eine quantifizierbare Messung zu untersuchen. Somit können Produktverbesserungen gezielt herausgefahren und Ausfallzahlen reduziert werden.

Seite teilen