Die Technische Universität Chemnitz mit ihrer Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung, das Steinbeis-Forschungszentrum Automation in Leichtbauprozessen sowie die Cetex gGmbH haben sich mit der Frage nach der großserientauglichen Herstellung von faserverstärkten thermoplastischen Strukturbauteilen auseinandergesetzt, um ein Fertigungsverfahren zu entwickeln, das sich durch eine gesteigerte Produktivität gegenüber etablierten Verfahren auszeichnet. Ziel ist es, die Herstellungskosten zu senken und damit neue Anwendungsfelder zu erschließen. Für die großserientaugliche Fertigung haben die Projektpartner eine Pilotanlage entwickelt.
Das Vorhaben wurde im Rahmen des Exzellenclusters MERGE an der Technischen Universität Chemnitz unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Lothar Kroll realisiert und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Für das neuartige Verarbeitungsverfahren erarbeitete das Projekt-Team eine Prozesskette, die die Kombination und Synchronisation zu kontinuierlich arbeitenden vor- und nachgelagerten Prozessen ermöglicht. Mit diesem Wickelverfahren können beispielsweise extrudierte Profile umwickelt und gezielt faserverstärkt werden. Dabei wird ein endlos erzeugter Strang (Wickelkern bzw. sog. Liner) durch Wickeleinheiten geführt und dabei mit dem faserverstärkten Material beschichtet. Darüber hinaus ist die Anlagentechnik so gestaltet, dass auch gezielt rotationsunsymmetrische Querschnitte wickelbar sind. Durch den Einsatz einer Andruck- bzw. Kompaktierungsrolle ist das flexible Abformen verschiedener Oberflächen möglich, sodass auch Hinterschnitte (konkave Abschnitte) mit Material beschichtet werden können.
Der Orbitalwickelprozess gleicht einem Kombinationsverfahren aus thermoplastischem Tapelegen und Wickeln und wird durch eine so genannte Wickeleinheit durchgeführt. Für das „Beschichten“ werden faserverstärkte thermoplastische Bänder – sogenannte Tapes – verwendet. Im Forschungsprojekt der drei Chemnitzer Partner sind die Verstärkungsfasern in diesen Tapes vollständig konsolidiert und mit einer Kunststoffmatrix umschlossen. Diese Tapes werden beim Verarbeitungsprozess durch den Endeffektor zur Formgebung aufgeschmolzen und die einzelnen Lagen durch Formadaption stoffschlüssig miteinander verbunden. Der Wickelkern kann ebenfalls – sofern dieser aus dem gleichen Kunststoff wie das Matrixmaterial besteht – stoffschlüssig in den Verbund eingebunden werden oder aber als Dauerform nach der Fertigung entnommen werden.
Die direkte Synchronisation zu kontinuierlich arbeitenden vorgelagerten Verfahren wird durch die orbitale Bewegung der einzelnen Wickeleinheiten ermöglicht, die während des Beschichtungs- bzw. Wickelprozesses um den kontinuierlich translatorisch bewegten endlosen Wickelkern rotieren. Die Pilotanlage, die die Leichtbau-Experten im Projekt entwickelten, ist in ihrem Aufbau modular strukturiert und kann durch die baugleiche Ausführung der einzelnen Wickeleinheiten flexibel erweitert werden. Durch das Rotieren der einzelnen Wickeleinheiten um den Wickelkern gleicht das vorliegende Verfahren einem invertierten Wickelverfahren. Die Kinematik eines Wickelmoduls besteht im Wesentlichen aus den Gruppen einer Mehrachskinematik und einem speziell entwickelten Endeffektor – dem Orbitallegekopf. Die interagierenden funktionellen Gruppen sind dabei: ein mechanisches Antriebskonzept, Tapebzw. Bandzuführung, Heizsystem, Mechanismus zum Konsolidieren der Einzellagen, Schneidsystem, Sensorsystem und Steuerung des Gesamtanlagensystems.
Für den ersten Schritt der Maschinenentwicklung und Inbetriebnahme wird zunächst zweckmäßigerweise ein Profil mit konstantem Querschnitt bewickelt. Während des Betriebs wird das Abtriebsglied – hier die Konsolidierrolle – mit konstanter Geschwindigkeit (bis zu 200 mm/s) entlang der definierten Führungsbahn um den Wickelkern bewegt. Die abzufahrende Kurve muss dabei kinematischen Kriterien genügen und die Bewegungsfunktionen höherer Ordnung müssen stetig definiert sein. Der an jeder Wickeleinheit befindliche Endeffektor (Orbitallegekopf) beinhaltet alle prozesstechnischen Vorrichtungen für die Verarbeitung des thermoplastischen Halbzeugs. Die erforderliche Anpresskraft zum Tapelegen wird hier durch den gesonderten Mechanismus des Konsolidiermoduls erzeugt. Diese wird stets normal zur lokalen Oberfläche aufgebracht, welches durch eine Schwenkbewegung des Konsolidiermoduls erzielt wird. Derzeit befindet sich die Anlage in der Inbetriebnahme. Ein Ergebnistransfer für weitere Anwendungen ist in Vorbereitung.
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Nendel und Mirko Spieler leiten das Steinbeis- Forschungszentrum Automation in Leichtbauprozessen (ALP). Das Dienstleistungsangebot des Steinbeis-Unternehmens umfasst Automatisierungskonzepte zu Leichtbauprozessen, Projektkoordination von Forschungsprojekten, Auftragsentwicklung im Bereich Handhabetechnik und Sondermaschinen sowie Prototyplösungen für Automatisierungskonzepte.
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Nendel, Mirko Spieler
Steinbeis-Forschungszentrum Automation in Leichtbauprozessen (ALP) (Chemnitz)
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