Die neue Klasse der Arbeitnehmer, die gesellschaftlich die Klasse der industriellen Arbeiter ablöst, ist laut dem US-amerikanischen Ökonom Peter Drucker die Klasse der Wissensarbeiter („Knowledge Worker“). Die neue Art der Arbeit erfordert höhere Qualifikationen als die Arbeitsplätze der industriellen Arbeiter, sowie die Bereitschaft, immerzu Neues zu lernen und sich kontinuierlich weiterzubilden. Wissensarbeiter zeichnen sich durch Spezialisierung aus und arbeiten als Teil einer Organisation, in der sie ihr Spezialwissen einbringen können. Zu diesen Ergebnissen kommt Latifa Yakhloufi-Konstroffer, die sich in ihrer Forschungsarbeit im Rahmen ihrer Promotion an der Steinbeis-Hochschule Berlin mit der Frage beschäftigt, welchen Einfluss das Führungsverhalten auf die Bereitschaft der Externalisierung von Wissen hat.
Nur durch die Zusammenarbeit mit einer Organisation kann das Spezialwissen sinnvoll eingesetzt zu Leistung führen. Wissensarbeiter werden folglich Mitarbeiter sein, die einen Vorgesetzten haben und geführt werden, und Vorgesetzte, die Mitarbeiter führen, und teilweise beides zugleich.
Wenn nun ein routinierter Wissensarbeiter eine neue Aufgabe annimmt oder in den Ruhestand wechselt, steht der Nachfolger zunächst vor Herausforderungen, bis auch er die Aufgabe routiniert erledigen kann. Die Dauer der Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters hängt hierbei nicht zuletzt davon ab, inwieweit seine Kollegen dazu bereit sind, Erfahrungswissen mit dem neuen Kollegen zu teilen. Ein Ziel des Wissensmanagements ist es, solche Prozesse durch systematisches Vorgehen zu standardisieren. Ein konzeptionelles Fundament für die Übergänge des Wissens haben die japanischen Wissenschaftler Nonaka und Takeuchi aufgestellt. Sie unterscheiden implizites und explizites Wissen. Implizites Wissen ist Wissen, das nicht schriftlich fixiert wurde. Implizites Wissen kann angesehen werden als das Wissen, das im Michael Polanyi zugeschriebenen Zitat „Wir wissen mehr, als wir zu sagen vermögen“ beschrieben wird.
Nonaka und Takeuchi stellen nun in einem Raster die Übergänge von implizitem Wissen zu implizitem Wissen, implizitem zu explizitem Wissen, explizitem zu explizitem sowie explizitem zu implizitem Wissen dar und bezeichnen die entsprechenden Wissensübergänge mit den Begriffen „Sozialisation“ (implizit zu implizit), „Externalisierung“ (implizit zu explizit), „Kombination“ (explizit zu explizit) und „Internalisierung“ (explizit zu implizit). Die jeweiligen Übergänge in der Abfolge bezeichnen zugleich auch eine Möglichkeit, wie neues Wissen in einer Organisation entstehen kann. Die Sozialisation lässt sich veranschaulichen durch die Einarbeitung eines neuen Kollegen durch persönliche Betreuung und Vormachen, was zu tun ist. Ein Externalisierungsprozess findet beispielsweise statt, wenn ein neuer Mitarbeiter über die in der Sozialisation gelernten Arbeitsweisen nachdenkt und sich hierzu Notizen anfertigt. Von Kombination spricht man, wenn aus der Verknüpfung von verschiedenem, bereits expliziertem Wissen, neues Wissen entsteht. Im Stadium der Internalisierung wird die Anwendung von Wissen nicht mehr bewusst wahrgenommen. Dies ist ein Stadium, das im vierstufigen Kompetenzmodell der Psychologie als „unconscious competence“ bezeichnet wird. Ein Individuum hat so viel Praxis mit einer Fertigkeit, dass es diese nunmehr ohne darüber nachzudenken durchführen kann.
Latifa Yakhloufi-Konstroffer hat die Frage erforscht, welches Führungsverhalten positiv zur Externalisierung von Wissen im SECI-Modell (Sozialisation/Externalisierung/ Combination/Internalisierung) von Nonaka und Takeuchi beiträgt und welche Art von Führungsverhalten eine Organisation fördern sollte, die an dieser Art des Wissensaustauschs der Mitarbeiter interessiert ist. In diesem Zusammenhang interessiert auch, welche Maßnahmen eine Organisation darüber hinaus ergreifen sollte, um die Externalisierung von Wissen zu unterstützen.
Der Einfluss des Führungsverhaltens auf das Wissensmanagement ist zur Zeit noch wenig erforscht, es existieren wenige Untersuchungen zu diesem Thema und ein Zusammenhang zwischen der Externalisierung von Wissen und dem Führungsverhalten konnte bisher empirisch nicht nachgewiesen werden. Latifa Yakhloufi-Konstroffer hatte mit ihrer Arbeit das Ziel, eine Gestaltungsempfehlung für das Führungsverhalten zur Verbesserung der Externalisierung von Wissen im Sinne des Modells von Nonaka und Takeuchi abzugeben und unausgeschöpfte Möglichkeiten in Bezug auf die Externalisierung von Wissen zu identifizieren.
Als Ergebnis einer empirischen Untersuchung stellte die Forscherin fest, dass Organisationen, die daran interessiert sind, dass Mitarbeiter Wissen externalisieren, ihre Führungskräfte in einem Führungsverhalten schulen sollten, das Intelligenz, Rationalität und umsichtige Problemlösung der Mitarbeiter fördert („Intellectual Stimulation“), sowie hohe Erwartungen kommuniziert, Symbole verwendet um Anstrengungen zu fokussieren und wichtige Zielsetzungen auf einfache Weise artikuliert („Inspirational Motivation“). Dieses Führungsverhalten wird laut den Forschern Bass und Avolio der Transformativen Führung zugeordnet. Konkrete Verhaltensweisen der Führungskraft, die Intelligenz, Rationalität und umsichtige Problemlösung der Mitarbeiter fördert, sind hierbei stets aufs Neue dahingehend zu überprüfen, ob zentrale Annahmen noch angemessen sind.
Die Führungskraft hinterfragt folglich die in der Organisation als gegeben gesehenen Annahmen und regt hierdurch bereits einen Denkprozess bei den Mitarbeitern an. Die Führungskraft sucht bei der Lösung von Problemen nach unterschiedlichen Perspektiven. Nicht zuletzt durch dieses Verhalten bringt die Führungskraft ihre Mitarbeiter dazu, Probleme ebenfalls aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Als Folge des Hinterfragens der als gegeben gesehenen Annahmen und der Betrachtung von Problemen aus verschiedenen Blickwinkeln ist die Führungskraft in der Lage, neue Wege vorzuschlagen, wie Aufgaben und Aufträge bearbeitet werden können. Alles zusammen führt zu einer größeren Bereitschaft der Mitarbeiter, Wissen zu externalisieren. Es gibt konkrete Verhaltensweisen der Führungskraft, die hohe Erwartungen kommuniziert, Symbole verwendet, um Anstrengungen zu fokussieren und wichtige Zielsetzungen auf einfache Weise artikuliert. Diese sind, dass die Führungskraft sich optimistisch über die Zukunft äußert, mit Begeisterung über das, was erreicht werden soll, spricht, eine überzeugende Zukunftsvision formuliert, sowie großes Vertrauen hat, dass die gesteckten Ziele erreicht werden. Organisationen, die daran interessiert sind, dass Mitarbeiter Wissen externalisieren, sollten weiterhin die Führungskräfte in einem Führungsverhalten schulen, das von den Mitarbeitern verlangt, dass Pläne zur Erreichung der Arbeitsziele ausgearbeitet und anschließend besprochen werden, sowie Diskussionen mit Mitarbeitern über die Verantwortungen der Stelle und wichtige Verantwortungsbereiche der Stelle anregt. Dieses Führungsverhalten wird laut den US-amerikanischen Unternehmern und Wissenschaftlern Hersey und Blanchard dem direktiven Führungsverhalten zugeordnet. Diese Elemente des direktiven Führungsverhaltens sind in den Stilen „Directing“ und „Coaching“ enthalten.
Zur weiteren Unterstützung der Externalisierung von Wissen über das Führungsverhalten hinaus, sollten Organisationen, die daran interessiert sind, dass Mitarbeiter Wissen externalisieren, die Informationstechnologie auf dem aktuellen Stand halten. Das erleichtert den Mitarbeitern die Externalisierung des Wissens, da Informationstechnologie, inklusive Intranet und Wikis, die Veröffentlichung von und den Zugriff auf externalisiertes Wissen erleichtern, neues Wissen leicht verfügbar gemacht werden kann und somit für die Organisation nutzbar wird. Ein weiterer Faktor, der bei einer Bereitschaft der Mitarbeiter zur Externalisierung von Wissen anzutreffen ist, war in der empirischen Untersuchung die Kollegialität. Organisationen, die daran interessiert sind, dass Mitarbeiter Wissen externalisieren, sollten die Kollegialität der Mitarbeiter fördern und anstreben, dass Mitarbeiter sich gegenseitig Anerkennung für ihre Arbeit geben, Erfahrungen und Erkenntnisse austauschen und sich gegenseitig unterstützen, um ihre Aufgaben besser zu bewältigen. Die Anreizsysteme in Organisationen, die daran interessiert sind, dass Mitarbeiter Wissen externalisieren, sollten daraufhin überprüft werden, ob sie die genannten Verhaltensweisen der Mitarbeiter fördern.
Latifa Yakhloufi-Konstroffer
Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB, Berlin/Stuttgart)
Latifa.Yakhloufi-Konstroffer@shb.stw.de