Auswirkungen neuer Technologien auf Gesundheit und Medizin

Aus der Sicht einer Krankenkasse

Katrin Tomaschko | e-Health-Expertin der AOK Baden-Württemberg

„Digitalisierung sollte nicht um ihrer selbst willen zum Einsatz kommen, sondern dann, wenn ein wirkliches Potenzial zur Verbesserung der Versorgung gegeben ist. Großes Potenzial sehen wir in Anwendungen, die den Arzt bei seiner Arbeit unterstützen – und ihn nicht ersetzen. Künstliche Intelligenz kann beispielsweise helfen, Behandlungspfade an den aktuellen Stand der Wissenschaft und die individuelle Symptomatik des Patienten anzupassen. Darüber hinaus gibt es Indikationsgebiete, wie beispielsweise die Dermatologie oder die Augenheilkunde, in denen Künstliche Intelligenz den Arzt bei der Diagnosefindung unterstützen kann.“

Aus der Sicht einer Krankenhaus-Leitung

Jonas Sewing | Geschäftsführer des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer

„Der Krankenhausbetrieb der Zukunft wird sich erheblich von dem in 2020 unterscheiden. Neue Technologien halten Einzug und beginnen, das Krankenhaus nachhaltig zu verändern. Beginnend bei der Automatisierung von bisher analogen Prozessen bis hin zu „echter Digitalisierung“ und KI-Einsatz erleben wir derzeit zahlreiche Innovationen. Das Krankenhaus wird zunehmend vernetzt, intern wie extern. Ein gutes Beispiel dafür sind die Übertragung von EKG-Daten aus dem Rettungswagen in die Notaufnahmen, die digitalen Plattformen im Entlassmanagement oder beispielsweise Vernetzungen mit Laboranbietern. Besonders sichtbar wird der Einzug der Robotik sein. Ob ein autonomer Pflegewagen oder ein humanoider Roboter: Die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen erhalten neue Instrumente zur Bewältigung des Alltags. Dabei ist es wichtig, Patienten und Mitarbeiter mitzunehmen. Hier kann beispielsweise eine gut durchdachte Digitalisierungsstrategie helfen, Herausforderungen zu identifizieren und zu handeln. Eins dürfen wir nicht vergessen: Digitalisierung ist kein Selbstzweck; vielmehr wollen wir durch die Nutzung digitaler Technologien, Daten und Lösungen unsere Prozesse und Strukturen effizienter gestalten und einen Mehrwert für die Menschen schaffen, für die wir da sind.“

Aus Sicht des Diakonischen Werks Württemberg

Dr. Christiane Kohler-Weiß | Abteilungsleiterin Theologie und Bildung, Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e.V

„Die Digitalisierung bietet vielfältige Chancen für die soziale Arbeit: Digitale Technologien können Pflegebedürftige in ihrer Selbstbestimmung stärken, die Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen befördern, Pflegekräfte und pflegende Angehörige entlasten und Arbeitsprozesse effektiver gestalten. Vieles ist erst in der Erprobungsphase, schon heute sind in der Pflege durch „Mobile Datenerfassung“ bei ambulanten Pflegediensten deutliche Erleichterungen spürbar. Außerdem engagiert sich das Diakonische Werk Württemberg für die Plattform für soziale Dienstleistungen „mitunsleben“, ein gut zugängliches Beratungs-, Vermittlungs- und Informationsangebot für ältere Menschen und pflegende Angehörige. Es gehört zu unserer strategischen Ausrichtung, die Digitalisierung der Gesellschaft zum Wohl und Nutzen der Menschen mitzugestalten. Dabei erfordert die verletzliche Lebenssituation der Menschen, für die sich die Diakonie einsetzt, besondere Anstrengungen auf den Gebieten der Datensicherheit, der informationellen Selbstbestimmung und der Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit neuen Technologien. Das Herz der sozialen Arbeit der Diakonie wird auch in Zukunft die Begegnung von Mensch zu Mensch sein. Die Verantwortung für die Qualität sozialer Arbeit können nur Fachkräfte tragen. Digitalisierung muss Freiräume für menschliche Zuwendung schaffen. Rationalisierungsaspekte sind legitim, aber Entscheidungen über den Einsatz digitaler Technik müssen sich an den Bedürfnissen der Menschen mit Unterstützungsbedarf ausrichten.“

Aus Sicht des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg

Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg

„Baden-Württemberg ist eine der führenden Wirtschaftsregionen in Deutschland und Europa. Neben den Leitbranchen Maschinenbau und Automobilindustrie gewinnen zunehmend die Gesundheitsindustrie und die Gesundheitsdienstleistungen an Bedeutung und entwickeln sich zu einem entscheidenden Wachstumstreiber und Jobmotor. Die Gesundheitswirtschaft hat das Potenzial, zusammen mit den Stärken des Landes im Gesundheitstourismus zu einer Leitökonomie des 21. Jahrhunderts zu werden.

Über eine Million Beschäftigte – also jeder sechste Erwerbstätige – erwirtschaften in Baden-Württemberg rund 54 Milliarden Euro im Jahr. Damit steht die Gesundheitswirtschaft für rund 12 Prozent der Bruttowertschöpfung und 17 Prozent der Beschäftigten des Landes. Das heißt: nahezu jeder sechste Erwerbstätige in Baden-Württemberg arbeitet in der Gesundheitswirtschaft. Baden-Württemberg ist dabei mehrfacher Champion:

  • Der Südwesten ist bedeutendster Standort der industriellen Gesundheitswirtschaft mit den Bereichen Pharma, Medizintechnik und Biotechnologie in Deutschland
  • Die Gesundheitswirtschaft ist zu einem Drittel industriell geprägt. Das ist der größte Anteil in einem Bundesland überhaupt
  • Mit 38 Milliarden Euro Exportbeiträgen und einem Anteil der Exporte der Gesundheitswirtschaft von rund 14 Prozent an der regionalen Gesamtwirtschaft ist Baden-Württemberg auch hier Spitzenreiter unter den Bundesländern

Neben weltbekannten Großunternehmen basiert die Wirtschaftskraft Baden-Württembergs in diesem Bereich insbesondere auf einem sehr hohen Anteil mittelständischer Betriebe. Die Haupttriebfedern für Innovationen in der Gesundheitswirtschaft sind Digitalisierung, Miniaturisierung, Biologisierung und Automatisierung, die in ihrer Gesamtheit insbesondere die personalisierte Medizin mit einem beträchtlichen Patientennutzen und einem hohen Wirtschaftspotenzial voranbringen.“

Aus ethischer Sicht

Prof. Dr. Dr. Sabine Meck | Leiterin des Steinbeis-Transfer-Instituts für Persönlichkeitsforschung und Ethik

„Die digitale Revolution stellt insbesondere das Gesundheitswesen mit allen Beteiligten vor große ethische Herausforderungen. Denn längst bestimmen die globalen Märkte mit gigantischen Playern, die technischen Wissenschaften und andere medizinferne Akteure zu großen Teilen den Umgang mit demjenigen, um den es letztlich geht: den Patienten. Eine der großen Aufgaben der Ethik dürfte deshalb sein, die Würde und das Wohlergehen des Menschen ebenso im Blick zu behalten wie die Bedeutung des Vertrauens, das grundlegend ist für die Gesundheit, das heißt für das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden des Einzelnen. Formalisierter Datenschutz ist zum Beispiel kein Ersatz für das auf verinnerlichten Werten beruhende Vertrauen darin, dass achtsam und respektvoll mit den Daten der Menschen umgegangen wird. Ethik muss deshalb auch dafür sorgen, dass der ‚smarte‘ Patient nicht überfordert wird im Dschungel der Möglichkeiten, Entscheidungen und mehrheitlich anonymen Mitbestimmenden. Das wird umso wichtiger, je mehr es um kranke Menschen geht, deren Kräfte begrenzt sind. Die digitale Revolution schafft zudem Werte und Erwartungen hinsichtlich der Perfektionierung des menschlichen Körpers und Lebens. Ethik hat dabei die Aufgabe, dass die gigantischen Möglichkeiten, die sich auftun, sich nicht zu einem ‚Turmbau zu Babel‘ auswachsen, sondern mit Bescheidenheit und Achtsamkeit umgesetzt werden. Nicht alles, was man kann, ist aus ethischer Sicht auch sinnvoll. Ethik verhilft also dazu, Entgrenzungen zu verhindern. Ethik muss deshalb verstärkt in allen Ausbildungsgängen des Gesundheitswesens vertreten sein. Coachings und andere ethische Begleitungen nahe an den Menschen müssen sogar in den Vordergrund des Alltags im Gesundheitswesen treten.“

Aus Sicht der Evangelischen Akademie Bad Boll

Interview mit Prof. Dr. Jörg Hübner | Geschäftsführender Direktor Evangelische Akademie Bad Boll und Dr. Dietmar Merz | Studienleiter für Medizinethik und Gesundheitspolitik

Ist Künstliche Intelligenz Fluch oder Segen für die Menschheit?

Hübner: Ob KI zum Fluch oder zum Segen werden kann, hängt davon ab, was wir aus dieser Technik machen, wie wir sie gestalten und prägen! Die gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit dieser Technik sowie die individuelle Verantwortung bleibt uns erhalten.

Was darf Künstliche Intelligenz und wo sollten ihr aus ethischen bzw. christlichen Gesichtspunkten Grenzen gesetzt werden?

Merz: Es wäre sicherlich falsch, jeden Fortschritt im Bereich des Digitalen kategorisch abzulehnen. Für genauso falsch halte ich es aber, ungeprüft und unkritisch jeden Modernisierungsschritt einfach mitzugehen. Für mich ist entscheidend danach zu fragen, was dem Leben und den Menschen wirklich dient. Wir brauchen beispielsweise digital weiterentwickelte Medizinbereiche, aber keine gläsernen Patienten. Wir können mithilfe von teilautonomem Fahren Mobilität im Alter bewahren, aber wir sollten dabei anderen nicht Zugriff auf unser Bewegungsprofil geben. Letztendlich geht es um das Menschenbild in der digitalen Welt: Um den Erhalt von Würde, Freiheit und Selbstbestimmung.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Umgang mit der KI?

Hübner: Insbesondere mehr öffentliche Diskurse, die Präsenz auch der kirchlichen Stimme in den Entscheidungsgremien, weniger angstbesetztes Gerede, sondern mehr bewusste, zukunftszugewandte Gestaltung dieser Technik.

Merz: Wir sollten KI-Prinzipien entwickeln, anhand derer wir über Wohltun und Schaden entscheiden können. Gerechtigkeit (Zugang für alle) und Respekt vor der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen könnten Teil dieses Prinzipienkatalogs sein. Ebenso die Erkenntnis, dass es eine unüberwindbare Lücke zwischen Daten und Wirklichkeit gibt. Beim Thema KI macht mir aber vor allem die Datenmacht der führenden Konzerne zu schaffen. Es darf nicht sein, dass einige wenige subtil und unkontrolliert die Geschicke aller lenken. Da braucht es klare Regeln. 

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