Kapazitätsplanung und -steuerung in Kreditgenossenschaften

Forschung an der Steinbeis-Hochschule Berlin

Die Kundenbindung und -durchdringung sowie die Kundengewinnung sind wesentliche Erfolgsfaktoren für ein ökonomisch nachhaltiges Kundengeschäft von regional tätigen Sparkassen und Kreditgenossenschaften. Triebkräfte sind hohe Service- und Beratungsqualität, Kontinuität in der Geschäftsverbindung und bedarfsabhängige Verfügbarkeit. Um dies zu gewährleisten, setzen vor allem Sparkassen und Kreditgenossenschaften im Front- und Back-Office überdurchschnittlich qualifizierte Mitarbeiter ein und halten zum Teil bewusst personelle Überkapazitäten. Die planvolle Verteilung der kostenintensiven Personalkapazitäten auf die Kundennachfrage ist Kernaufgabe des Managements, um ungewollte Wartezeiten beim Kunden und Leerkosten in der Bereitstellung des Personalangebots zu vermeiden. Michael Steinmüller beschäftigt sich im Rahmen seines Promotionsprojekts an der Steinbeis-Hochschule Berlin mit der Kapazitätsplanung und -steuerung auf Basis von Vorgangsdaten einer Kreditgenossenschaft.

In einer Felduntersuchung identifizierte Michael Steinmüller Bestimmungsfaktoren der externen und internen Kundennachfrage auf Basis von Vorgangshäufigkeiten. Daraus leitete er Erkenntnisse zur turnusmäßigen Gestaltung des Personalangebots und zur aktiven Steuerung der Kundennachfrage ab.

Der Bruttoertrag von regional tätigen Sparkassen und Kreditgenossenschaften wird zu einem großen Teil durch den Zinsüberschuss bestimmt. Dieser setzt sich zusammen aus dem Fristentransformations- und Konditionenbeitrag. Durch die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich flachere Zinsstruktur sind die Möglichkeiten zur Gewinnung von Transformationsbeiträgen (kurzfristige Geldaufnahme und langfristige Geldanlage bei normaler Zinsstruktur) zunehmend begrenzt. Der Konditionenbeitrag, der den Erfolg eines Kundengeschäftes im Vergleich zu einem Interbankengeschäft misst, wird zunehmend durch die erhöhte Preistransparenz für Bankprodukte sowie die abnehmende Kundenloyalität belastet. Bankprodukte wie die klassische Baufinanzierung sind zu „Commodities“ geworden und rentieren oftmals nur noch bei Abschluss entsprechender Cross-Selling-Produkte.

Zur Sicherung des ökonomischen Erfolges haben Sparkassen und Kreditgenossenschaften in den letzten Jahren den Fokus vor allem auf die Reduzierung der vom Kunden nicht unmittelbar wahrgenommenen Sachressourcen gelegt. Nun setzen die Banken verstärkt auf die Optimierung von Geschäftsprozessen und des damit verbundenen Personaleinsatzes. Durch die in den letzten Jahren verschärften aufsichtsrechtlichen Vorschriften sowie die von einer regional tätigen Bank vom Kunden erwartete Individualität in der Leistungserstellung sind die Optimierungspotenziale in Geschäftsprozessen ernüchternd gering. Zudem bringt die reine Optimierung von Beratungs- und Bearbeitungszeiten häufig nicht den gewünschten Personalentlastungseffekt, da aufgrund des saisonalen Auftretens vieler Geschäftsprozesse Mitarbeiterkapazitäten nicht nach dem „Gießkannenprinzip“ ab- oder aufgebaut werden können. Vielmehr muss die zeitliche Verteilung der Mitarbeiterkapazitäten optimiert werden. Durch die Klärung der zeitlichen und kausalen Einflussfaktoren auf Vorgangshäufigkeiten ergeben sich entscheidende Handlungsempfehlungen.

Michael Steinmüllers empirische Felduntersuchung befasste sich mit drei Forschungsfragen: Welche Vorgänge sind zur Erklärung der periodischen Personalkapazitätsschwankungen und somit für die strategische Kapazitätsplanung und -steuerung relevant? Mit welchen zeitlichen und kausalen Einflussfaktoren können die periodischen Muster in Vorgangshäufigkeiten auf Tages- und Monatsbasis erklärt werden? Welche Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich zur Bewältigung von Nachfragespitzen und Vermeidung von Leerkapazitäten in Banken? Zur Beantwortung der Fragen wurden in einem Vorprojekt zur Promotion 288 Geschäftsprozesse einer regional tätigen Kreditgenossenschaft in Vorgänge des Bankverfahrens agree® überführt. Für den Zeitraum von zwei Jahren wurde eine Prozessdatenbank mit Prozesshäufigkeiten und Bearbeitungszeiten aufgebaut.

Bereits im Vorprojekt „Geschäftsprozessmodellierung“ und der anschließenden Stabilisierung der Bearbeitungszeiten in den Vorgängen konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Beispielhaft kann das an einer Baufinanzierungsneuanfrage dargestellt werden: Die in einem Vorgang gebundenen Personalkapazitäten sind abhängig von den vorgesehenen Genehmigungshierarchien. Durch die Trennung von Kreditberatung und Sachbearbeitung wurde in den letzten Jahren sehr viel Entscheidungsverantwortung an die Sachbearbeitung delegiert. Dies führt dazu, dass Kundenberater oftmals kein eigenständiges Risikoempfinden mehr entwickeln und die Verantwortung an die Sachbearbeitung delegieren. Dadurch steigen Durchlauf- und Bearbeitungszeiten. Die Rückdelegation von Entscheidungsverantwortung in den Vertrieb im nicht risikorelevanten Geschäft bringt somit entscheidende Vorteile in der Durchlaufzeit für den Kunden und für den notwendigen Personalbedarf. Die in der Sachbearbeitung erforderliche Personalkapazität ist stark abhängig von der vom Vertrieb übermittelten Antragsqualität. Durch strikte Definition und Überwachung von internen Service Levels können viele Prozessschleifen vermieden werden.

Nach Abschluss des Vorprojektes wählte Michael Steinmüller die für die kurz- und mittelfristige Kapazitätsplanung und -steuerung analyserelevanten Vorgänge mittels Clusteranalyse aus. Wesentliche Erkenntnis ist, dass nicht alle Vorgänge periodischen Schwankungen unterliegen oder nur geringe Ressourcenbedarfe binden. Die Verteilung des verfügbaren Personalangebots muss also so erfolgen, dass flexible Personalressourcen vor allem für periodisch schwankende Vorgänge eingesetzt werden. Binden Vorgänge nur in geringem Umfang Personalkapazitäten und kommen diese Vorgänge aber sehr häufig vor, muss die Qualifikation des Personals so erfolgen, dass es flexibel umgeschichtet werden kann. In der anschließenden univariaten Zeitreihenanalyse auf Tages- und Monatsbasis konnte Michael Steinmüller signifikante Korrelationen zu Vorgangshäufigkeiten der Vergangenheit feststellen. Dies führt dazu, dass die historischen Vorgangshäufigkeiten durch klassische Zeitreihenmodelle nachgebildet werden können und für die Zukunft gute Prognosewerte liefern. Auf Monatsbasis überzeugen vor allem exponentielle Glättungsmodelle, während auf Tagesbasis in erster Linie vor allem ARIMA-Modelle einen guten Fit liefern. Insgesamt steigt die Güte der Zeitreihenmodelle mit zunehmender Datenverfügbarkeit. Daraus ergibt sich die Empfehlung für Banken, Prozessdaten über längere Zeiträume zu speichern. Die anschließende Kausalanalyse lieferte wichtige Impulse zur Steuerung der Kundennachfrage. Die Häufigkeit von Vorgängen für Finanzierungsanfragen ist zum Beispiel signifikant quartalsabhängig und wird wesentlich bestimmt durch die Entwicklung des Finanzierungszinssatzes und des Bruttoinlandsproduktes.

Die im Vorprojekt zum Promotionsvorhaben geleistete konzeptionelle Vorarbeit der Geschäftsprozessmodellierung kann von anderen Kreditgenossenschaften unmittelbar adaptiert werden, da die Vorgänge technisch austauschbar sind. Die Prozessdatenbank steht jeder Bank zur Verfügung. Das im Promotionsprojekt gewonnene Modell der Kapazitätsplanung und -steuerung bietet großes Potenzial zur Übertragung auf andere Dienstleistungsunternehmen. Vergleicht man den Prozess einer Baufinanzierungsanfrage mit dem Prozess einer Leasinganfrage in einem Autohaus, so besitzen beide Prozesse einen Front-Office- sowie Back-Office-Teilprozess. Durch die Speicherung der Prozessdaten einer Leasinganfrage wird der Automobilkonzern in die Lage versetzt, die Personalkapazitäten nach gleichem Vorgehen zu planen. Lassen sich die bei der untersuchten Bank geweckten Begehrlichkeiten nach empirischen Prozessdaten auf andere Institute übertragen, so entstehen zukünftig weitere interessante Forschungsergebnisse in einer speziellen Produktionsplanungs und -steuerungstheorie für Banken.

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Michael Steinmüller
Steinbeis-Hochschule Berlin 

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