Digitale Werkzeuge für die Vorproduktionsplanung

SHB-Promovenden entwickeln Digitale Fabrik-Standardmethoden

Aufgabenparallelisierung und Frontloading in der Vorproduktionsplanung, als auch eine schlanke Produktion bei einem Null-Fehler-Prinzip in der Serienproduktion sind Treiber moderner Technologieunternehmen. Veränderte Rahmenbindungen stellen auch die Produktionsplanung vor neue Herausforderungen. Ziele wie die Sicherstellung einer hohen Produktivität der Montagelinie ab Produktionsstart, geringe Herstellkosten der Produkte sowie eine frühzeitig hohe Produktqualität lassen sich aber aufgrund der hohen Variantenvielfalt und der sehr kurzen Entwicklungs- und Planungszeiten mit gängigen Planungsmethoden nur noch schwer termingerecht erreichen. Die Digitale Fabrik stellt ein Hilfsmittel um die gestiegenen Anforderungen an die Produktionsplanung in Zukunft bewältigen zu können. Zusammen mit der Daimler AG entwickelte das Steinbeis-Transfer-Institut Production & Engineering der Steinbeis-Hochschule Berlin eine Methode zur Gestaltung eines effizienten Planungsprozesses mit digitalen Planungswerkzeugen, sowie zur nachhaltigen Sicherung der erfolgreichen Anwendung der Digitalen Fabrik mittels einer Implementierungsmethode.

Tobias Riegmann und Mathias Engel, Promovenden am Steinbeis-Transfer-Institut, stellten sich zwei Fragen: In welcher Form kann die Digitale Fabrik in der Produktionsplanung eingesetzt werden, um einen effizienten Planungsprozess standardisiert zu ermöglichen? Und wie kann anschließend eine nachhaltige Implementierung der Digitalen Fabrik sichergestellt werden?

Die Wissenschaftler entwickelten bei der Daimler AG einen auf drei Säulen gestützten Planungsprozess. Die drei tragenden Elemente Modell, Methode und System stellen unter Einsatz von Werkzeugen der Digitalen Fabrik den Rahmen einer standardisierten durchgängigen Planungsmethode, auch DiFOR (Digital Factory Operating Reference) genannt, dar.

Das dem DiFOR zugrunde liegende Referenzmodell bildet in Form einer Prozesslandkarte zunächst die Abläufe und Strukturen der Produktionsplanungskernprozesse ab, die von den Anwendern mithilfe von digitalen Werkzeugen interdisziplinär abgearbeitet werden. Mittels einer einheitlichen unternehmensweit standardisierten Datenbasis ist die Synchronisation kooperierender Planungsbereiche gegeben, wodurch weitere Synergieeffekte genutzt werden können.

Dem zur Seite steht eine integrierte Planungsmethode, die eine unternehmensspezifische Anpassung der DiFOR-Prozesslandkarte aufgrund eines Kriterienkatalogs erlaubt. So stellt die Methode eine Art Rezept zur Handhabung und Unternehmensadaptierung des Referenzmodells dar.

Die systemseitige Bereitstellung der für das spezifische Projekt adaptierten und instanziierten DiFOR-Prozesslandkarte erfolgt auf einem auf Microsoft Sharepoint basierenden Webfrontend. Der personenbezogene Login in dieser web2.0-firmeninternen Anwendung regelt dabei die Sicht und die Bereitstellung benötigter projektbezogener Daten. Die individuell skalierbare Granularität der Prozesssicht, wie auch die gezielte Bereitstellung modular aufgebauter Prozessschulungsunterlagen und fachlich gesteuerter Rücksprachemöglichkeiten steigern dabei die gegenseitige Wertschöpfungspartnerschaft unter den Anwendern. Bei der Ermittlung des DiFOR wie auch der Barrieren bei der Implementierung der Digitalen Fabrik für die Implementierungsmethode iDIFA wurden Experteninterviews unter Anwendern europäischer Automobilbauer als auch Systemlieferanten und Beratungsunternehmen durchgeführt.

Bei der Gestaltung von iDIFA wurden die mittels Experteninterviews erhobenen Barrieren, die bei einer Digitalen Fabrik-Implementierung in den verteilten Produktionsplanungsbereichen eines Unternehmens auftraten, zuerst vier grundlegenden Einflussbereichen (Sichten) zugeordnet: Mensch, Organisation, Prozess und Technologie. Innerhalb der Sichten erfolgte eine weitere Clusterung der Barrieren in Gestaltungsfelder. Die Bündelung der verschiedenen Elemente (vier Sichten, 51 Barrieren, 13 Gestaltungsfelder sowie 33 Werkzeuge) und ihre Wechselwirkung wurden abschließend in Form des „Wirknetz der Digitalen Fabrik-Implementierung“ beschrieben. Auf Basis der Gestaltungsfelder erfolgte die Entwicklung von insgesamt 33 verschiedenen Werkzeugen, um auftretende Barrieren bei der Implementierung der Digitalen Fabrik in einem verteilten Produktionsplanungsnetzwerk wirkungsvoll begegnen zu können.

Bei der Wahl der Implementierungsstrategie wurde ein evolutionärer Ansatz gewählt, der stufenweise prozessorientiert vorgeht, die Anwender frühzeitig teilinvolviert und einen kontinuierlichen Verbesserungs- und Lernprozess während der Implementierung erlaubt. Die entwickelten 33 Werkzeuge kommen dabei flexibel in den verschiedenen Stufen zum Einsatz.

Bei der Gestaltung des Implementierungsablaufs wurde im Sinne des evolutionären Ansatzes anschließend eine auf vier Stufen basierende Vorgehensweise entwickelt. In einem ersten Schritt werden Pilotprojekte gestartet, die eine schnelle Verfügbarkeit der Digitalen Fabrik-Methoden garantieren und schnell Benefits aufzeigen. Die Digitale Planungsprozesslandkarte ist an dieser Stelle elementar. Sie erlaubt nicht nur die Identifikation der Planungsaktivitäten, die digital unterstützt werden können, sondern auch einen weitestgehend standardisierten Planungsablauf. Nach erfolgter Softwareauswahl beginnt die Konsolidierungsphase. Ziel dieser in sich iterativen Phase ist es, die einzelnen Best-practice Ansätze als Standard Digitale Fabrik-Methoden im gesamten Produktionsplanungsnetzwerk zu verankern. Dabei dient wiederum die Planungslandkarte als verbindendes Element um die Durchgängigkeit zwischen den einzelnen Planungsdisziplinen und Planungsaktivitäten sicherzustellen. Die Phase der horizontalen Integration vernetzt die Planungsabteilungen und Werke miteinander, welche dasselbe Produkt oder dieselbe Wert schöpfungsebene beplanen und deshalb eine ähnliche IT-Infrastruktur aufweisen. Zuletzt führt die vertikale Integration dazu, dass auch neu eingegliederte und/oder auf der Wertschöpfungsebene höher angesiedelte Werke in die Planung mit digitalen Werkzeugen eingebunden werden.

Die beiden entwickelten Methoden DiFOR und iDIFA geben Antwort auf die wesentlichen Fragen der Digitalen Fabrik bei der Umsetzung und dem späteren Einsatz in der Industrie. In der praktischen Anwendung in den Planungsbereichen der Aggregatewerke der Daimler AG haben sie sich als geeignete Lösungen herausgestellt.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Ulrich Günther | Dr.-Ing. Stephan Buerkner |
Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Tobias Riegmann | Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Mathias Engel

Steinbeis-Transfer-Institut Production and Engineering der Steinbeis-Hochschule Berlin
(Berlin/Dresden)

su0778@stw.de

Daimler AG (Mannheim)

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