Innovation und Wirtschaftsförderung durch die Gender-Brille

Unternehmerinnen und Wissenschaftlerinnen kooperieren mit Europa

Europa soll bis zum Jahr 2010 zur „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt“ werden. Das haben die europäischen Staats- und Regierungschefs bereits im Jahr 2000 in ihrer Lissabon-Strategie als ehrgeiziges Ziel beschlossen. Frauen aus der Wirtschaft und Wissenschaft werden auf diesem Weg dringend benötigt, denn nur mit ihrer Hilfe können die derzeit 700.000 fehlenden Forscherstellen, die zur Erreichung der Lissabon-Ziele benötigt werden, besetzt werden. Nur durch die Förderung beider Geschlechter kann das geistige und wirtschaftliche Potenzial Europas in seiner Vielfalt genutzt werden. Die Europäische Union unterstützt deshalb Projekte, die Frauen den gleichen Zugang zu Forschung und Innovation ermöglichen wie Männern. Das Steinbeis-Europa-Zentrum führt Maßnahmen und EU-Projekte durch, die Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen und Gründerinnen im Blickpunkt haben.

Europas Frauen schneiden auch heute noch im Beschäftigungsvergleich in vielen Feldern schlechter ab als Männer. Dies gilt sowohl für den Bereich Wirtschaft als auch für die Wissenschaft. Im wissenschaftlichen Bereich verringert sich der Anteil an Frauen mit steigender Position. Während laut Europäischer Kommission der Anteil der Studentinnen und weiblichen Doktoranden dem der Männer weitgehend entspricht, zeigt sich bereits bei der ersten Beschäftigung nach der Promotion ein Unterschied: aktuell sind europaweit 57 Prozent der promovierten Wissenschaftler männlich, dementsprechend nur 43 Prozent weiblich. Erheblich größer wird der Unterschied bei der Geschlechterverteilung auf mittlerer Ebene, 32 Prozent Frauen stehen 68 Prozent Männern gegenüber.

In leitenden Forschungsaufgaben sind laut BMBF lediglich 15 Prozent der Positionen von Frauen besetzt. Deutschland liegt im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn unter dem Durchschnitt. Hochrangige wissenschaftliche Positionen werden überwiegend von Männern besetzt. An deutschen Hochschulen sind nur 13,6 Prozent der Professorenstellen von Wissenschaftlerinnen bekleidet, an außeruniversitären Forschungseinrichtungen macht dieser Anteil sogar nur 6,5 Prozent aus.

Im Schnitt werden 30 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen in Europa von Frauen geleitet – europaweit nehmen Unternehmerinnen aber kaum an den Förderprogrammen im Technologie- und Innovationsbereich teil. Vom Steinbeis-Europa-Zentrum organisierte und von EU und BMBF geförderte Diskussionsrunden unter europäischen Experten zeigen gleiche Grundmuster in Europa: Technologie und Innovation sind stereotyp männlich belegte Begriffe, die von Frauen häufig nicht auf sie oder ihren Kompetenzbereich bezogen werden. Der Schlüssel liegt in der Ansprache. Ein Darlehensprogramm für Innovation in kleinen Unternehmen wurde von Frauen erst wahrgenommen, als es speziell für Unternehmerinnen – ohne sonstige inhaltliche Änderungen – ausgeschrieben wurde. Informationsveranstaltungen zur Forschungsförderung wurden von Unternehmerinnen erst dann stark frequentiert, als diese speziell als Zielgruppe angesprochen wurden. Eine eigene Abteilung für Frauen in der Wirtschaft verschafft einer Bank einen ganz neuen Zugang zu 50 Prozent der Bevölkerung. Die Wirtschaftsförderung muss lernen, die Unterschiede von Männern und Frauen im Umgang mit Risiko, mit Finanzen, mit Begriffen wie Technologie oder Innovation zu verstehen und ihr Serviceangebot entsprechend anzupassen.

Die europäische Förderpolitik hat diese Diskrepanzen zum Anlass genommen, Maßnahmen des „Gender Mainstreaming“ ins Leben zu rufen. Das Steinbeis-Europa-Zentrum führte bereits im Jahr 2001 eine dieser Maßnahmen im Auftrag der EU durch und widmet sich seitdem verstärkt der Förderung von Frauen in Wirtschaft und Wissenschaft. Weitere europäisch geförderte Projekte wurden initiiert und ein internationales Netzwerk aufgebaut.

Mit dem Projekt WomEn2FP6 koordinierte das Steinbeis-Europa-Zentrum eine Maßnahme zur verstärkten Beteiligung von Unternehmerinnen an europäischen Forschungskooperationen. Die Projektpartner gingen von der Hypothese aus, dass Frauen von den üblichen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung nicht ausreichend profitieren. Nur 6 Prozent der Forschungsprojekte in Europa werden von Frauen koordiniert. WomEn2FP6 verfolgte daher das Ziel, Frauen an die europäischen Fördermaßnahmen heranzuführen, zu vernetzen und in Projekte des 6. Forschungsrahmenprogramms (2002 – 2006) einzubinden. 15 Partner aus zehn Ländern führten dazu Informationsveranstaltungen und gezielte Trainings in zehn europäischen Ländern durch. Innerhalb von 18 Monaten nahmen rund 800 Frauen an diesen Trainings teil. Europaweit konnten Unternehmerinnen in 50 EU-Projekte integriert werden.

Die Erfahrungen aus diesem Projekt werden nun an andere Länder im Folgeprojekt WE-Mentor weitergegeben: Wirtschaftsförderer in Rumänien, der Türkei, Israel und in Indien werden von vier Mentoren aus Deutschland, England, Belgien und Italien unterstützt. Dienstleistungen für Unternehmerinnen werden aufgebaut, die den Zugang zu europäischen Fördermaßnahmen erleichtern. Im Herbst 2007 begannen die Trainingsmaßnahmen vor Ort.

Im Projekt WENETT sensibilisiert und unterstützt das Steinbeis-Europa-Zentrum Unternehmerinnen und Wissenschaftlerinnen für die Chancen der Internationalisierung. WENETT bietet über gezielte Plattformen die Gelegenheit, eigene Netzwerke aufzubauen. In themenspezifischen Seminaren kommen Frauen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Wirtschaftsförderung zusammen. Teilnehmerinnen haben Gelegenheit, über ihre Tätigkeiten und Forschungsvorhaben zu berichten oder knüpfen neue Kontakte zu potenziellen Kunden und Partnerinnen. Videoclips von Unternehmerinnen und Wissenschaftlerinnen zeigen gute Beispiele grenzüberschreitender Zusammenarbeit und ermuntern, selbst grenzüberschreitend aktiv zu werden. WENETT endet im Mai 2008. Insgesamt sind Partner aus fünf Ländern involviert. Aktuelle Termine finden sich im Internet.

Das durch zahlreiche Studien belegte gendertypische Verhalten bei der Planung, Gründung und Leitung eines Unternehmens betrifft auch die Beratungsleistungen für Existenzgründungen. An europäischen Hochschulen hat dieses Thema bisher wenig Raum bei den zuständigen Stellen gefunden. FEMSTART, gefördert von der Generaldirektion Forschung im Bereich Frauen und Wissenschaft, führt an sechs Hochschulen in Europa Diskussionsrunden mit Experten und Betroffenen durch, um für diesen Bereich zu sensibilisieren, aber auch um gute Praktiken aus dem In- und Ausland kennenzulernen. 2008 sind die nächsten Expertenrunden in Riga, Bukarest und Twente geplant.

Kontakt

Dr. Petra Püchner | Charlotte Schlicke |
Tracey French | Valerie Bahr

Steinbeis-Europa-Zentrum (Stuttgart)
su2016@stw.de

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