Von der Elektromechanik hin zu Industrie 4.0

Automatisierungstechnik: Das Kommunikationssystem gibt den Takt vor

Seit Jahrzehnten wird der Fortschritt in der Automatisierung von Maschinen und Anlagen durch die rasante Entwicklung in der Elektrotechnik und Elektronik gespeist. Mit der voranschreitenden Digitalisierung sind Innovationen in der Automatisierung inzwischen zunehmend mit denen der Informationstechnik verbunden. Daher zielen die nächsten Innovationsschritte in der Automatisierungstechnik auf eine sehr weit gehende Vernetzung aller Abläufe in Maschinen und Anlagen über Internet-Technologien und werden als die vierte industrielle Revolution unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ propagiert. Ob Evolution oder Revolution: Es wird sich viel bewegen in der Automatisierungstechnik und deutsche Unternehmen sind gut beraten, vorne mit dabei zu sein.

Schaut man rückblickend auf die langfristige Entwicklung der Technologien von Maschinen und Anlagen, lässt sich leicht aufzeigen, dass ausgehend von der Erfindung der Dampfmaschine am Anfang viele Erfindungen aus dem Umfeld der Mechanik und des Maschinenbaus den Fortschritt getrieben haben. Verbessert wurden die Maschinen- und Anlagenfunktionen dann zunehmend durch elektromechanische Steuerungs- und Regelungsfunktionen, die nach und nach über eine zentrale Steuerung der Maschinen und Anlagen die Funktionalität des Gesamtsystems wesentlich bestimmten.

Eine massive Veränderung der Verhältnisse wurde durch die Erfindung des Transistors in den 1950er-Jahren ausgelöst. Der Funktionsumfang von Steuerungs- und Regelungsfunktionen konnte bei gleichzeitiger Senkung von Platzbedarf und Kosten insbesondere durch den Einsatz von Mikrocontrollern und Signalprozessoren massiv vergrößert werden, ebenso konnten immer komplexere Prozesse beherrscht werden. Damit ging die Forderung nach mehr und präziseren Daten aus dem Prozess einher, wobei sich die Verdrahtungskosten als signifikant zeigten. So wurde konsequenterweise die Entwicklung von Feldbussen für einen effizienteren Austausch der Prozessdaten mit der zentralen Steuerung in Angriff genommen.

Auf Basis der dann etablierten Kommunikationssysteme wie Interbus S, Profibus, DeviceNet, Sercos, AS-Interface und vielen anderen war es von nun an auch möglich, mit intelligenten Feldgeräten eine Dezentralisierung der Steuerungs- und Regelungsfunktionen umzusetzen. Die Umsetzung in den Anwendungen erfolgte schrittweise, also evolutionär, hatte aber durch die neuen Möglichkeiten der Modularisierung und individuellen Konfektionierung von Maschinen und Anlagen eher revolutionäre Auswirkungen.

Es hat sich gezeigt, dass die funktionalen Begrenzungen der Kommunikationssysteme inzwischen auch die Grenzen für innovative Funktionen in der Maschine bzw. der Anlage bestimmen, also das Kommunikationssystem den Takt vorgibt und zum bestimmenden Element wird. Neben einer Begrenzung des Umfangs der Prozessdaten sind dies die Echtzeitparameter Latenzzeit, also die Zeit zur Übertragung der Information, und der Synchronisations-Jitter, das Maß für die Gleichzeitigkeit eines dezentralen Vorgangs.

Mit dem Einsatz von Industrial Ethernet, dem auf industrielle Belange angepassten und für industrielle Umgebungen gehärteten Ethernet, wurde ab dem Jahr 2000 eine viel leistungsfähigere Technologie eingeführt und damit ein großes Potential für Innovationen geschaffen. Ein sehr wichtiger Effekt dabei ist die Auflösung der Grenzen zwischen den einzelnen Ebenen der Automatisierungspyramide nach IEC 62264, ein auch als „vertikale Integration“ bezeichneter Vorgang. Alle in der IEC 61158 standardisierten Varianten des Industrial Ethernets haben als Gemeinsamkeit, dass sie die Komponenten der Automatisierungstechnik für alle in der IT bekannten Funktionen öffnen, insbesondere für das sehr wichtige Internet-Protocol (IP), und damit eine breite Basis für den Einsatz von IT-Technologien in Maschinen und Anlagen schaffen. Sehr umfassend genutzt werden Telematik-Funktionen für die Überwachung von Anlagen, für die Diagnose in Fehlerfällen und für die Wartung.

Wichtig ist die auf den Einsatz einer Maschine oder Anlage bezogene Abwägung von Chancen und Risiken der Öffnung für IT-Funktionen: Einer großen Effizienzsteigerung steht direkt das Risiko von Schäden durch Angriffe auf die Steuerungsfunktionen der Maschine von außen entgegen. So hat der Stuxnet-Angriff auf die Uran-Anreicherungsanlage Natanz im Iran bereits vor Augen geführt, dass dem Thema Security zukünftig sehr große Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.

Doch bei aller Skepsis mit Blick auf die Risiken gibt es eine Vielfalt von Chancen zu funktionalen Erweiterungen, die derzeit unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ propagiert werden. Im Mittelpunkt der auch als „Internet der Dinge“ bezeichneten allumfassenden Vernetzung von Maschinen, Anlagen, ja ganzer Fabriken untereinander stehen neu definierte industrielle Prozesse, die auf Basis der aus dem „Internet der Menschen“ bekannten Funktionen aufgebaut werden sollen.

Während heute die Teilsysteme und Komponenten einer Anlage an der Kommunikation beteiligt sind und im Wesentlichen das Zusammenspiel der einzelnen Teile zum Gesamten geregelt bzw. gesteuert wird, soll zukünftig eine konsequente Digitalisierung aller Vorgänge und eine Erfassung aller für einen Prozess relevanten Daten die Grundlage für Planung, Realisierung und Optimierung bilden. Beispielsweise darf man sich von der Simulation von Abläufen auf Basis real erfasster Daten und daraus gewonnener Modelle eine neue Qualität in der Beherrschung komplexer Abläufe versprechen.

Mit Blick auf diese Entwicklung zeigt sich deutlich, dass das Kommunikationssystem in einer Maschine oder Anlage immer mehr an Bedeutung gewinnen wird und zukünftig noch mehr den Takt der Innovationen bestimmen wird.

Aufgrund der zu erwartenden rasanten Entwicklung wird es für die in der Automatisierungstechnik tätigen Unternehmen zunehmend wichtiger sein, bei den Veränderungen der nächsten Jahre vorne mit dabei zu sein. Die Steinbeis Systems Technology Group (Steinbeis STG) ist ein aus drei Steinbeis-Unternehmen bestehender Verbund: Dazu gehören das Steinbeis-Transferzentrum Systemtechnik (Steinbeis TZS), die Steinbeis Embedded Systems Technologies GmbH (Steinbeis EST GmbH) und die Steinbeis Interagierende Systeme GmbH (Steinbeis IAS GmbH). Steinbeis STG unterstützt ihre Kunden bei der Umsetzung aktueller Technologien der Informationstechnik in innovative Produkte: Steinbeis-Experten helfen bei der Konzipierung und der Realisierung von Innovationen, die auf einer Anwendung von Technologien der Informationstechnik im Umfeld der Embedded Systems basieren. Die Gruppe ist in der Automatisierungstechnik mit den Schwerpunkten Industrielle Kommunikation und Entwicklung innovativer Lösungen sowie in der Automobiltechnik im Bereich der Qualifizierung von Steuergeräten tätig.

Kontakt

Professor Reinhard Keller ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Systemtechnik und Professor an der Hochschule Esslingen. Das Unternehmen arbeitet an Systemlösungen und erstellt Hardware und Software für Verteilte Eingebettete Systeme mit einem Schwerpunkt auf der Industriellen Kommunikation und bietet umfassende Leistungen für die Systemintegration.

Professor Reinhard Keller
Steinbeis-Transferzentrum Systemtechnik (Esslingen)
su1439@stw.de

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