„Transfer von Wissen ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg eines Produktes.“

Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS

Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas gibt im Gespräch mit der TRANSFER einen Überblick über die wichtigen Entwicklungen in der Luft- und Raumfahrttechnik der letzten Jahre und stellt die aktuellen Anforderungen auf diesem Gebiet vor. Er erläutert die Besonderheiten des Wissens- und Technologietransfers im Bereich der Luft- und Raumfahrt und wagt eine Zukunftsprognose.

Herr Professor Haas, seit Ihrem Studium sind Sie der Luft- und Raumfahrttechnik treu, können Sie uns einen kurzen Abriss über die für Sie persönlich wichtigen Meilensteine der Entwicklungen in dieser Zeit geben?

In der Zeit während meines Studiums an der Uni Stuttgart und die nächsten Jahre danach war die Luft- und Raumfahrt einer der technologischen Triebfaktoren der deutschen Industrie. Insbesondere im Flugzeugbau wurden epochemachende Forschungsergebnisse und Entwicklungen sichtbar. Als Beispiel würde ich das Kurzstartflugzeug VFW 614 nennen, das aufgrund seiner revolutionären Triebwerksanordnung auch auf unbefestigten Pisten starten und landen konnte. Im Bereich der Hubschrauberentwicklung war die MBB BO 105 mit ihrem gelenklosen Rotorsystem für lange Zeit das Maß aller Dinge im zivilen und militärischen Hubschrauberbau. Mit dem Mehrzweckkampfflugzeug Panavia 200 „Tornado“ wurde bewiesen, dass ein Konsortium aus europäischen Staaten in der Lage sein kann, ein komplexes Waffensystem technisch und logistisch zum Erfolg zu führen.

Leider hat sich aber sehr schnell gezeigt, dass einzelne Staaten, so auch die Bundesrepublik Deutschland, nicht allein in der Lage sind, zukünftige Projekte der Luft- und Raumfahrt bezüglich der enormen Entwicklungsanstrengungen und Kosten zu stemmen. Ein weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit europäischer Staaten ist die gemeinsame Entwicklung des ersten Großraumflugzeuges Airbus A300 komplett aus europäischer Fertigung. Die Airbus-Flugzeuge sind bis heute Zeichen einer Erfolgsstory, die der amerikanischen Dominanz im zivilen Flugzeugbau erhebliche Marktanteile streitig gemacht hat.

Im Bereich der Raumfahrt war der Europa-Rakete zwar kein Erfolg beschieden, sie war aber als Lehrstück für die systemtechnischen und fertigungsproblematischen Aspekte für Europa von entscheidender Bedeutung. Die hier gemachten Erfahrungen konnten in die Entwicklung eines neuen Raketenentwurfs eingebracht werden. Die daraus entstandene Familie der Ariane-Raketen ist bis heute das Standardtransportmittel, um die vielfältigen Nutzlasten in den Weltraum zu befördern.

2009 haben Sie das Steinbeis-Transferzentrum Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS gegründet, zu dessen Tätigkeitsschwerpunkten unter anderem auch die Luft- und Raumfahrttechnik gehört. Mit welchen Anforderungen auf diesem Gebiet kommen Ihre Kunden zu Ihnen?

Schwerpunktmäßig befasst sich SITIS mit der Luftfahrttechnik. In den letzten Jahren hat sich hier der Forschungsschwerpunkt, insbesondere auch unter dem Einfluss von Airbus, auf die Wirtschaftlichkeitssteigerung im Flugbetrieb konzentriert. Die Ökonomie des Fluges unter besonderer Berücksichtigung von Lärm und Abgaswerten findet sich in der Entwicklung höherer Reisegeschwindigkeiten, Reichweitenoptimierung und Ausnutzung maximaler Sitzplatzkapazitäten wieder. Einen wesentlichen Bestandteil bildet hier der Einsatz neuer Werkstoffe und die damit zusammenhängenden neuen Bearbeitungsverfahren bzw. Fertigungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Prüf- und Bauvorschriften. SITIS ist auf diesem Forschungsgebiet mit neuesten Fertigungstechnologien sowie Mess- und Prüfverfahren optimal ausgerüstet. In diesem Forschungs- und Entwicklungsbereich besteht auch eine enge Zusammenarbeit mit den luftfahrtgesetzgebenden Organen wie der EASA oder dem Luftfahrtbundesamt.

Flugzeuge sollen sicher und umweltfreundlich sein, welche Rolle bei der Umsetzung dieses Ziels spielt die Fertigungs- und die Werkstofftechnik?

Sie spielt hier die entscheidende Rolle! Um die Nutzlast der Flugzeuge zu vergrößern ist genereller Leichtbau angesagt, ohne dabei die strukturellen Grenzen der Belastung zu verschieben. Dies kann nur unter Einsatz neuer Werkstoffe, insbesondere von Faserverbund- und Hybridkonstruktionen erreicht werden. Der Einsatz dieser neuen Werkstoffe für die Flugzeugzelle bzw. Tragflügel erfordert auch völlig neue Bearbeitungsverfahren und Fertigungstechnologien. Hier ist im Besonderen die Schädigung der Bauteile infolge des Bearbeitungsverfahrens zu untersuchen. Induzierte Mikrorisse, infolge einer nicht angepassten Bearbeitungstechnologie, können bei besonders dynamisch beanspruchten Bauteilen im Flugbetrieb schnell zu Bauteilversagen führen. Bei der Triebwerksentwicklung sieht es ähnlich aus. Wirkungsgraderhöhung und somit Kraftstoffeinsparung sind heute nur möglich, weil in den letzten Jahren immense Fortschritte in der Metallurgie gemacht wurden. Nickel-Basis- Legierungen heißt hier das Zauberwort. Diese neuen Werkstoffentwicklungen machen eine Steigerung des Bypass- und Druckverhältnisses im Triebwerk möglich. Das Ergebnis ist eine drastische Reduzierung des spezifischen Kraftstoffverbrauchs.

Dass der Transfer von Wissen und neuen Technologien in Unternehmen unabdingbar ist, das bezweifeln heute die wenigsten. Welche Herausforderungen bringt aus Ihrer Sicht ein solcher Transfer im Bereich der Luft- und Raumfahrt mit sich?

Gerade in den spezifischen Bereichen der Luft- und Raumfahrtindustrie ist der Transfer von Wissen eine unabdingbare Voraussetzung, die über den Erfolg eines Produktes und somit eines Unternehmens entscheidet. Selbst Großbetriebe schaffen es heute nicht mehr die vielfältigen Aufgaben, die bei der Entwicklung eines neuen Flugzeuges anfallen, alleine zu schultern. Inzwischen ist ein eindeutiger Trend auszumachen: Clusterbildung. Im Prinzip ganz einfach: Jeder macht das, was er am besten kann. Die Folge ist, dass eine völlig neue Generation einer Zulieferungsindustrie entsteht. Das Ergebnis ist eine Landschaft aus sogenannten Ankerunternehmen wie Airbus, Lufthansatechnik etc., kleinen und mittleren Zulieferern, Dienstleistern und kooperativen Entwicklungsunternehmen mit Sonderaufgaben. Flankiert wird diese Landschaft von der einschlägigen wissenschaftlichen Hochschulforschung, den Großforschungseinrichtungen und der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung von Steinbeis-Unternehmen.

Wie werden aus Ihrer Sicht die zukünftigen Trends der Luft- und Raumfahrttechnik aussehen? Wie werden diese das Dienstleistungsangebot Ihres Steinbeis-Unternehmens beeinflussen?

Die Trends im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik sind aus unserer Sicht völlig klar. Verbesserungen im Bereich der Strukturmechanik und im Leichtbau lassen sowohl bei Luftfahrzeugen als auch bei Raumfahrzeugen höhere Nutzlasten zu. Ansatz ist hier vorrangig die Entwicklung neuer Werkstoffe. Im Bereich der Umweltbelastung steht die effiziente Ausnutzung der Kraftstoffe bzw. die Wirkungsgradsteigerung der Triebwerke an erster Stelle. Zur Verbesserung der Aerodynamik werden zukünftig vermehrt bionische Systeme in Erwägung gezogen: Nach dem Motto „Die Natur macht es vor“, werden heute bereits völlig neue Konzepte im Bereich der Flugzeugzelle, insbesondere der Tragflügel, untersucht. Zukünftig wird der Aufgabenbereich von SITIS unter Umständen neu definiert werden müssen. Neue Fertigungstechnologien für Sonderwerkstoffe müssen auch durch die entsprechenden Prüf- und Zulassungsverfahren verifiziert werden. Dieses würde aus unserer Sicht eine optimale Transferleistung in das besagte Luft- und Raumfahrtcluster darstellen.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS an der Hochschule Karlsruhe. Die Tätigkeitsschwerpunkte des Steinbeis-Unternehmens liegen auf den Gebieten des modernen Werkzeug- und Formenbaus, der Energieeffizienz sowie der Medizintechnik und der Luftund Raumfahrt.

Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas
Steinbeis-Transferzentrum Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS (Karlsruhe)
SU1280@stw.de

Seite teilen