Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

nach einer aktuellen Studie der EU belegt Deutschland bei der Innovationskraft im europäischen Vergleich den dritten Platz hinter Schweden und Dänemark. Dabei spielt das sonst so zukunftsträchtige Technologiefeld Life Sciences in Deutschland jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Trotz des international hohen Innovationspotentials der Life Sciences entwickelt sich beispielsweise die Biotechnologie-Industrie in Deutschland langsam. Daran haben auch die Initiativen der Bundesregierung in den letzten Jahren wenig geändert. Deutschland ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr die Apotheke der Welt, und dieser Prozess ist nicht kurzfristig umkehrbar. Gemessen an Umsatzzahlen und Investitionen in der Pharma- und Biotechnologie sind die Schweiz, England und allen voran die USA führend. Das hat vor allem gesellschaftspolitische Gründe. In Deutschland ist eine geradezu feindliche Einstellung gegenüber der Pharmaindustrie in der Gesellschaft weit verbreitet. Auch die Vorbehalte gegenüber neuen Biotechnologien sind so groß, dass die Politik beispielsweise die Pflanzenbiotechnologie in Deutschland für gescheitert erklärt. Gentechnologie stößt auf breite Ablehnung. Unter diesen Rahmenbedingungen ist Venture Capital im Bereich Biotechnologie in Deutschland Mangelware. Soll man nun unter diesen negativen Vorzeichen das Kapitel Life Sciences und Biotechnologie in Deutschland zuklappen und sich auf die hier gut etablierten Innovationstreiber wie Maschinenbau und Technik konzentrieren? Zumindest bei Steinbeis mehrt sich die Zahl innovativer Konzepte im Bereich Life Sciences, Grund genug, in dieser Ausgabe der TRANSFER das Technologiefeld Life Sciences in den Fokus zu stellen.

Life Sciences umfasst thematisch die Biotechnologie, das Bio-Engineering, die Gentechnologie und -diagnostik sowie die Medizintechnik und Pharmatechnologie. Bei einem Blick auf die innovativen Konzepte und Entwicklungen bei Steinbeis wird rasch klar, dass es in Deutschland an Ideen in diesem Feld nicht mangelt, der wissenschaftliche Sektor befindet sich international auf höchstem Niveau. Auch in bestimmten anwendungsorientierten Bereichen wie der Medizintechnik und der medizinischen Labordiagnostik belegt Deutschland international einen Spitzenplatz oder ist führend. In anderen Bereichen werden Entdeckungen hier gemacht und wandern erst im Zuge der Translation in die Anwendung ins Ausland ab, um dort die günstigen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und das Kapital zu nutzen. Nicht ohne Grund sind ausländische Investoren und Unternehmen ständig auf der Suche nach Innovationen in Ländern wie Deutschland. Auch wenn also die auf Investitionsvolumina und Umsatzzahlen basierende Statistik für Deutschland ein eher nüchternes Bild zeichnet, Deutschland sprüht an Ideen, Innovation und Expertise im Bereich Life Sciences. Und wenn es gelingt, auch die Umsetzung und Nutzung wieder in Deutschland besser zu besetzen, dann wird der Bereich Life Sciences die bisher vor allem auf klassische Technologien gestützte Innovationskraft in Deutschland wieder auf ein international führendes Niveau heben. Denn eines ist ganz unbestritten: Die Zukunft gehört der engen Verbindung von Material Sciences und Life Sciences.

Steinbeis hat wichtige Instrumente entwickelt, um den in Deutschland so notwendigen Transferprozess zu verbessern. Über unser Steinbeis-Forschungszentrum iService sind wir seit vielen Jahren in der Lage, unsere wissenschaftliche akademische Expertise im Bereich einer neuen Substanzklasse von Arzneimitteln, den therapeutischen Oligonukleotiden, anderen Biotech- und Pharmafirmen zur Verfügung zu stellen. Dieser Forschungs- und Entwicklungsservice wird von einer Reihe von europäischen und amerikanischen Unternehmen genutzt. Im Speziellen analysieren wir die immunologischen Eigenschaften von Oligonukleotiden, eine wichtige Information für die klinische Entwicklung von Oligonukleotiden. Um Nutzungsrechte an den von uns patentierten Entwicklungen auf diesem Gebiet an andere Firmen zu lizenzieren, haben wir im Steinbeis-Verbund die Celo GmbH gegründet, die heutige ImmunOligo GmbH. In dieser Firma haben wir eine Ausgründung vorbereitet, mit der wir die eigene translationale Entwicklung von therapeutischen Oligonukleotiden vorantreiben wollen. Im Januar 2014 wurde so die Rigontec GmbH gegründet, die RIG-I Agonisten für die Therapie von Tumorerkrankungen entwickelt. So hat Steinbeis den Transfer von wissenschaftlicher Expertise und die Translation in die klinische Entwicklung auf verschiedenen Ebenen unterstützt. Steinbeis-Transfer im Bereich Life Sciences ist auf Erfolgskurs, und man kann sich nur wünschen, dass viele akademische Gruppen dieses hervorragende Instrumentarium nutzen, um die Biotech-Branche in Deutschland dorthin zu bringen, wohin sie gehört, im internationalen Vergleich ganz nach vorne.

Ihr Prof. Dr. med. Gunther Hartmann

Kontakt

Prof. Dr. med. Gunther Hartmann ist Leiter des Steinbeis- Forschungszentrums iService und Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Bonn.

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