„Die Entwicklung in der Augenheilkunde lässt einen einfach nur staunen“

Im Gespräch mit Professor Dr. med. Gerd Auffarth

„Das Auge war das Organ, womit ich die Welt fasste“, sagte Johann Wolfgang von Goethe. Wie wichtig die Augen für unsere Weltwahrnehmung sind, wissen Sie, Herr Professor Auffarth, sehr gut, denn Sie beschäftigen sich seit 30 Jahren mit dem Thema Ophthalmologie. Welche Entwicklungen in dieser Zeit sehen Sie als wichtigste Meilensteine in dem Bereich?

Die Entwicklung in der Augenheilkunde in den letzten 30 Jahren ist nicht anders als rasant zu bezeichnen und lässt einen einfach nur staunen. Während in den 1980er-Jahren etwa 200.000 Operationen in Deutschland durchgeführt wurden, hat sich diese Zahl bis heute vervierfacht. Hinzu kommt, dass die damaligen manuellen Techniken sich heutzutage zu komplett anderen Verfahren, teilweise bildgebungsgeführt, entwickelt haben – unter Einsatz von Ultraschalltechnologie und unter Verwendung von sogenannten Femtosekundenlasern. Auch die Art der Biomaterialien und Implantate hat sich dramatisch geändert. War es bis vor 10 bis 15 Jahren noch relativ normal, eine Einstärken-Kunstlinse einzupflanzen, so haben wir heute eine große Entwicklungsbreite vorliegen mit Kunstlinsen, die eine Vielzahl von Korrekturen ermöglichen. In den letzten Jahren hat sich die Lasertechnologie erheblich verbreitet in der Augenheilkunde.

Des Weiteren sind als Meilensteine auch erhebliche Veränderungen in der Transplantationschirurgie der Hornhaut zu vermelden. Wurde bis vor zehn Jahren nur die komplette Hornhaut als Volltransplantation durchgeführt, so können heute einzelne Schichten, bis hin zu einer einzelligen Schicht (Endothelzelltransplantation) am Auge durchgeführt werden. Auch erste Ansätze für künstliche Hornhäute sind in den Forschungslabors und teilweise auch schon in klinischen Studien auf den Weg gebracht. Im Bereich der Glaukomchirurgie, die auch sehr lange Jahre stagnierte, sind allein in den letzten fünf Jahren über 15 neue OP-Verfahren und Implantate entwickelt worden, die jetzt unter dem Begriff „micro invasive glaucoma surgery“ (MIGS) die Möglichkeiten der Behandlung des Grünen Stars erheblich erweitert haben.

Entscheidende Fortschritte wurden auch bei der Behandlung der sogenannten altersbedingten Makuladegeneration durch Gabe von speziellen Medikamenten in den Glaskörper erzielt. Hier ist natürlich zu erwähnen, dass sich dies aufgrund der hohen Kosten für solche Medikamente auch sehr deutlich auf das Gesundheitssystem auswirkt.

In Ihrem Steinbeis-Forschungszentrum International Vision Correction Research Centre (IVCRC), das Sie vor sieben Jahren gegründet haben, beschäftigen Sie sich unter anderem mit Speziallinsen. In den letzten Jahren wurde in diesem Bereich ein immenser Fortschritt gemacht, so dass eine Kunstlinsenimplantation zur Routine geworden ist. Nichtsdestotrotz forschen Sie in diesem Bereich weiter, welche Entwicklungen sind hier in der Zukunft Ihrer Meinung nach zu erwarten?

Es ist sicherlich richtig, dass die Graue-Star-Operation heutzutage eine hohe Standardisierung erreicht hat und als häufigste Operation im Bereich der Medizin anzusehen ist. In Deutschland werden in etwa 800.000 Operationen durchgeführt. Dass eine Kunstlinse implantiert wird, ist seit etwa knapp 20 Jahren durchaus Routine. Die Standard-Monofokallinsen, sogenannte Einstärkenlinsen, werden immer noch als häufigste Linse bei den meisten Kataraktpatienten eingesetzt. Mittlerweile hat sich aber die Abbildungsgüte dieser Linsen durch Einführung von asphärischen Linsen deutlich verbessert. Hierbei ist jedoch zu erwähnen, dass diese asphärischen Linsen immer „intelligenter“ werden. Auch bei den Multifokallinsen haben sich erhebliche Veränderungen in den letzten Jahren ergeben: „Trifokale Linsen“ können in verschiedenen Bereichen das Sehen scharf einstellen. Wichtig ist auch, dass die von den ersten Modellen her bekannten Komplikationen, wie schlechterer Kontrast und stärkere Blendungsempfindlichkeit, zu einem großen Teil gemildert oder sogar verhindert werden können. Die letzte Hürde, die noch zu überspringen ist, ist die Entwicklung von akkommodativen Linsen. Dies sind Linsen, die sich eher fließend in verschiedenen Entfernungen einstellen können, wie unsere natürliche Linse es in jungen Jahren kann. Hier gibt es verschiedene Konzepte und jetzt auch schon einige klinische Studien, an denen unser Forschungszentrum auch beteiligt ist und die weitere neue, vielversprechende Ansätze zeigen.

Neue Entwicklungen, die auch insbesondere von unserem Steinbeis- Zentrum mitgetragen worden sind, sind Entwicklungen für Patienten mit altersbedingter Makuladegeneration, bei denen Speziallinsen mit einem entsprechenden Vergrößerungsfaktor eingesetzt werden, so dass auch sie, trotz geringen Grundsehvermögens, wieder aktiv am Leben teilnehmen können und eine Lesefähigkeit hergestellt werden kann.

Auch in der Medizintechnik ist in der letzten Zeit viel passiert, darunter beispielweise auch die Entwicklung des Femtosekundenlasers. Was können diese neuen Techniken? Welche Vorteile, aber auch Nachteile haben sie?

Der Femtosekundenlaser ist ein Laser, der in einer extrem hohen Geschwindigkeit Gewebe zerschneiden kann mit einer ebenfalls extrem hohen Präzision. Seit über zehn Jahren arbeiten wir hier auch mit lokalen Firmen aus Heidelberg zusammen, die bei der Femtosekundenlasertechnologie Pionierarbeit geleistet haben. Die ersten Anwendungen dieser Technologie bezogen sich auf die Hornhaut des Auges. Hier konnten für refraktive Eingriffe (Femto-LASIK) die Schnitte nicht mehr mit einem Messer sondern mit dem Femtosekundenlaser für die Erstellung des sogenannten LASIK-Flaps erfolgen. Hornhauttransplantationen mittels Femto-Laser wurden in Heidelberg mitentwickelt und durchgeführt. Neuerdings werden auch Schnitte der Grauen-Star-Operation mit dem Femtosekundenlaser gemacht. Vorteil dieser neuen kataraktchirurgischen Maßnahmen sind eine deutliche Standardisierung und Wiederholbarkeit der entsprechenden Schnitte während der Operation.

Unsere Gesellschaft wird immer älter, dadurch wächst die Zahl der von altersbedingten Augenkrankheiten betroffenen Menschen. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Technologien in der Medizin?

Jedem ist die Entwicklung der Demographie in den westlichen Ländern, insbesondere Deutschland, bekannt. Der Anteil der Patienten über 65 wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dramatisch ansteigen. Besonders stark ist in der Medizin die Augenheilkunde von dieser Entwicklung betroffen, da sie im Vergleich zu vielen anderen Fächern proportional viele altersbedingte Erkrankungen hat und ab einem bestimmten Alter gewisse Erkrankungen nicht mehr die Ausnahme sondern die Regel sind. Hinzu kommt die triviale Tatsache, dass jeder Mensch zwei Augen hat und entsprechend auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten an beiden Augen Operationen oder Behandlungen von speziellen Krankheiten notwendig sind. Das große gesundheitspolitische Problem wird die Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration sein, bei der immer mehr pharmakologische Substanzen entwickelt werden, die hier Möglichkeiten zur therapeutischen Intervention bieten. Die Zahl der ausgebildeten Augenärzte wird, so wie es im Moment aussieht, nicht mit der veränderten Demographie mithalten können. Ich sehe in diesem Zusammenhang insgesamt sehr große Probleme auf unser Gesundheitssystem zukommen.

Wenn Sie einen Ausblick in die Zukunft wagen, was erwartet Ophthalmologen von morgen? Wo werden die Forschungs- und Behandlungsschwerpunkte Ihrer Meinung nach liegen?

Es ist immer schwierig, die Zukunft vorauszusagen. Selbst bei einer genauen Kenntnis interner Abläufe gibt es immer wieder Überraschungen. So wie die Entwicklung zurzeit aussieht, wird es noch weitere Fortschritte im Bereich der Laser- und Linsentechnologie geben. Hier werden insbesondere die Sicherheitsprofile immer besser werden. Auch Erkrankungen im Bereich des Grünen Stars (Glaukom) und der Hornhauttransplantation werden weiterhin einen deutlichen Aufwind bekommen und Langzeitstudien werden zeigen, welche Implantate und Medikamente sich langfristig durchsetzen.

Im Bereich der Grundlagenforschung der altersbedingten Makuladegeneration und artverwandter retinologischer Erkrankungen werden sich wohl für die Bildgebung als auch die Therapie weitere Möglichkeiten ergeben. Hier wird aufgrund der schieren Anzahl der Patienten das Problem der Finanzierung solcher Behandlungsmethoden immer mehr in den Vordergrund rücken.

Im Forschungsbereich wird gerade in der Grundlagenwissenschaft immer mehr im Bereich der Stammzellforschung bei der Behandlung von Augenerkrankungen vorgegangen. Auch die genetische Therapie beim Bestand genetischer Defekte, insbesondere hereditäre Netzhauterkrankungen, macht erhebliche Fortschritte und es wurden schon die ersten klinischen Studien in diesem Bereich durchgeführt.

Kontakt

Prof. Dr. med. Gerd Auffarth ist Leiter des Steinbeis-Forschungszentrums International Vision Correction Research Centre an der Universität Heidelberg. Forschungsschwerpunkte des Zentrums umfassen den vorderen Augenabschnitt. Steinbeis- Experten untersuchen neue und etablierte Technologien und Behandlungsmethoden in den Bereichen Katarakt-, Refraktiveund Hornhautchirurgie sowie Pharmakologie und Diagnostikmöglichkeiten. 2009 erhielt das Zentrum den Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis.

Professor Dr. med. Gerd Auffarth
Steinbeis-Forschungszentrum International Vision Correction Research Centre (IVCRC) (Heidelberg)
su1106@stw.de

Seite teilen