„Die wichtigste Anforderung ist nach wie vor die Gewichtseinsparung.“

Im Gespräch mit Prof. Rudolf Voit-Nitschmann, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Aerodynamik, Flugzeug- und Leichtbau und geschäftsführender Gesellschafter der Steinbeis Flugzeug- und Leichtbau GmbH

Prof. Rudolf Voit-Nitschmann erklärt im Interview, welche Bedeutung der Leichtbau insbesondere im Flugzeugbau, aber auch in anderen Branchen hat und welche Entwicklungen seiner Meinung nach die deutsche Leichtbaulandschaft zukünftig erwarten.

Herr Professor Voit-Nitschmann, im Flugzeugbau war die Leichtbauweise schon immer ein wesentlicher Erfolgstreiber. Welche Bedeutung hat dieser für die Etablierung des Leichtbaus in anderen Branchen?

In die Geschichte zurückblickend kann man feststellen, dass bereits durch den Bau der Zeppeline der Aluminiumleichtbau in Deutschland eingeführt wurde. Dabei hatte sich Claude Dornier große Verdienste erworben, der damals Angestellter der Zeppelin-Werke war und später die Dornier-Werke gegründet hat. Auch heute noch ist die Luft- und Raumfahrtbranche die treibende Kraft für die Anwendung des Leichtbaus auch in anderen Branchen. Vor allem im Rahmen der Elektromobilität gewinnt der Leichtbau immer mehr an Bedeutung. Als Beispiel sei hier der BMW i3 genannt, dessen Fahrgastzelle vollständig aus Faserverbundwerkstoffen besteht.

Zu Beginn war der Leichtbau vor allem mit einem Ansatz gleich zu setzen: Schwer durch leicht zu ersetzen, vereinfacht meinte das Stahl durch Aluminium. Heute reicht das nicht mehr aus - vielmehr ist eine intelligente Kombination von Materialien und Funktionen gefragt, die gewährleistet, dass Bauteile leichter aber auch sicherer, komfortabler und ressourcenschonender sind. Was bedeutet dies für die Zukunft?

Es ist richtig, dass die Anfänge des Leichtbaus durch den sogenannten Werkstoffleichtbau erfolgten. Dabei wurden bei baugleichen Komponenten einfach leichtere Werkstoffe eingesetzt. Durch den sogenannten Funktionsleichtbau und vielmehr noch kombiniert mit dem integrierten Leichtbau können heute neben der Gewichtseinsparung weitere funktionale Anforderungen erfüllt werden. Bei Faserverbundwerkstoffen können die Fasern entsprechend der Beanspruchung orientiert werden. Durch die Verwendung von Negativ-Formen lassen sich bei der geometrischen Gestaltung ästhetische oder auch aerodynamische Erfordernisse kompromisslos erfüllen. Bei Automobil-Fahrgastzellen lässt sich gegenüber einer Blechkonstruktion die Anzahl der Bauteile reduzieren. Beim integrierten Leichtbau werden Funktionalitäten wie beispielsweise Isolation, Dämmung oder auch Sensoren integriert.

Durch den Einsatz hybrider Werkstoffe eröffnen sich in der industriellen Anwendung ganz neue Prozessansätze. Welche Entwicklungschancen sehen Sie für den industriegetriebenen Produktionsstandort Deutschland?

Hybrider Werkstoffleichtbau wird heutzutage verbreitet im Automobilbau eingesetzt. Es geht dabei darum, für jede Komponente den optimalen Werkstoff unter Leichtbau,- Fertigungs- und Kostenaspekten einzusetzen. Aber auch im Flugzeugbau beispielsweise beim A 380 werden hybride Werkstoffe, GLARE, eingesetzt. Hierbei handelt es sich um glasfaserverstärktes Aluminium. Dieser Werkstoff bringt vor allem Vorteile durch geringeren Rissfortschritt bei Schädigungen. Das Potenzial der hybriden Werkstoffe und Bauweisen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wir in Deutschland sind hierbei in der Werkstoffforschung mit führend.

Sie beschäftigen sich unter anderem mit dem Einsatz von Leichtbautechnologien in der Luftfahrt. Welche Anforderungen stellt gerade diese Branche an den Leichtbau? Oder provozierend gefragt: Ändert sich in der Luft- und Raumfahrt überhaupt etwas?

Die wichtigste Anforderung ist hier nach wie vor die Gewichtseinsparung. Weitere wichtige Anforderungen stellen die einschlägigen Bauvorschriften für die Zulassung der Luftfahrzeuge. Eigenschaften wie „Damage Tolerance“ und gutes Ermüdungsverhalten werden dabei gefordert. Zumindest in der General Aviation gewinnen elektrisch betriebene Flugzeuge immer mehr an Bedeutung. Als Beispiel sei hier der Touring-Motorsegler e-Genius genannt, der am Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart als Forschungsflugzeug entwickelt wurde. Für diese kommende Generation von Elektroflugzeugen ist die Kohlefaser-Verbundbauweise essentiell.

Wenn Sie eine Zukunftsprognose wagen, wie wird Ihrer Meinung nach die Leichtbaulandschaft in Deutschland, insbesondere in Baden- Württemberg, in Zukunft aussehen?

Die anstehende Energiewende verbunden mit der Forderung nach Energieeinsparung und Umweltfreundlichkeit wird die Elektromobilität in allen Sparten vorantreiben – Fahrzeug, Zweirad, Luftfahrzeug. Auch innerhalb der Medizintechnik und der Robotertechnik werden die Leichtbau- und Faserverbundtechnologie weiter voranschreiten. Der Fokus wird dabei auf der Verbesserung der Prozesse liegen, um auch Großserien wirtschaftlich zu produzieren. Weiterhin werden für hochbeanspruchte Bauteile die automatisierten textilen Fertigungsverfahren von Faserverbunden an Bedeutung gewinnen. Am Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart existiert hierzu ein Kompetenzzentrum und Forschungsschwerpunkt. Nicht zuletzt will ich hier als Industrie-Vorreiter in Baden–Württemberg noch die Segelflugzeughersteller Schempp- Hirth Flugzeugbau und DG-Flugzeugbau erwähnen, die auf ihrem Gebiet weltweit führend sind. Auch zahlreiche Steinbeis-Unternehmen engagieren sich auf dem Gebiet Leichtbau. Innerhalb unserer Steinbeis Flugzeug- und Leichtbau GmbH werden Leichtbaustrukturen für Luftfahrzeuge ausschließlich in Faserverbund-Bauweise entwickelt. Unsere Kernkompetenz liegt hierbei außer in der Leichtbaukonstruktion vor allem auf dem Gebiet der Materialqualifikation und Zulassung nach den entsprechenden Luftfahrtvorschriften.

Kontakt

Prof. Rudolf Voit-Nitschmann ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Aerodynamik, Flugzeugund Leichtbau und geschäftsführender Gesellschafter der Steinbeis Flugzeug- und Leichtbau GmbH. Die Steinbeis-Unternehmen stellen ihren Kunden umfangreiches Know-how und Kapazitäten auf dem Gebiet der Entwicklung von Luftfahrzeugen und Leichtbaukomponenten in Faserverbund-Kunststoffbauweise zur Verfügung. 2011 erhielt Rudolf Voit-Nitschmann den Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis
als Sonderpreis für seine herausragenden Leistungen im Technologietransfer.


Prof. Rudolf Voit-Nitschmann
Steinbeis Flugzeug- und Leichtbau GmbH (Stuttgart)
su1570@stw.de

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