Von der Entwicklung zur Praxis

Freigeformte Fassade aus faserverstärktem Architekturbeton für Frankfurter Hochhaus

Faserverstärkte Architekturbetone machen dünnwandige Freiformelemente mit hohem Leichtbaugrad und höchsten Designansprüchen hinsichtlich der Oberflächenqualität möglich. Für die Anwendung derartiger Fertigelemente sind insbesondere Fassaden als Ästhetik bestimmender Teil des Gebäudes prädestiniert. Die Kombination neuer faserbasierter Verstärkungsmaterialien mit dem konventionellen Baustoff Beton zu Faserbeton und Textilbeton ist seit Jahren Gegenstand intensiver Forschungen. In einem Verbundprojekt haben die Technische Universität Chemnitz, die Hentschke Bau GmbH, die Fiber-Tech Products GmbH sowie das Sächsische Textilforschungsinstitut (Stfi) ein textilbewehrtes Fassadensystem entwickelt. Für den Transfer der Entwicklungen in die Baupraxis sind Referenzbauwerke von zentraler Bedeutung. Die wissenschaftliche und anwendungsorientierte Unterstützung der Unternehmen übernimmt das Steinbeis-Innovationszentrum FiberCrete (FC) in Chemnitz.

Zum Einsatz kamen die Steinbeis-Experten bei der Revitalisierung des Poseidon-Hauses in Frankfurt a. M., wobei eine energetisch optimierte Fassade umgesetzt wurde. Bei der Neugestaltung der dreidimensional geformten Fassadenstruktur wurden die Aluminiumelemente durch einen hochfesten, faserverstärkten Architekturbeton in höchster Sichtbetonqualität ersetzt. Die weiße Fassadenfläche umfasst ca. 13.800 m² und besteht aus über 11.500 vorgehängten Elementen. Das Architekturbüro Schneider und Schumacher aus Frankfurt plante in Zusammenarbeit mit der Josef Gartner GmbH die Sanierung, die Arge Hentsche Bau GmbH und die Fiber-Tech Products GmbH übernahmen die Herstellung der Fassadenelemente. Das Steinbeis-Innovationszentrum FiberCrete hatte die wissenschaftliche Unterstützung bis hin zur Beantragung der Zustimmung im Einzelfall inne.

Die für die Sanierung entwickelten Fassadenelemente bestehen aus Feinbeton, der mit integralen, alkaliresistenten Glaskurzfasern modifiziert wurde. Sedimentationserscheinungen des Frischbetons und Schwindrissneigung im Festbeton wurden somit verringert. Bei der Herstellung des modifizierten Betons hatte der Mischvorgang der Komponenten einen entscheidenden Einfluss auf die Homogenität des Frischbetons und damit auch auf die Festbetoneigenschaften. Glasfasern erschwerten bedingt durch ihre morphologischen Eigenschaften die Herstellung eines homogenen Frischbetons. Zur Vermeidung der sogenannten Igelbildung beim Mischvorgang wurden die Scherkräfte, die beim Mischen vom Mischwerkzeug auf den Frischbeton übertragen werden, durch Verwendung eines Intensivmischers erheblich reduziert. Für die Anwendung der Gießformgebung wurde der Architekturbeton fließfähig eingestellt. Die Oberfläche der bis zu 5 m langen Fassadenelemente ist im sichtbaren Bereich porenfrei und enthält keine Farbunterschiede oder Marmorierungen. Der Beton hat eine Druckfestigkeit von über 100 MPa und eine 3-Punkt-Biegezugfestigkeit von etwa 20 MPa. Darüber hinaus wurde eine hohe Dauerhaftigkeit sichergestellt und validiert.

Bei der Erstellung der Schalungselemente wirkten sich die benötigten Stückzahlen der Fassadenelemente und die damit verbundenen Standzeiten der Formen auf das Formenkonzept aus. Die Betonelemente der Architekturfassade basieren auf 240 unterschiedlichen Elementtypen. Bei Fassadenelementen mit hohem Wiederholungsgrad wurden die Formen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) gefertigt. Bei der Konzeption der Formen kam der Schalhauttextur eine besondere Rolle zu, da diese die Oberflächenbeschaffenheit des Architekturbetons maßgeblich bestimmt. Ausgewählt wurde eine nicht saugende Schalhaut, basierend auf einem Gelcoat bei GFK-Formen.

Aufgrund der speziellen Geometrie und der geringen Wandstärke von 13 mm bis max. 25 mm der Fassadenelemente konnte kein zugelassenes Standardbefestigungssystem verwendet werden, sondern musste neu entwickelt werden. Die Befestigungspunkte im Fassadenelement wurden mit Innengewindeankern vom Typ M8 ausgebildet. Diese Innengewindeanker bestehen aus einer Hülse mit durchgehendem Gewinde, einer angepressten Scheibe sowie einer Abdichtkappe, die das Eindringen von Frischbeton in das Insert während des Gießprozesses verhindert. Für die Auslegung der benötigten quantitativen Befestigungspunkte bei den Fassadenelementen wurden Auszugsversuche an Musterplatten im Labormaßstab durchgeführt. Je nach Elementlänge wurden vier oder sechs Befestigungspunkte bei den Fassadenelementen eingesetzt. Dabei tragen die oberen Befestigungspunkte das Eigengewicht der Elemente und nehmen darüber hinaus Windsoglasten auf. Die mittleren und unteren Befestigungspunkte werden dagegen nur auf Sog beansprucht.

Der entwickelte faserverstärkte Beton wich von den DIN-Bestimmungen ab, zudem war die Befestigung der Betonfertigteile über die eingelassenen Innengewindehülsen nicht DIN-geregelt. Somit mussten für den Feinbeton und für das Befestigungssystem die bauordnungsrechtlichen Verwendbarkeitsnachweise als Zustimmung im Einzelfall erbracht werden. Die enge Zusammenarbeit der Hentschke Bau GmbH und der Fiber- Tech Products GmbH mit dem Steinbeis-Innovationszentrum FiberCrete in Chemnitz hat zu einer Zulassung im Einzelfall geführt.

Die praxisnahe Forschungsarbeit hat gezeigt, dass der entwickelte faserverstärkte Architekturbeton hohe Festigkeit, Oberflächenqualität, Dauerhaftigkeit und Rezyklierbarkeit miteinander vereint. Mit zunehmendem Einsatz von innovativen faserverstärkten anorganisch-nichtmetallischen Hochleistungswerkstoffen können dünnwandige, einfach und doppelt gekrümmte Freiformflächen im Bauwesen mit hohem Leichtbaugrad baupraktisch abgebildet werden. Den Architekten und Planern wird damit ein neues Designpotential eröffnet, besonders im Hinblick auf organisch geformte Bauwerke. Der damit verbundene Leichtbau gewinnt aber nicht nur unter Berücksichtigung der Gestaltung, sondern auch in hohem Maße im Zuge der Ressourceneinsparung immer mehr an Bedeutung.

Kontakt

Dr.-Ing. Sandra Gelbrich, Henrik Funke, Andreas Ehrlich
Steinbeis-Innovationszentrum FiberCrete (FC) (Chemnitz)
su1612@stw.de | www.steinbeis.de/su/1612

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