Ein Frühwarnsystem für Migränepatienten

Steinbeis-Forscher entwickeln Untersuchungsmethode

Migränepatienten können ein Lied davon singen: Anfallartige Schmerzattacken, die unbehandelt einen bis drei Tage andauern, und durchaus mehrmals im Monat vorkommen können, beeinflussen die Lebensqualität stark. Vor einem Anfall klagen Patienten zwar vermehrt über Müdigkeit, Nackensteifigkeit oder auch Aufmerksamkeitsprobleme, ließe sich ein Anfall aber objektiv vorhersagen, könnte medikamentös und nicht-medikamentös vorbeugend behandelt werden: Für Patienten bedeutet dies eine spürbare Verbesserung ihrer Situation. Das Steinbeis- Forschungszentrum Psychophys an der Universität Rostock entwickelt aktuell eine Vorhersageuntersuchung, die der Patient zuhause durchführen kann, und untersucht sie in einer Pilotstudie.

Während eines Migräneanfalls lassen sich kurzzeitige elektrophysiologische und Blutgefäßveränderungen bei Patienten beobachten, die Forscher durch funktionelle Störungen im Hirnstamm erklären. Im Gruppenvergleich zwischen Migränepatienten und Gesunden sind im EEG deutliche Unterschiede in den Amplituden und Latenzen einzelner Komponenten erkennbar. Und auch bei der Messung der contingent negative variation (CNV), einem einfachen Aufmerksamkeitsparadigma, das eine standardisierte Erwartungssituation hervorruft und den dabei entstehenden hirnelektrischen Veränderungen, sind deutliche Gruppenunterschiede zwischen Gesunden und Migränepatienten feststellbar. Dabei lassen sich sowohl Amplitudenunterschiede als auch eine veränderte Habituation während der Messung aufzeigen. Die Erkenntnisse beziehen die Steinbeis-Forscher in ihre Untersuchungsmethode mit ein.

Darüber hinaus weisen Migränepatienten in den letzten Tagen vor und auch während des Anfalls besonders ausgeprägte elektrophysiologische Veränderungen auf: vor dem Anfall ist ein auffälliger Anstieg der elektrokortikalen Negativierung bei der CNV-Messung messbar, während des Anfalls dagegen normalisiert sich diese wieder. Forscher haben erkannt: bei besonders ausgeprägter Negativierung ist ein folgender Migräneanfall sehr wahrscheinlich.

Diese elektrophysiologischen Veränderungen um einen Migräneanfall treten systematisch auf. Daher setzen Forscher die Messmethodik und ihr Ergebnis zur Ankündigung eines Anfalls ein. Wenn mit Hilfe der CNVMessung ein Migräneanfall vorhergesagt werden kann, würden sich neuartige nicht-medikamentöse und medikamentöse Möglichkeiten anbieten, um den erwarteten Migräneanfall verhindern zu können. So könnte die in dieser Phase gesteigerte kortikale Erregbarkeit kurzfristig für wenige Tage medikamentös reduziert werden, beispielsweise über schnell wirkende Kurzzeit-Beta-Rezeptorenblocker; eine tägliche medikamentöse Vorsorge könnte dann vermieden werden. Auch nicht-medikamentös könnte durch Anwendung der Progressiven Muskelrelaxation als Entspannungstechnik die kortikale Hyperaktivität abgebaut werden.

Bisher war die Messung der CNV-Amplitude nur in Labors mit einer entsprechend aufwendigen Infrastruktur möglich. Deswegen konnte die Anwendung der CNV-Messung als Vorwarninstrument nur vereinzelt und mit hohem Aufwand eingesetzt werden. Die Steinbeis-Forscher wirken dem entgegen: Ihre Entwicklung bedeutet für Migränepatienten einen wesentlichen Schritt in Richtung einer Normalisierung des Alltags.

Kontakt

Prof. Dr. Peter Kropp, PD Dr. Wolfgang Meyer
Steinbeis-Forschungszentrum Psychophys (Rostock)
su1546@stw.de | www.steinbeis.de/su/1546

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