Mathematisch, logisch, hocheffizient

Intelligente Tools zum Beherrschen der Variantenvielfalt im Automotivebereich

Der extreme und weiter ansteigende Variantenreichtum deutscher Automobile kann zu Problemen in der Produktion führen. Die Ursache sind oft Fehler in der Produktdokumentation (PDM). PDM umfasst die Pflege der Regelwerke für die Konfigurationsmöglichkeiten der Sonderausstattungen im Verkauf und für die Teileversorgung in der Produktion. Beide Regelwerke bestehen üblicherweise aus mathematischen Formeln. Moderne Software-Tools, die auf Methoden der Künstlichen Intelligenz beruhen, nutzen hocheffiziente mechanische Beweisverfahren, um die Komplexität der Regelwerke beherrschbar zu machen.

PDM findet üblicherweise auf zwei Ebenen statt und bedient sich der mathematischen Logik (Boole’sche Algebra). Alle Sonderausstattungen, aber auch andere Einflussgrößen wie Länder werden durch logische Symbole (Code) repräsentiert. Mittels mathematisch-logischer Verknüpfungen wie UND, ODER, NICHT können Bedingungen für die Konfiguration von Fahrzeugen und die Verwendung von Teilen formuliert werden. Auf der höheren Ebene der Konfiguration wird festgelegt, welche Konfigurationsmöglichkeiten der Kunde hat, d.h. welche Kombinationen von Sonderwünschen bestellt werden können. Wegen der astronomischen Zahl an möglichen Konfigurationen – typische Größen bewegen sich zwischen etwa 1020 bis 1040 pro Baureihe – können diese nicht explizit in einer Tabelle aufgelistet werden. Stattdessen legt man die Randbedingungen der Konfiguration in Tausenden von Formeln fest, und die Konfigurationsmöglichkeiten ergeben sich implizit als die möglichen Lösungen des Formelwerks. Jede solche Lösung ist eine gültige Konfiguration, also die Menge der Sonderausstattungen und sonstigen Produktionsparameter für das jeweilige Fahrzeug.

Auf der niederen Ebene der Konfiguration müssen nachfolgend für jedes Fahrzeug genau die für seine Produktion benötigten Teile in der Stückliste der Baureihe gefunden werden, also in der Menge aller Teile, aus denen Fahrzeuge dieser Baureihe zusammengesetzt sein können. Auch hier kommen wieder Formeln der mathematischen Logik zum Einsatz. Zu jedem Teil in der Stückliste wird die Bedingung, unter der es in einem Fahrzeug gebraucht wird, als Formel hinterlegt. Das Teil wird genau dann für ein Fahrzeug benötigt, wenn seine Bedingung auf die betreffende Fahrzeugkonfiguration zutrifft.

Durch die enorme Variantenvielfalt ergeben sich zahlreiche Probleme auf beiden Ebenen der Konfiguration. Allerdings erlaubt es die Sprache der mathematischen Logik auch, viele dieser Probleme mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz, speziell mit automatischen Beweisverfahren sehr effizient und mit mathematischer Präzision zu lösen. So bietet das Steinbeis-Transferzentrum Objekt- und Internet-Technologien (OIT) in der Programmbibliothek Auto.Lib verschiedene Prüf- und Analyseverfahren, aber auch Editoren und Darstellungsmethoden an, die für die Automobilindustrie maßgeschneidert und optimiert sind.

Auf der höheren Ebene der Konfiguration stellt sich beispielsweise die Frage, welche Sonderausstattungen nun für eine bestimmte Motorisierung und ein bestimmtes Land erlaubt respektive verboten oder zwingend sind. Diese Information ist in den Konfigurationsregeln nicht explizit aufgeführt, sondern ergibt sich implizit durch die Lösungsmöglichkeiten des Regelwerks. Zusätzlich können beispielsweise auch zulässige Kombinationen (beispielsweise Paare) von Sonderausstattungen effizient bestimmt werden. Insgesamt ergibt sich die Möglichkeit, beliebige Anfragen an das Konfigurationsregelwerk zu stellen (beispielsweise ob die eine Ausstattung die andere erzwingt) und effizient beantwortet zu bekommen, auch wenn die Antwort sich nur indirekt aus dem Zusammenspiel der Regeln ergibt.

Auf der Ebene der Stücklisten ergeben sich zunächst die klassischen Probleme der Doppeltreffer und Fehltreffer. Die Stückliste ermöglicht einen Doppeltreffer, falls es möglich ist, ein Fahrzeug zu konfigurieren, das zwei alternative Teile gleichzeitig auslöst (zwei Lenkräder). Sie ermöglicht einen Fehltreffer, falls es möglich ist, ein Fahrzeug zu konfigurieren, das kein einziges aus einer notwendigen Menge von Teilen auswählt (kein Lenkrad). Hier spielen also zwei getrennte Regelwerke zusammen, die ungewollte Widersprüche enthalten können. Die Variantenvielfalt erzwingt mechanische Lösungsverfahren, da es nicht möglich ist, gigantische Mengen von möglichen Konfigurationen Stück für Stück auf Problemfahrzeuge hin zu durchsuchen. Das Steinbeis-Transferzentrum Objekt- und Internet-Technologien bietet in seiner Bibliothek effiziente Lösungen solcher klassischen Stücklistenprobleme out-ofthe- box an. Eine ausgefeilte Erklärungskomponente erlaubt es dabei, die Ursachen von Fehlern auch in hochkomplexen Regelwerken schnell und zielgerichtet zu analysieren und nachfolgend zu korrigieren.

Die Formeln der Produktkonfiguration spielen an sehr vielen Orten eine wichtige Rolle, vom Verkauf über die Entwicklung und Produktion bis zur Ersatzteilversorgung. Basierend auf den Rechenverfahren des Steinbeis- Transferzentrums OIT sind viele weitere Problemlösungen und Analysemethoden möglich, darunter ein Editor zur Erstellung fehlerfreier Positionen in der Stückliste, die Analyse von Zusammenbaustrukturen, die Unterstützung der Rekonfiguration und Optimierung der Konfiguration sowie die Umformung, Vereinfachung und graphische Darstellung von logischen Formeln.

Kontakt

Professor Dr. Wolfgang Küchlin ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Objekt- und Internet- Technologien an der Universität Tübingen. Das Transferzentrum bietet seinen Kunden anwendungsorientierte Forschung und Prototypen-Entwicklung, Entwurf und Erstellung von industriellen Software-Lösungen in Java und C++ sowie Beratung, Gutachten, Studien und Schulung in diesen Bereichen.

Professor Dr. Wolfgang Küchlin
Steinbeis-Transferzentrum Objekt- und Internet-Technologien (Tübingen)
SU0411@stw.de

Seite teilen