Kunst, in Zahlen gefasst

Erfassung und Bewertung der musealen Kunstgegenstände einer Kommune

Bei der Erstellung einer Eröffnungsbilanz für eine Kommune muss eine Vielzahl von Vermögensgegenständen erstmalig bewertet werden, die in vergleichbarer Form in Wirtschaftsunternehmen nicht vorhanden sind und für die daher auf keine erprobte Bewertungspraxis zurückgegriffen werden kann. Analog zu den Branchenlösungen in der Wirtschaft müssen hier spezifische Bewertungsprinzipien entwickelt und zweckadäquate Wertansätze ermittelt werden. Dies gilt in besonderem Maße für die zahlreichen Kunstgegenstände, Kulturgüter und Sammlungen im Besitz der Kommunen. Prof. Dr. Bärbel Held, Leiterin des Steinbeis-Transfer-Instituts Institute of Economics, hat mit einem Wirtschaftsunternehmen den Auftrag übernommen, neben der Entwicklung eines praxisorientierten Ansatzes zur Erfassung der Kunstgegenstände und Kulturgüter auch ein Bewertungsmodell zu entwickeln, nach dem diese Kunstgegenstände für die Bilanzierung vorbereitet werden.

Zu erfassen, in ein Mengengerüst zu überführen und zu bewerten waren rund 1,6 Mio. Objekte in sieben teilweise überregional bedeutsamen Museen in einer Großstadt in den neuen Bundesländern, von denen rund 470.000 Objekte letztendlich als Kunstgegenstände qualifiziert wurden. Nach der Erfassung der Kunstgegenstände in der Inventarliste sind die Gegenstände einer Bewertung zu unterziehen. Hierzu sind verschiedene Modelle denkbar, die gängigste Form ist die Bewertung gemäß des „Ein-Euro- Prinzips“. Bärbel Held sieht dieses Prinzip allerdings kritisch: „Im Ein-Euro-Prinzip ist nach Sinn und Zweck der Bilanzierung der Informationsgehalt für die Shareholder nicht gegeben“, erklärt die Expertin.

Die Modellentwicklung erfolgte in Anlehnung an das Hessische Bewertungsmodell, in dem Wertkategorien und deren Wertbetrag in drei Wertkategorien (A: sehr wertvolle Gegenstände, B1 – B6: Gegenstände von mittlerem Wert, C: geringwertige Gegenstände) bereits festgeschrieben sind. Problematisch ist dann allerdings die Kategorisierung der Kunstgegenstände in diese Wertgrenzen. Nach welchen Kriterien können die Kunstgegenstände den verschiedenen Wertgruppen zugeordnet werden, in welcher Reihenfolge hat die Bewertung zu erfolgen? Hierzu war es notwendig, Kriterien für die Zuordnung zu bestimmen und ein praxisorientiertes Vorgehensmodell zu entwickeln. Folgende Bewertungsrangfolge schlug das Projekt-Team vor, um den gegenwärtigen rechtlichen Grundsätzen zur Aufstellung der Eröffnungsbilanz in Kommunen Rechnung zu tragen:

  1. Bewertung zu Anschaffungsund Herstellungskosten (AHK) 
  2. Bewertung zu Ersatzwerten gemäß vorliegender Gutachten 
  3. Bewertung zu vorliegenden Versicherungswerten/ Spendenwerten/ Schenkungswerten 
  4. Bewertung zu Vergleichswerten/ Listenpreisen 
  5. Bewertung nach einem


Bewertungsmodell Nach den kommunalen Ordnungen ist das Vermögen dem Gemeinwohl gewidmet und daher grundsätzlich in seiner Substanz zu erhalten, also auch für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. In dem Modell wurde nun ein Bewertungsansatz gewählt, der die Bedeutung der Kunstgegenstände und Kulturgüter für die Aufgabenerfüllung der Kommunen auch bei der Bilanzierung berücksichtigt. Integriert in diesen Vorschlag ist die Idee eines indikativen Modells in Anlehnung an die Überlegungen zur Methodik der Bewertung immaterieller Vermögenswerte in der Handelsbilanz. Auch hier gibt es noch keine genormten Bewertungsverfahren, das immaterielle Vermögen ist nicht zuverlässig und nachvollziehbar bewertbar. Daher bietet es sich an, auch für die Bewertung von Kunst- und Kulturgütern Kriterien und Indikatoren zur Bewertung heranzuziehen. Ihre Wirkungen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene können als „gesellschaftliche Werte“ bezeichnet werden, die nach dem hier vorgeschlagenen multiplen Modell in verschiedenen Kategorien eingeteilt werden können.

Zum Begründungszusammenhang rezeptierte Bärbel Held die Literatur zur Problematik der Ökonomisierung von Kunst und Kultur und wertete die Modelle der Versicherungsunternehmen und der Auktionshäuser aus. Direkt untersucht unter Anwendung der qualitativen Methoden nach Mayring wurden zehn verschiedene Museen und Einrichtungen. Die Steinbeis-Experten führten zwei verschiedene Interviewformen mit Experten durch und animierten die Interviewpartner zum Erzählen, so dass die Möglichkeit gegeben war, dass sich subjektive Bedeutungs strukturen im freien Erzählen über bestimmte Ereignisse herausschälten, die sich einem systematischen Abfragen verschließen würden. Im problemzentrierten Interview wurde vorab ein Interviewleitfaden erstellt, der die Befragten zwar auf bestimmte Fragestellungen hinleitete, sie sollten und konnten aber offen, ohne Antwortvorgaben, darauf reagieren. Aus diesen Fallstudien wurden dann folgende Indikatoren zur Bewertung der Kunstgegenstände gewählt:

  • Optionswert: Das Angebot kann für ein Individuum genutzt werden, die Option steht nach Belieben und Bedarf offen.
  • Existenzwert: Dieser Wert steckt z. B. in historischen Bauten, die einen Wert durch ihr Vorhandensein an sich haben.
  • Vermächtniswert: Er meint die Verpflichtung des Erhalts von Kunstwerken für die nachfolgenden Generationen, auch, wenn sie zum heutigen Zeitpunkt ihre Wertschätzung noch nicht zum Ausdruck bringen können.
  • Prestigewert: Dieser sorgt für die Stärkung der kulturellen Identität.
  • Bildungswert: Künstlerische Aktivitäten unterstützen nicht nur die kulturelle Integration, sie fördern auch die Kreativität und die Bildung ästhetischer und anderer Maßstäbe.


Diese gesellschaftlichen Werte dienen als Grundlage und Legitimation öffentlicher Finanzierung. Sinn kommunaler Kulturgüter ist ihr „sozialer oder gesellschaftlicher Wert“. Andererseits haben Kunstgegenstände teilweise wertbildende Faktoren in sich, die vor allem bei ihrer Bewertung zu Verkaufszwecken und ähnlichen marktgerechten Handlungen eine große Rolle spielen. Diese marktwirtschaftlichen Faktoren können sein:

  • Echtheit: Die Echtheit eines z. B. Bildes bestimmt ganz wesentlich seinen Wert.
  • Erhaltungszustand: Auch der Erhaltungszustand gehört zu den wertbildenden Faktoren eines Kunstwerks. Dieser ist jedoch nicht immer ohne umfangreiche Technik nachprüfbar. Er soll deshalb hier als Gewichtungsfaktor nach einem Erhaltungszustandsmodell zum Ansatz kommen.
  • Signatur: Wenn man bei einem boomenden Kunstmarkt gelegentlich hört, man orientiere sich beim Kauf mehr an den Namen als an Qualität, spricht dies für sich.
  • Marktfrische und Marktgängigkeit, Marktnachfrage und Mode: Letztere werden am Käufermarkt klassisch zu wertbildenden Faktoren gezählt.


Die Bewertung erfolgt nach dem Scoringmodell (numerisches Modell). Dazu wird ein Punktwert je Indikator im Notensystem festgelegt; dieser ist für alle Kunstkategorien allgemeingültig. Das Projekt-Team erarbeitete hierzu einen Vorschlag. Im Anschluss ist eine Gewichtung der Einzelkriterien für jede Kunstart separat durchzuführen, hierzu wurde für jede Kunstkategorie eine Tabelle mit Gewichtungsfaktoren und den dazu führenden Begründungen entwickelt. Zuletzt wird durch Multiplikation des Punktwertes mit der Gewichtung eine Gesamtpunktzahl berechnet. Diese ist dann den einzelnen Wertkategorien von A, B1-B6 zuzuordnen.

Um für die Bewertung der Kunstgegenstände Entscheidungshilfe zu leisten wurde ein Katalog aufgebaut. In einer Excel-Erfassungsliste wurde dann ein entsprechendes Scoring-Modell hinterlegt. Die Bewerter brauchten demnach nur noch eine Kategorisierung gemäß des Kataloges in „Schulnoten“ in fünf Kategorien vornehmen. Der Wert des Kunstgegenstandes errechnet sich danach automatisch und wird auch automatisch in die Inventarliste überschrieben.

Kontakt

Professor Dr. Bärbel Held
Steinbeis-Transfer-Institut of Economics (Berlin/Dresden)

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