Waren die Beschäftigten früher zuverlässiger? Pünktlich, ehrlich, fleißig, sorgfältig und pflichtbewusst – so stand‘s lange Zeit in ihren Zeugnissen. Heute sind diese Begriffe nicht mehr in. Sind deshalb die damit gemeinten Tugenden out? Ideale Mitarbeiter haben heute andere Qualitäten – sie sind flexibel, dynamisch, querdenkend, lean- und teamfähig. Uns qualitätsbewussten Zeitgenossen ist klar, dass sich Qualitäten auf Dauer nur durch Zuverlässigkeit halten lassen. Wenn es um Produktqualität geht, besteht Einigkeit: lässig, nachlässig oder gar fahrlässig zu sein, können wir uns da nicht leisten. Doch wie sieht es mit der Qualität menschlichen Verhaltens aus?
Wir benehmen und kleiden uns lässig. Unsere Arbeit erledigen wir zuverlässig. Können wir lässig und zuverlässig zugleich sein? Wenn wir unsere Lässigkeit nur in der Freizeit, in Phasen der Entspannung, pflegen und genießen, müsste es gelingen. Jedenfalls sollten sich alle Menschen, mit denen wir privat oder beruflich eine Gemeinschaft bilden, auf uns verlassen können. Ich möchte die Aufmerksamkeit vor allem auf die Zuverlässigkeit am Arbeitsplatz richten. Es besteht für mich ein auffälliger Unterschied zwischen dem Qualitätsbewusstsein in der Produktion einerseits und dem in der Verwaltung andererseits, nicht selten sogar im selben Unternehmen. Der Verdacht, dass Erfolg durch wenige Lässige, wo immer sie ihren Platz in der Unternehmensverwaltung (noch) haben, nachhaltig verhindert werden kann, wird sich beim genauen Hinsehen leider bestätigen. Was liegt im Argen? Zum Beispiel dies: Mitarbeiter können nicht qualifiziert reagieren, weil Lässige ihnen die dafür notwendige Information vorenthalten. Der Virus Schlendrian verbreitet sich durch die Lässigen wesentlich schneller als die Immunzellen Arbeitsmoral nachwachsen können. Der lässige Umgangston, das lässige Verhalten übertragen sich fatalerweise auf den Arbeitsstil.
Was ist zu tun? Wir brauchen Qualitätsmanagement nicht nur in der Produktion! Gerade in den Verwaltungen finden wir immer noch zu viele Lässige. Ich meine, wir brauchen auf jedem Stuhl, an jedem Schreibtisch einen zuverlässigen Menschen. Mag er nun flexibel, dynamisch, querdenkend, pünktlich oder fleißig sein, er muss seine Arbeit so gut machen (dürfen) wie er kann. Wenn es stimmt, was Reinhard K. Sprenger in seinem Buch „Mythos Motivation“ behauptet, so hat jeder genügend Eigenmotivation, die zu pflegen und zu erhalten sich allemal lohnt. Es gibt viele Beispiele und Erklärungen dafür, wie durch lässige Mitmenschen die Eigenmotivation anderer im Laufe eines Berufslebens beschädigt wird.[...]
Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit, Anmaßung, Wichtigtuerei, Lässigkeit. Wenn ich so klage, höre ich immer wieder, wie streng ich doch mit meinen Mitmenschen umgehe – das sei doch alles menschlich, und Fehler macht schließlich jeder mal, und überhaupt: Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein! Nein, ich werfe nicht. Auch ich mache Fehler. Aber – es ist mir nicht gleichgültig! Deshalb einige Vorschläge zum Qualitätsmanagement in Organisation und Verwaltung. Was ist zu tun?
Renate Fehrenbach (1933–2007)