Neue Wege zu bio-inspirierten Peptidwirkstoffen

Steinbeiser entwickeln Verfahren zur molekularen Identifizierung von Kohlenhydrat-spezifischen Lectin-Peptiden

Glykoside werden gebildet wenn Kohlenhydrate an Nicht-Zucker, wie beispielsweise Proteine, mit Hilfe spezifischer Enzyme gebunden werden (Glykosylierung). Glykosilierungen treten sehr häufig auf, mehr als die Hälfte aller Proteine sind glykosyliert. Protein-Kohlenhydrat- Wechselwirkungen gehören zu den wichtigsten biologischen Interaktionen, bei der Erkennung und Signalübertragung an Zelloberflächen, Zellmembrantransport-Prozessen, bei Infektionen oder der Metastasierung von Tumorzellen. Eine Vielzahl von Kohlenhydrat bindenden Proteinen sind Ausgangsmoleküle für Ermittlung und Design von Peptiden als neue, zum Beispiel antitumoral wirksame Wirkstoffe. Zur Aufklärung derartiger biologisch inspirierter Biomoleküle haben die Experten am Steinbeis-Transferzentrum für Biopolymeranalytik und Biopolymer-Massenspektrometrie an der Universität Konstanz die neue Methode CREDEX-MS („Carbohydrate REcognition Domain EXcision - Mass Spectrometry“) entwickelt.

CREDEX-MS stellt eine Kombination von enzymatischer Proteolyse und massenspektrometrischer Identifizierung der spezifischen affinitätsgebundenen Peptidfragmente eines Kohlenhydrat bindenden Proteins dar. Mit Hilfe von CREDEX-MS konnten die Steinbeiser an der Universität Konstanz in den antitumoral wirksamen Verbindungen Galectinen die Kohlenhydrat spezifischen Bindungsepitop-Peptide exakt identifizieren. Dieses Verfahren bietet die Möglichkeit, mit geringsten Proteinmengen Peptid-Biomarker von Lectinen auf der Ebene der molekularen Bindungsstellen als Grundlage für die Entwicklung von neuen Antitumor- Peptidwirkstoffen zu erhalten.

Die vielfältigen biologischen Funktionen von Protein-Kohlenhydrat-Erkennungsprozessen bilden ein bedeutendes Potenzial für medizinische Anwendungen [1]. Ein Beispiel hierfür sind die Interaktionen von Galaktosiden, also Glykoside die Galaktose enthalten, die dank ihrer strategischen Positionierung auf Zelloberflächen und ihrer großen Bedeutung für die zelluläre Erkennung wichtige Bindungspartner für endogene Lektine sind. Über ihre Funktion als Glyco-Biomarker hinaus stellen Galaktoside wichtige bioaktive Liganden für die Entwicklung von Leitsubstanzen für neue Lectin basierte Kohlenhydrat-Wirkstoffe dar. Galectin-1 und Galectin-3 (Gal-1, Gal-3) sind zwei der bekanntesten menschlichen Galektine, die unter anderem als Zell-Effektoren bei der Zellzykluskontrolle wirksam sind und als prognostische Faktoren bei der Ausbreitung von Tumoren im Gewebe fungieren. Somit könnte die Identifizierung und Verfügbarkeit von Peptiden, die die Spezifitäten von Galektinen imitieren, die Entwicklung von diagnostischen Tests zum Nachweis von bösartigen Prozessen ermöglichen. Das Design von biologisch inspirierten Peptiden, die Teile der Bindungsstelle(n) eines Rezeptors imitieren, gewinnt daher zunehmendes Interesse.

Wie identifiziert das CREDEX-MS Verfahren Kohlenhydrat-bindende Peptide? In einem Versuch (genannt Exzision) haben die Steinbeis-Experten Lactose (ein Disaccharid, bestehend aus Galactose und Glucose) auf einem gelartigen festen Träger (Sepharose 4B) immobilisiert. Auf 200 μL der resultierenden Affinitätsmatrix wurden 50 μg menschliches wachstumsregulierendes Galectin-3 gebunden. Das Lektin erkennt und bindet die Lactose und bildet mit ihr einen Komplex. Lektin-Überschuss und nicht bindendes Material (Verunreinigungen) werden durch Waschen entfernt. Anschließend erfolgt ein proteolytischer Abbau des affinitätsgebundenen Gal-3-Lactosekomplexes mit Trypsin. Durch die Bindung an den Zucker werden die gebundenen Teile des Lektins vor dem Abbau durch Trypsin geschützt und verbleiben auch beim Waschen am Zucker gebunden. Die nicht-bindenden tryptischen Peptide wurden vollständig durch Waschen entfernt. Die verbleibenden affinitätsgebundenen Peptidfragmente wurden mit Lactose, oder einem geeigneten organisch- wässrigen Gemisch gelöst und mittels MALDI-Massenspektrometrie analysiert. Die MALDI-Massenspektrometrie lieferte zwei spezifische Peptide, hG3.1 (Gal-3(152-162)) und hG3.2 (Gal-3(177-183)), die alle wesentlichen Laktose-Bindungsstellen des Galectin-3 enthalten und somit die bioaktiven Sequenzen des Lectins darstellen, in völliger Übereinstimmung mit der Röntgenkristallstruktur des Gal-3-Laktosekomplexes (s. Abb. 1 B, C) [3]. Bindungsexperimente mit den synthetischen Peptiden hG3.1 und hG3.2 an Laktose bestätigten den Steinbeisern vollständig die Spezifität der Bindung [3]. Von besonderem Interesse ist, dass die synthetischen Peptidliganden spezifische Inhibierung der Bindung von Galectin-3 an Tumorzell-Oberflächen zeigen. In jüngsten Untersuchungen konnte die CREDEX-MS Methode mit Erfolg bereits in einer Reihe von Kohlenhydratkomplexen von Lectinen angewendet werden: In allen Fällen wurden spezifische bioaktive Peptidliganden identifiziert, in den meisten Lectinen ohne Vorliegen von Strukturdaten der Kohlenhydratkomplexe.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen klar das Potenzial der CREDEX-MS Methode, mit der bioaktive Peptide durch proteolytische Excision mit minimalen Mengen und nur geringen Reinheitsanforderungen der Kohlenhydratkomplexe direkt identifiziert werden können. Die identifizierten Peptidsequenzen enthalten stets die wesentlichen Interaktionen des intakten Lectins. Der kombinierte Ansatz aus proteolytischer Exzision und Massenspektrometrie liefert eine wichtige Grundlage für die Aufklärung und Optimierung von bioaktiven Peptiden aus Lectinen und anderen Kohlenhydrat bindenden Proteinen, und bietet vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten, z.B. für die Entwicklung von spezifischen wachstumsregulierenden Peptiden von Tumoren, Peptiden der T-Zell- Kommunikation, oder der Identifizierung von sekundären oder erweiterten Bindungsstellen für Kohlenhydrate.

Quellen:

[1] Gabius, HJ.; André, S.; Jimenez-Barbero, SS.; Romero, A.; Solís, D. From lectin structure to functional glycomics: principles of the sugar code. Trends in Biol. Sciences 2011; 36 (6), pp. 298-313.
[2] Przybylski, M.; Moise A. Method for the identification of ligandcontacting peptides. EU-Patentanmeldung (2011).
[3] Moise, A.; André, S.; Eggers, F.; Krzeminski, M.; Przybylski, M.; Gabius, HJ. (2011) Toward Bioinspired Galectin Mimetics: Identification of Ligand-Contacting Peptides by Proteolytic-Excision Mass Spectrometry. J. Am. Chem. Soc. 133, 14844-14847.

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