Der Herstellungsprozess von Bauteilen hat bei fast allen Materialien einen Einfluss auf die Mikrostruktur und damit auf die mechanischen Eigenschaften. Die Prozessbedingungen und Materialkenngrößen prägen die Phasenumwandlungen und Wachstumsmorphologien der Mikrostruktur. Die charakteristischen Gefügekenngrößen der entstehenden Struktur bestimmen maßgeblich die Qualität des Werkstoffs. Die Simulationssoftware Pace3D des Steinbeis-Transferzentrums Werkstoffsimulation und Prozessoptimierung an der Hochschule Karlsruhe stellt einen aktuellen Trend in der Werkstofftechnik dar: eine zeit- und ressourcensparende Technologie zur Entwicklung von Werkstoffen, zur systematischen Untersuchung von Gefüge-Eigenschafts-Korrelationen, zur Lebensdauervorhersage und Prüfung von Bauteilen.
Moderne Simulationstechniken, wie sie in Pace3D eingesetzt werden, ermöglichen den in-situ Einblick nicht nur in das Endgefüge, sondern auch in den dreidimensionalen Strukturbildungsprozess. Oftmals können Qualitätsmerkmale von Werkstoffen und Prozessen durch eine geringe Änderung des Bearbeitungsvorgangs oder durch eine Variation der Zusammensetzung erreicht werden. Das Softwarepaket Pace3D zur Mikrostruktursimulation erlaubt eine detaillierte Bestimmung der Reaktion des Werkstoffs auf externe Einflüsse wie thermische, magnetfeldinduzierte und mechanische Belastungen oder strömungsmechanische Einwirkungen. In vielen Herstellungsprozessen ist die polykristalline Kornstruktur und die Korngrößenverteilung ein entscheidendes Kriterium für die Härte und Bruchfestigkeit des Materials. Im Einsatz ist der Werkstoff oftmals einer thermomechanischen Belastung ausgesetzt, die eine sukzessive Gefügeänderung und einen fortschreitenden Verschleiß des Bauteils bewirkt. Durch eine gezielte Prozessführung lassen sich die Gefügeentstehung und anschließende Mikrostrukturänderung kontrolliert beeinflussen und Material mit spezifischen Eigenschaften computergestützt designen. Die Berechnungen ersetzen zu einem hohen Maß die experimentelle, metallographische und mechanische Gefügecharakterisierung, die oftmals eine Zerstörung der Bauteile erforderlich macht. Der Werkstoff, das Bauteil und der Prozessablauf der Zukunft lassen sich durch Verfahren der Werkstoffsimulation ressourcen- und energieeffizient am Computer entwerfen. Aufwendige Versuche können eingespart und Schwachstellen im Designstadium am Computer verhindert werden. Pace3D unterstützt diesen modernen Werkstoffentwicklungsprozess und stellt mit seiner Ausrichtung auf die Simulation der Mikrostrukturausbildung einen zentralen Bestandteil für die weltweit anerkannte Zukunftstechnologie des „Integrated Computational Materials Engineering“ (ICME) dar. ICME ist eine neue, rasch aufstrebende Disziplin der Materialforschung, die als Vision eine rechenbasierte Produkt- und Werkstoffentwicklung durch Integration skalenübergreifender materialwissenschaftlicher Simulationsmethoden zu einem ganzheitlichen System erklärt.
Neue Softwarepakete zur Mikrostruktursimulation, darunter auch Pace 3D analysieren, wie sich externe Belastungen auf die Werkstoffeigenschaften auswirken. Durch Berechnungen lässt sich z. B. die Kornvergröberung unter Einfluss einer Wärmebehandlung (Abb. 1) oder die Bildung von Rissen unter kontinuierlicher oder zyklischer Belastung durch eine von außen angelegte Kraft untersuchen. So wurde bei der Simulation in Abb. 2 die Materialprobe mit einer konstanten Zugspannung in vertikaler Richtung belastet. Es bildet sich ein Riss aus, der bevorzugt entlang der Korngrenzen verläuft. Als weiteres Anwendungsbeispiel aus dem Bereich der mechanischen Beanspruchung lässt sich das Versagen von Materialien durch Festigkeitsanalysen untersuchen. Hierbei werden Versuche mit unterschiedlichen Nennspannungen und Belastungsdauern durchgeführt. Bei den entsprechenden Gefügesimulationen in Abb.3 wurde der Zeitpunkt des Versagens für einen Werkstoff mit eingeschlossenen Partikelverteilungen unter zyklischer Belastung bestimmt. Als Ergebnis ergibt sich eine Wöhlerkurve, die die Betriebsfestigkeit für verschiedene Mikrostrukturproben vorhersagt. Durch eine gezielteProzessführung lässt sich die Gefügeentstehung kontrolliert beeinflussen und Material mit spezifischen Eigenschaften computergestützt entwickeln.
Pace3D ist ein umfangreiches Softwarepaket für großskalige parallele 3D-Simulationen auf Hochleistungsrechnern mit einer integrierten Datenanalyse und qualitativ hochwertigen Visualisierungen der Mikrostrukturausbildungsprozesse in metallischen Legierungen und anderen Materialien wie Keramiken, Polymeren, biologischen oder geologischen Systemen. Die Software umfasst Methoden zur Berechnung von Phasenumwandlungsprozessen in heterogenen mehrphasigen Materialsystemen unter Berücksichtigung von anisotropen Werkstoffeigenschaften sowie Massenund Wärmediffusion, Konvektion, Elastizität, und Plastizität. Neben einem Löser zur Bestimmung der thermo- und chemo-mechanischen Spannungsverteilung enthält das Softwarepaket Module zur Berechnung von Mehrphasenströmung auf Basis der Navier-Stokes Gleichungen oder des Lattice Boltzmann Modells. Die Strömungslöser erlauben die Simulation des Wärmetransportes in durchströmten porösen Medien unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Phasenumwandlungen oder die Berechnung von strömenden Phasengemischen aus mehreren flüssigen und festen Phasen. In Anwendungen konnte die Flüssigkeitspropagation in Kanalstrukturen und das Benetzungsverhalten auf topologisch oder chemisch strukturierten Oberflächen untersucht werden. Es lassen sich Schlussfolgerungen zur Reduktion der Korrosionsanfälligkeit ableiten. Abgestimmt auf die speziellen Anforderungen des zu beschreibenden Prozesses können die verschiedenen Module kombiniert und für die Beschreibung der Phasenzustände, der Partikelsysteme, der Strömungsprozesse und für die Behandlung mechanischer Druck- und Zugspannungen eingesetzt werden.
Die Software Pace3D ist in C/C++ unter Linux implementiert. Simulationen können sequentiell und parallel auf Hochleistungsrechnern unter Einbindung der MPI Bibliothek durchgeführt werden. Die modulare Struktur der Software erlaubt eine auf spezielle Anforderungen des Materialsystems und Prozesses angepasste Konfiguration der Simulationsrechnungen. Es können einzelne Module wie mehrphasige Materialien, Diffusion, Mechanik und Strömung anwendungsspezifisch kombiniert werden.
Prof. Dr. Britta Nestler und Michael Selzer leiten zusammen das Steinbeis-Transferzentrum Werkstoffsimulation und Prozessoptimierung an der Hochschule Karlsruhe. Das Dienstleistungsangebot des Zentrums umfasst die Entwicklung von Modellen und Softwarelösungen, die Durchführung von Simulationsstudien zur Werkstoff- und Prozessanalyse sowie die Vorhersage äußerer Einflussgrößen auf die Gefügeänderung mit dem Ziel einer optimierten Prozessauslegung und eines virtuell unterstützten Materialdesigns.
Michael Selzer | Prof. Dr. Britta Nestler
Steinbeis-Transferzentrum Werkstoffsimulation und Prozessoptimierung (Karlsruhe)