„Neue herausragende Werkstoffe sind die nachhaltigsten Innovationen“

TRANSFER im Gespräch mit Dr. Alwin Nagel

Herr Dr. Nagel, seit Ihrem Studium der Metallkunde beschäftigen Sie sich konsequent bis heute mit dem Thema Werkstofftechnik. Wieso haben Sie sich für diesen Bereich entschieden, was fasziniert Sie an diesem Fachgebiet?

Werkstofftechnik und Materialwissenschaft sind eine interdisziplinäre Mischung aus Ingenieurkompetenzen und den Naturwissenschaften Physik und Chemie. Das hatte mich zum Studium der Metallkunde gebracht und ist bis heute sehr reizvoll geblieben. In einen Werkstoff oder ein Bauteil und seine Fehler zu blicken, übersetzen wir aktuell beispielsweise mit „korrelativer Mikroskopie“ mittels Computertomographie, Licht- und Elektronenmikroskopie. Mikrostrukturen und Bauteile intelligent zu vermessen und daraus Erkenntnisse zu gewinnen, setzten wir mit unserer Spezialexpertise „quantitative Gefügeanalyse“ und Software-Engineering in die Praxis um. Um neue Materialien mit anwendungsgerecht besseren Eigenschaften zu entwickeln, setzen wir die keramische Pulvertechnologie, Sintern und Metalldruckguss ein. Die ingenieurmäßige Anwendung von Naturwissenschaft und Technik bedeutet immer wieder offen zu sein, neugierig Fragen zu stellen und Lösungen zu finden, das finde ich nach wie vor faszinierend, um Mr. Spock zu zitieren.

Obwohl die Werkstofftechnik für den Laien beinah unsichtbar ist, trägt sie entscheidend zu Lösungen für gesellschaftlich relevante Herausforderungen in vielen Zukunftsfeldern bei. Wie stark sollte Ihrer Meinung nach allerdings bereits bei der Suche nach neuen Materialien die Anwendung im Produkt berücksichtigt werden?

Diese Frage hat mich schon als Doktorand am Max-Planck-Institut für Metallforschung und später als Industrieforscher beschäftigt und ist bis heute aktuell. Zumindest als Vision steht die praktische Anwendung am Anfang einer jeden Suche nach neuen Materialien. Dies gilt selbst für Fragen im Bereich der Grundlagenforschung. In der Konsequenz betreiben somit alle Materialforscher angewandte Forschung. Das meine ich mit praktischem Nutzen des Wissens.

Andererseits habe ich in der Praxis selten erlebt, dass die ursprüngliche Anwendungsidee tatsächlich den späteren Markt für einen neuen Werkstoff darstellte. Meist dauern die Werkstoffinnovationen eben einfach zu lange, der Markt ist zu schnell und es finden sich dann Alternativwerkstoffe. Neue herausragende Werkstoffe finden allerdings immer ihre Anwendung; sie sind somit die langsamsten, aber auch die nachhaltigsten Innovationen. Nicht umsonst ist die Menschheitsgeschichte nach Materialklassen benannt: Stein-, Bronze-, Eisenzeit und heute vielleicht das Siliziumzeitalter.

Lange Zeit beschränkte sich die Werkstofftechnik fast ausschließlich auf die metallischen Werkstoffe, heute verfügen wir dank zahlreicher Entwicklungen in diesem Bereich über eine beachtliche, ständig steigende Vielfalt an Werkstoffen. Welche dieser Entwicklungen sehen Sie als die wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der Werkstofftechnik?

In der Neuzeit sind sicher die Halbleiter der größte Meilenstein. Nicht nur die Elektronik und Informationstechnik wurden möglich, sondern gerade aktuell auch die umweltschonende Energiegewinnung mittels Photovoltaik. Funktionswerkstoffe für elektrische Leiter, Kontakte bis hin zu Supraleitern ergänzen diesen Riesensprung. Innovative magnetische Werkstoffe wie Weichmagnete und Seltenerd-Magnete ermöglichten erst die Nutzung von elektrischer Energie in Form von Generatoren und Elektromotoren. Die zur Elektronik gehörenden Dieelektrika und Isolatoren führen zu den Polymeren, die unsere Welt prägen. Neue Hochleistungspolymere, besonders auch Verbundwerkstoffe mit Carbonfasern sind für die Zukunft von größter Bedeutung und stehen im Wettbewerb mit den etablierten metallischen Leichtbauwerkstoffen, wie wir das im Flugzeugbau und Fahrzeugbau sehen können.

Seit zwölf Jahren sind Sie Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Materials Engineering und seit August 2013 Geschäftsführer der Matworks GmbH, ebenfalls ein Unternehmen im Steinbeis-Verbund. Ihre Steinbeis- Unternehmen bieten Kunden Dienstleistungen in den Bereichen Materialanalytik, Verbund- und Funktionswerkstoffe und legen dabei viel Wert auf ganzheitliche Lösungen. Welche Vorteile bringt dieser ganzheitliche Ansatz Ihren Kunden?

Unsere Kunden sind sehr vielfältig, vom Kleinunternehmen mit einer kritischen, extrem schnellen Schadenanalyse, bis hin zu Großunternehmen mit mehrjährigen Entwicklungsprojekten. Literaturstudien, Patentrecherchen, Machbarkeitsstudien erfordern ganz andere Kompetenzen, wie beispielsweise materialographische Arbeiten, magnetische Messtechnik oder Werkstoffsyntheseprojekte. Gemeinsam ist dabei unser Anspruch, kunden- und problemspezifisch ganzheitliche Lösungen zu finden. Die Kunden schätzen diese Arbeitsweise und empfehlen uns häufig an ihre Nachbarabteilungen weiter. Nachhaltige Kundenzufriedenheit ist somit zugleich ein Kernelement unserer Neukunden-Akquisition.

Sehr häufig gehen wir schrittweise vor, mit Augenmerk auf Effizienz, Erfolgsaussichten und Risiko. Gemeinsam mit unseren Kunden analysieren wir deren Zielsetzungen, entwickeln daraus Maßnahmen, empfehlen effiziente Methoden und gestalten Projektvorschläge. In der Umsetzung bleiben wir nicht bei einzelnen Rohdaten stehen, sondern fügen alle Ergebnisse mit unserem wissenschaftlichen Expertenwissen zu einem Erkenntnisgewinn zusammen. Bei einigen unserer Stammkunden haben wir uns auch bewährt als effiziente Dienstleister für konkrete Messaufgaben; dann fügen die Kunden auf eigenen Wunsch die Analysenergebnisse selbst zusammen. Hier ist im Vergleich zu kundeneigenen Prüflaboren besonders Flexibilität und Schnelligkeit entscheidend. Selbstverständlich setzen wir dabei höchste Qualität in unserem ISO- 9001-zertifizierten Labor und nicht zuletzt bestmögliche Kosteneffizienz voraus.

Wenn es um die aktuellen Trends in den Werkstoffen geht, ist vor allem die Rede von Smart Materials und neuen Werkstoffen auf Nano- und Mikroebene. Wo sehen Sie die zukünftigen Entwicklungen der Branche? Welche neuen Anforderungen werden sich daraus für die Arbeit Ihrer Steinbeis-Unternehmen ergeben?

Werkstoffinnovationen zielen auf neue Märkte und attraktive Anwendungen. Aktuell im Fokus sind die Branchen Ressourcen- und Energieeffizienz sowie die Elektromobilität. Mit unserer engen Verbindung zum forschungsstarken Institut für Materialforschung der Hochschule Aalen gestalten wir gemeinsam die Zukunft, dies ist im klassischen Sinne der Steinbeis-Technologietransfer. Smart Materials entwickeln wir in Gestalt neuer Funktionswerkstoffe, beispielsweise hart- und weichmagnetische Materialien und neue metall-keramische Verbundwerkstoffe oder Batteriespeichermaterialien. Beim Megatrend Leichtbau fokussieren wir aktuell auf die Charakterisierung von Carbonfaser-Verbundwerkstoffen und deren Zerspanbarkeit. Hybrider Leichtbau, also die Kombination von CFK mit Leichtmetallen und Fügetechniken, werden wichtig werden. Aus Sicht der angewandten Forschung und des Technologietransfers sind zudem neue Methoden der Materialanalytik wichtig. Diese müssen im Nanobereich hochaufgelöst, präzise und zugleich schnell sein. Nur dadurch finden sie effizienten Einsatz in der industriellen Praxis. Die Chancen in diesem Nischenbereich mit neuen Technologien einen breitangelegten Nutzen zu erzielen, bestätigen unsere industriellen Partner. Mit den richtigen „Werkzeugen“ sind wir überzeugt, auch in Zukunft für unabsehbare neue Trends bestens aufgestellt zu sein.

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