„Es bleibt weiterhin spannend!“

Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Harald Augustin

Herr Professor Augustin, Ihr Steinbeis-Transferzentrum Prozessmanagement in Produktentwicklung, Produktion und Logistik an der Hochschule Reutlingen ist seit mehr als zehn Jahren spezialisiert auf die ganzheitliche Optimierung von Unternehmensprozessen in Industrie, Handel und Dienstleistung. Warum haben Sie sich damals für den ganzheitlichen Ansatz entschieden und wie sieht dessen Umsetzung in der Praxis aus?

Der Unternehmenserfolg hat viele Väter. Das heißt, es gibt verschiedene Stellschrauben im Unternehmen, um erfolgreich zu sein. Dazu gehören neben den Prozessen auch die Mitarbeiter, die Infrastruktur und Informationstechnologie, die Führungssysteme und der Umgang mit Kunden und Lieferanten. Erst im Zusammenspiel all dieser Komponenten entsteht das erfolgreiche Ganze.

Um diesem komplexen Geflecht verschiedener Einflussgrößen gerecht zu werden, haben wir seit Beginn unserer Tätigkeit immer den ganzheitlichen Ansatz verfolgt, der aus den genannten Komponenten besteht. Dies führt in der Praxis dazu, dass wir in Projekten bestimmte Themenfelder fokussiert bearbeiten, aber immer auch die anderen Komponenten ansprechen und deren Wirkungsweise auf das konkret betrachtete Thema mit in unsere Beratung einbeziehen. Ganzheitlich bedeutet auch, dass wir die Projekte, die wir planen, auch umsetzen. So sind etwa 95% unserer Projekte Umsetzungsprojekte, wir begleiten die Unternehmen also nicht nur in der Planungs-, sondern auch in der Realisierungsphase. Für unsere Kunden hat dies den Vorteil, dass sie mit einem sehr hohen Commitment unsererseits rechnen dürfen. Für uns hat es den Vorteil, dass auch wir in jedem Projekt Erfahrungen vor allem in der Umsetzung sammeln, die wir dann in neuen Projekten schon in der Planung zugunsten der Kunden mit einfließen lassen können.

Ihr Steinbeis-Unternehmen hat seinen Sitz in der Region Neckar-Alb, die für ihre starke Industrie in den Branchen Maschinenbau, Automotive, Medizintechnik, Textil, Biotechnologie sowie Holz und regenerative Energien bekannt ist. Welchen Einfluss hat diese Wirtschaftsstruktur auf die Arbeit Ihres Zentrums?

Die Region Neckar-Alb ist von international aktiven, mittelständischen Unternehmen geprägt, die eine sehr hohe Innovationskraft besitzen, da sie ansonsten in den anspruchsvollen Branchen nicht überlebensfähig wären. Innovation bezieht sich dabei sowohl auf die Produkte als auch auf die Prozesse, denn im internationalen Wettbewerb reichen gute Produkte nicht aus, sie müssen auch effizient produziert und in weltweiten Supply Chains verteilt werden.

Für uns als Partner der Unternehmen heißt das, dass wir nicht nur auf dem neuesten Stand bei der Fach- und Methodenkompetenz sein müssen, sondern darüber hinaus auch Lösungen entwickeln müssen, die es in der erforderlichen Form noch gar nicht gibt. Innovationsfähigkeit ist damit auch für uns ein Schlüssel zum Erfolg. Auch wenn der Neckar- Alb-Raum ein starker Wirtschaftsraum ist, können wir uns nicht auf diese geographische Region fokussieren, da viele Unternehmen global agieren. Für einige Kunden sind wir daher auch international aktiv. Treu nach dem Motto: think local, act global.

Die Schwerpunkte Ihrer Arbeit liegen in der Konzeption und Umsetzung der Restrukturierung von Unternehmensbereichen, der Prozessgestaltung und -optimierung sowie der Einführung neuer Methoden und Informationstechnologien in der Produktentwicklung, Produktion und Logistik. Welche Dienstleistungen werden momentan von Unternehmen besonders nachgefragt? Wie haben sich die Kundenanforderungen und -bedarfe in den letzten Jahren verändert?

Die Entwicklung in den Bereichen Produktentwicklung, Produktion und Logistik ist in den letzten zehn Jahren unterschiedlich gewesen. So hat die Produktentwicklung bei der Methodenanwendung zur Optimierung von Prozessen große Fortschritte gemacht. Sowohl Methoden des Qualitätsmanagements als auch des Lean Managements haben zunehmend Einzug gehalten und die Arbeit der Entwickler und Konstrukteure effizienter gemacht. Bei den Projekten in diesen Bereichen fiel uns auf, dass das Thema Kundenanforderungen einen immer größeren Raum einnimmt. Gleichzeitig hat die Dynamik in den Märkten zugenommen, so dass in immer kürzerer Zeit Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden müssen, die passgenau die Anforderungen des Kunden bei gleichzeitig kurzer Time-to-Market erfüllen müssen. Dies ist ohne stringente Methodenanwendung im Entwicklungsprozess nicht mehr wirtschaftlich abbildbar, so dass wir daran mit einigen Kunden intensiv und erfolgreich gearbeitet haben.

Im Bereich der Produktion war und ist die Nachfrage besonders durch die Umsetzung der Philosophien nach Lean Management und Six Sigma gekennzeichnet. Dabei konnten und können wir unseren ganzheitlichen Ansatz in die Projekte sehr gut einfließen lassen, da sich die Anforderungen unserer Kunden in den letzten Jahren zunehmend mehr auf die Nachhaltigkeit von Maßnahmen konzentriert hat.

In der Logistik erleben wir derzeit einen Nachfrage-Boom bei der Optimierung, Planung und Realisierung von Lagern. Von der Prozessoptimierung bis zum Neubau haben wir derzeit alles in Bearbeitung. Ein aktueller Trend auch hier ist die Anwendung der Lean Management und Six Sigma Philosophien im Lager, mit denen erhebliche Potenziale gehoben werden können. Dabei sind wir Trendsetter mit dem Lean Warehousing gewesen, das wir 2008 in die breite Öffentlichkeit getragen haben. Heute haben wir dieses Themenfeld weiter spezialisiert und arbeiten u.a. intensiv im Shopfloor Management. Auch hier können wir unserem Motto der Ganzheitlichkeit treu bleiben, ganz nach Aristoteles, der sagt: „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.

Ihre Kunden sind insbesondere mittelständische Unternehmen. Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie für sich und Ihre Arbeit in Ihrem Steinbeis-Unternehmen?

Da viele mittelständische Unternehmen wiederum Großunternehmen als Kunden haben, müssen wir auch die Welt dieser Unternehmen kennen und verstehen. Deswegen arbeiten wir auch für Großunternehmen von Hamburg bis München. Somit kennen wir in Projekten die Sprache der Kunden und Lieferanten unserer Kunden und können dieses prozesskettenübergreifende Wissen in die Projekte einbringen und in der Planung und Umsetzung besser ganzheitlich agieren.

Eine grundsätzliche Herausforderung ergibt sich daraus, dass viele Methoden des Lean Managements und Six Sigma eher für die Großserienproduktion ausgelegt sind und nicht bei allen mittelständischen Unternehmen gleich gut passen. Um trotzdem den Nutzen aus diesen Methoden generieren zu können, müssen sie für viele Anwendungsfälle im Mittelstand angepasst werden. Dies ist eine permanente Herausforderung, der wir uns gerne stellen, denn es macht auch Spaß, Dinge weiter zu entwickeln und für spezifische Anforderungen bei den Kunden anzupassen.

Es bleibt also weiterhin spannend, denn jedes Projekt hat seine Eigenheiten, die sich als neue oder andere Herausforderungen entwickeln können! Wir sehen uns daher auch eher als Beratungsmanufaktur, bei der nichts von der Stange kommt, sondern das Problem des Kunden im Mittelpunkt steht und spezifisch, aber auch auf Basis bewährter Methoden, gelöst wird.

Seite teilen