Lean Management von der Produktion in den After Sales Service

Neue Methoden zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit

Die Ergebnisse der MIT-Studie, die 1990 unter dem Titel „The Machine That Changed The World“ veröffentlicht wurden, haben Automobilhersteller weltweit dazu gezwungen, sich mit den grundlegenden Fragen der Produktions- und Arbeitsorganisation auseinanderzusetzen. Die bis dahin übliche Massenproduktion wurde in Frage gestellt, da sich die von den Japanern entwickelte und von Womack, Jones und Ross betitelte „Lean Production“ als viel effizienter erwies. Dass Lean Production heute bei den meisten Herstellern immer noch aktuell ist, bestätigt den richtungsweisenden Ansatz, meint Autor Joachim Gund, MBA-Student der Steinbeis- Hochschule Berlin und Mitarbeiter am Institut für Innovation und Management (IIM).

Womack, Jones und Ross waren nach ihrer Studie davon überzeugt, dass die Lean Management- Prinzipien und -Methoden nicht nur in fertigenden Bereichen erfolgreich eingesetzt werden können. Diese Sichtweise hat sich bisher jedoch nur zu einem gewissen Maße bestätigt, denn von einem bereichsübergreifenden „Lean Thinking“, wie es Womack und Jones Ende der 90er-Jahre prognostiziert haben, kann in den meisten Unternehmen keine Rede sein. Die Entwicklung und Implementierung eines eigenen Produktionssystems ist bei vielen europäischen und amerikanischen Automobilherstellern mittlerweile state of the art. Die dadurch erzielten Ergebnisse wurden allerdings nur bedingt in indirekte Bereiche, wie Sales, After Sales oder Forschung & Entwicklung transferiert. Mit anderen Worten: die Hersteller haben Lean Production noch nicht auf ein ganzheitliches Lean Management ausgeweitet.

Bis vor einigen Jahren war die Notwendigkeit hierfür nicht gegeben. Schließlich haben sich die Absatzzahlen der verschiedenen Hersteller seit dem zweiten Weltkrieg mit wenigen Ausnahmen von Jahr zu Jahr verbessert. Es ist folglich nachvollziehbar, warum der Optimierungsfokus stets auf die Fertigung gelegt wurde. Allerdings hat sich der Markt in den letzten Jahren stark verändert. Um heute wettbewerbsfähig zu bleiben, spielen beispielsweise der CO2-Ausstoß und effiziente Motoren eine wichtige Rolle. Die Bereiche Forschung & Entwicklung haben beim Kampf ums Überleben einen wichtigeren Part übernommen als zuvor.

Ähnliches geschieht mit dem After Sales, ein an Bedeutung gewinnender Bereich in der Wertschöpfungskette der Automobilhersteller. Besonders im Nutzfahrzeuggeschäft wird der After Sales immer bedeutsamer. Vor zehn Jahren stand das Produkt, nicht aber die dazugehörige Dienstleistung im Vordergrund. Mit dem härter werdenden Wettbewerb hat sich diese Konstellation mittlerweile geändert. Beispielsweise spielen bei großen Speditionsfirmen ein breites Servicenetz sowie die von den Servicebetrieben angebotene Dienstleistung hinsichtlich Qualität und Termintreue eine entscheidende Rolle beim Kauf eines neuen Fahrzeugs. Der Kunde geht von einer guten Qualität des Fahrzeugs ohnehin aus, deswegen wählt er verstärkt nach Dienstleistungskriterien aus. Die Ansprüche haben sich somit geändert: heute ist dem Kunden ein möglichst produktiver Einsatz seines Fahrzeugs am wichtigsten, denn Geld verdient er nur, wenn das Fahrzeug im Einsatz ist.

Anders als in früheren Jahren wird der After Sales in der Automobilbranche unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zunehmend als wichtiger Umsatz- und Ergebnisbringer betrachtet. Strategisch dient der After Sales sowohl zur Erhöhung der Kundenbindung als auch zur Marktpositionierung als effektives Instrument. Laut Leif Östling, CEO der Scania AB, besteht die zukünftige Herausforderung des Unternehmens unter anderem darin, dafür zu sorgen, dass der Lkw von seinem Ausgangsort bis zu seinem Zielort mobil bleibt und der Fahrer jede Unterstützung bekommt, die er braucht, um seinen Auftrag auszuführen. Dazu hat Scania in den letzten Jahren einen Strukturwandel vollzogen: Mittlerweile kommen 40 Prozent der Vermögenswerte und Mitarbeiter des Unternehmens im Vertriebs-, Verkaufs- und Servicebereich zum Einsatz. Zuvor waren es gerade einmal zehn Prozent. Die Richtung, in die sich das Unternehmen in den nächsten Jahren zu entwickeln hat, ist für Östling eindeutig: Lkw für den professionellen Einsatz zu entwickeln, ist für das Unternehmen inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Für die Zukunft gilt es, durch verbesserten Service den Kundennutzen zu maximieren.

Verschiedene Pkw- und Nfz-Hersteller haben sich ähnliche Ziele gesetzt. Um sie zu erreichen, haben sie Lean Management-Prinzipien und -Methoden eingeführt. Die Ergebnisse der Transferprojekte in rund 200 After Sales- Betrieben im In- und Ausland zeigen, dass die Anwendung dieser Prinzipien und Methoden sich positiv auf die Produktivität auswirkt und somit in der Tat bei der Zielerreichung unterstützt. Ebenso zeigt die Erfahrung, dass der Transfergrad weit höher ist als momentan für möglich gehalten wird.

Dennoch ist der Transfer von der Produktion in den After Sales nicht völlig reibungslos umsetzbar. Die bereichsübergreifende Über tragung von Ideen und Konzepten führt unvermeidlich zu einem Aufeinandertreffen zweier verschiedener Arbeitskulturen. Wesentlicher Unterschied beider Kulturen ist die Denkweise der jeweiligen Führungskräfte und Mitarbeiter. Während diese in der Produktion versuchen, in Anlehnung an die Lean Management-Philosophie, Problemen gegenüber vorbeugend zu agieren, um somit den Prozess zu stabilisieren, wird im After Sales in der Regel auf Probleme reagiert.

Dies hat auf der einen Seite zur Folge, dass beispielsweise Leistungen nicht termingerecht, unvollständig oder fehlerhaft geliefert werden, was zu Mehraufwand und Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern führt. Auf der anderen Seite verursacht die Tatsache, dass alle vorkommenden Hindernisse entlang des Arbeitstages mit Bravour gemeistert werden, ein Bestätigungsgefühl der eigenen Kompetenz. Der Mehraufwand und die dafür anfallenden Kosten werden somit oft in den Schatten gestellt und Arbeitsabläufe in der vorhandenen Form weiterhin bis zum nächsten ernsten Problem toleriert. Es ist also ein zweischneidiges Schwert; unzufrieden mit dem Mehraufwand und dem damit verbundenen Druck, aber stolz darauf, dass man es am Ende des Tages doch irgendwie meistert. Eine riskante Kombination, wenn das Ziel heißt, dem Kunden den bestmöglichen Service zu bieten.

Auffallend dabei ist, dass in vielen After Sales-Betrieben das Ziel als Rechtfertigung für den unverhältnismäßigen Aufwand genutzt wird. Schließlich geht es um den Nutzen aller Kunden, sowohl derjenigen, die im Voraus einen Termin vereinbart haben als auch derjenigen, die unvorhergesehen auf eine Serviceleistung angewiesen sind. Die Wahrnehmung der Mitarbeiter, dass vor allem der unplanmäßige Kunde für Turbulenzen im Tagesablauf sorgt und somit nicht selten als Sündenbock dargestellt wird, führt oftmals zur fehlenden Einsicht für die notwendige Prozessoptimierung. Diese Prozessoptimierung sollte ein Umdenken bei Führungskräften und Mitarbeitern einleiten. Somit entwickelt sich der Status „unplanmäßiger Kunde“ vom Störungsfaktor zur ertragsorientierten Auslastung, die dabei hilft Arbeitsplätze zu sichern.

Die Durchführung von Prozessanalysen und die Anwendung der 5S-Methode zur Einführung und Standardisierung einer Arbeitsplatzorganisation haben in den After Sales- Betrieben zu Beginn für die notwendige Betroffenheit und Bereitschaft gesorgt, die für die einzelnen Transferprojekte von Führungskräften und Mitarbeitern gefordert waren. Durch Prozessanalysen konnten Handlungsfelder an den Schnittstellen transparent gemacht werden. Hierfür wurde die Prozessqualität von internen Lieferanten und internen Kunden bewertet. Der Einsatz der 5SMethode diente der Herstellung einer Grundordnung und -sauberkeit. Somit konnten Optimierungen für jeden, sowohl für Beschäftigte als auch für Kunden, visuell wahrnehmbar gemacht werden. KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess), eines der Prinzipien der Lean Management-Lehre, wurde anschließend zur Behebung der festgestellten Schnittstellenprobleme erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis ist ein verbesserter After Sales-Prozess, der Führungskräften und Mitarbeitern Zeit verschafft, um sich den Kunden gegenüber flexibel zu präsentieren und nicht ins Schwanken zu geraten, wenn unerwartete Faktoren drohen den Prozess zu stören.

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