Herr Professor Haag, Ihr Steinbeis-Transferzentrum Angewandte Systemanalyse (STASA) feiert nächstes Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Was war für Sie damals ausschlaggebend, den Schritt in die Selbstständigkeit in der sich stetig rasant verändernden IKT-Branche mit einem Steinbeis-Unternehmen zu wagen?
Für mich stand damals fest, mich selbstständig zu machen, und ich besuchte in diesem Zusammenhang Prof. Löhn, den ich über meine damalige Beratertätigkeit schon länger kannte, um seine Meinung zu meinem Geschäftsmodell zu hören. „Machen Sie doch ein Transferzentrum auf“, war sein Rat, den wir per Handschlag besiegelten. Das habe ich bis heute nicht bereut.
Der Name „STASA“ wie auch teilweise die inhaltlichen Themen gehen auf das IIASA (International Institute for Applied Systems Analysis) in Laxenburg bei Wien zurück, bei welchem ich einige Jahre als theoretischer Physiker im Bereich „Metropolitan Studies“ und „Long Waves in Economy“ tätig war. Viele internationale Kontakte stammen aus dieser Zeit. Mein Studium an der Universität Stuttgart im Bereich der theoretischen Physik und Synergetik und die damit verbundenen interdisziplinären Forschungsprojekte haben die Grundlagen für STASA gelegt. Das Spektrum der möglichen Anwendungen der Methoden der Systemanalyse ist sehr breit und umfasst FuE-Gebiete wie Wirtschaft, Demographie, Technik, Informatik, Physik, Geographie oder Biologie.
Ihr Steinbeis-Unternehmen bietet seinen Kunden angewandte Systemanalyse – die Datenanalyse, Modellierung, Simulation und Optimierung technischer und sozialwirtschaftlicher Systeme. Worauf liegt aktuell das Hauptaugenmerk Ihrer Kunden, das Sie wiederum mit Ihrem Angebot aufgreifen?
Unser Ziel ist es, sinnvolle Entwicklungen und Forschungsergebnisse von vorderster Forschungsfront zu nutzen, um damit unseren Kunden einen Know-how-Vorsprung zu sichern. Dies setzt voraus, selbst aktiv in der Forschung tätig zu sein, international zu publizieren und in ein Forschungsnetzwerk eingebunden zu sein. Das entsprechende Know-how im Steinbeis-Unternehmen aufzubauen und weiter zu entwickeln erfordert einen Stamm hochqualifizierter, motivierter und zufriedener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unsere Kunden schätzen und vertrauen uns, dass wir die genannten Zielsetzungen im Rahmen ihrer Projekte umsetzen. Dies bestätigt sich vor allem in langfristigen Geschäftskontakten, beruhend auf der Systematik und Qualität unserer Arbeit und dem uns entgegengebrachten Vertrauen.
Zu den Schwerpunktthemen von STASA gehören die Stadt- und Regionalplanung, strategische Standortanalysen sowie Demographie und Beschäftigung. Welche Tendenzen sehen Sie in der Entwicklung dieser Themen?
In den Sozialwissenschaften bilden Entscheidungsprozesse (Mikroebene) von Individuen (Agenten) die Basis der makrodynamischen Entwicklung. Eine Vielzahl individueller Entscheidungsprozesse unterschiedlicher Agenten des Wirtschaftssystems bilden die Mikrodynamik, wobei die Entscheidungen der einzelnen Individuen nicht unabhängig voneinander sind und rationale und irrationale Beweggründe, wie auch externe Effekte und Zukunftserwartungen eine Rolle spielen.
Die aufgeführten sozialwissenschaftlichen Schwerpunktthemen beruhen auf der Analyse, mathematischen Modellierung und Simulation derartiger Entscheidungsprozesse, mit den von uns entwickelten Methoden aus dem Bereich der statistischen Physik. Ob es sich um die Analyse von Wanderungsströmen für die Bevölkerungsvorausberechnung oder strategische Regionalanalysen handelt, um Verkehrsströme oder Käuferströme, immer stehen Entscheidungsprozesse von Personen, Haushalten, Unternehmern etc. im Mittelpunkt. Die adäquate mathematische Modellierung der Entscheidungsprozesse ganz im Sinne Einsteins „So einfach wie möglich, aber nicht einfacher“, d.h. die in den Daten vorhandene Information auf möglichst wenige signifikante und gut interpretierbare Kenngrößen zurückzuführen und für unsere Kunden klar zu visualisieren ist unser Bestreben.
Eine wichtige Herausforderung in der zukünftigen Modellierung sozioökonomischer Prozesse liegt darin, dass sie mit Hilfe eines dauerhaften und starken Supports durch Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ablaufen. Dies hat Einfluss auf die IKT-bedingt explosionsartig expandierende und sich zeitlich und räumlich rasch verbreitende Datenbasis (Massendaten). Infolgedessen ist davon auszugehen, dass Verfahren zur Informationskonzentration und Visualisierung der wesentlichen Inhalte in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen werden.
Ein weiterer Schwerpunkt Ihres Steinbeis-Unternehmens liegt auf dem Themengebiet Qualität. Sie haben dazu STASA QC entwickelt, eine Software, die hilft die Qualität der gefertigten Teile zu verbessern und gleichzeitig die Ausschussquote zu verringern. Wie unterstützt diese Software insbesondere mittelständische Unternehmen bei deren Projekten?
Lassen Sie mich mit einem Beispiel beginnen: Beim Einrichten eines Spritzgießprozesses zur Ermittlung der Maschineneinstellparameter und Optimierung der Produktqualität eines Bauteils dominiert im Mittelstand immer noch das typische Trial-and-Error-Verfahren. Systematische Versuche, basierend auf Versuchsplänen, werden zumeist als zu aufwändig und zu kompliziert von den Einrichtern betrachtet, da die Anforderung lautet, möglichst rasch mit der Produktion beginnen zu können.
Findet der Einrichter eine Maschineneinstellung, die weitgehend die Qualitätsvorgaben erfüllt, werden abweichende Qualitätsmaße vorschnell durch eine Werkzeugkorrektur angepasst. Häufig ergeben sich in der anschließenden Fertigung Qualitätsprobleme durch einen instabilen Fertigungsprozess. Dieses unsystematische Vorgehen ist seit Jahren überholt und produziert beträchtliche Kosten, da nicht sichergestellt werden kann, dass Ausschussquoten (Materialeffizienz), Zykluszeit (Energieeffizienz) und Qualität im Einklang optimiert sind. STASA QC wurde vor diesem Hintergrund entwickelt. Es ist das Ziel, den unter Zeit- und Kostendruck stehenden Experten in seiner Tätigkeit zu unterstützen. Die implementierten, raffinierten, lernfähigen mathematischen Verfahren entlasten den Anwender. Auf Basis weniger Versuche, die von der Software vorgeschlagen werden, und einer systematischen automatisierten Auswertung der Messdaten wird ein Zusammenhang zwischen Maschineneinstellung und den unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen, d.h. der Produktqualität, hergestellt. Als Ergebnis wird die optimale Maschineneinstellung bezüglich Qualität und Zykluszeit ermittelt, Kenngrößen für die Prozessqualität werden ausgegeben und gegebenenfalls notwendige Werkzeugänderungen quantifiziert. Die Erfahrungen zeigen, dass mit STASA QC eine Reduzierung der Zykluszeit zwischen 5 bis 20% gegenüber den bisherigen Verfahren sowie ein Energieeinsparungspotenzial bis zu 15% und eine deutliche Reduzierung des Zeitaufwands für die Prozessoptimierung erreicht werden kann.
In der Medizintechnik, in der Automobilzulieferindustrie und bei Produktionsprozessen mit hohen Stückzahlen ist STASA QC erfolgreich im Einsatz. Mittelständische Unternehmen profitieren derzeit noch viel zu wenig von den Vorteilen der Software, um insbesondere auf den steigenden Kostendruck reagieren zu können. STASA QC bzw. Module der Software lassen sich selbstverständlich auch in anderen Einsatzfeldern verwenden, wie z.B. bei Schweiß- und Klebeprozessen, der Herstellung von Hartfaserplatten, Keramikdruckguss, Extrusionsverfahren, Lackierprozessen, um nur einige Beispiele zu benennen.
20 erfolgreiche Jahre liegen bald hinter Ihnen, welche Herausforderungen sehen Sie beim Blick nach vorn?
Forschung, Entwicklung und Technologietransfer werden auch in Zukunft die Aufgaben und Herausforderungen der STASA sein. Insbesondere IKT-Anwendungen und Web-basierte Dienstleistungen werden zunehmen und unser Arbeitsfeld teilweise neu ausrichten. Mit meinen Mitarbeitern sind wir für die Zukunft bestens gerüstet.
Professor Dr. habil. Günter Haag ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Angewandte Systemanalyse (STASA) und Geschäftsführer der Steinbeis Angewandte Systemanalyse GmbH (STASA GmbH). Beide Steinbeis-Unternehmen beschäftigen sich mit der angewandten Systemanalyse und bieten ihren Kunden u.a. Zeitreihenanalyse, Trendanalyse, allgemeine statistische Verfahren sowie Netzwerkanalyse und Netzwerkoptimierung.
Professor Dr. habil. Günter Haag
Steinbeis Angewandte Systemanalyse GmbH (Stuttgart)
SU1390@stw.de
Steinbeis-Transferzentrum Angewandte Systemanalyse (STASA) (Stuttgart)
SU0262@stw.de