„Echte Entrepreneure sind nicht Getriebene, sie treiben den Wandel an“

Im Gespräch mit Professor Dr. habil. Andreas Aulinger, Direktor des Steinbeis-Transfer-Instituts Organisation und Management

Professor Dr. habil. Andreas Aulinger erklärt, wie sich die Entrepreneurship-Definition im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat und mit welchen Fragen sich die Entrepreneurship-Forschung beschäftigt. Daneben setzt er sich im Gespräch mit der TRANSFER mit den Folgen der Digitalisierung der Wirtschaft für Entrepreneure auseinander.

Herr Professor Aulinger, auch wenn der Begriff „Entrepreneurship“ erst seit Ende der 1990er-Jahre weite Verbreitung in der Betriebswirtschaftslehre findet, ist er keineswegs neu: Bereits 1730 entwickelte Richard Cantillon die erste Theorie des Entrepreneurships. Er sah den Entrepreneur als ein Individuum, das alleine durch seine Bereitschaft gekennzeichnet war, ökonomische Risiken einzugehen und gegebenenfalls hohe Profite daraus zu erzielen. Wie hat sich der Begriff im Laufe der Zeit gewandelt?

Unser heutiges Verständnis des Entrepreneurs weicht tatsächlich deutlich von dem ab, was Cantillon vor fast 300 Jahren beschrieben hat. Es orientiert sich heute an dem von Joseph Schumpeter zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschriebenen Innovator, der seine ganze Kreativität und Schaffenskraft in neue, selbst erdachte Geschäftsideen investiert. Wie vor 300 Jahren gilt aber auch im heutigen Verständnis nur der als „echter“ Entrepreneur, der mit seinen Geschäftsideen auch erfolgreich wird. Erst mit diesem Verständnis als erfolgreicher Innovator wurde der Entrepreneur auch zum Sympathieträger in Politik und Wirtschaft. Keine großen Sympathien bringen ihm freilich die entgegen, die von der „kreativen Zerstörung“ unmittelbar betroffen sind, die ein Entrepreneur nach Schumpeter durch seine Innovationen verursacht.

Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Entrepreneurship- Forschung: Welche Ziele verfolgt diese heute?

Die Entrepreneurship-Forschung interessiert sich zum einen natürlich für den Schumpeterschen Innovator und dessen Persönlichkeitsmerkmale und Gründungsstrategien. Sie interessiert sich zum anderen auch für die Rahmen- und Umfeldbedingungen, in denen Entrepreneure besonders gerne und erfolgreich tätig werden. Das Silicon Valley ist das gegenwärtig berühmteste Umfeld für Entrepreneure und wird intensiv als solches erforscht und an vielen Stellen zu imitieren versucht. Eine weitere Richtung der Entrepreneurship-Forschung stellt das „Corporate Entrepreneurship“ dar. Hier geht es um die Frage, wie Unternehmen innovativ bleiben oder werden können, auch wenn sie älter und größer geworden sind. Auch dafür bietet das Silicon Valley etwa mit Apple, Google oder Ebay bestens bekannte Anschauungsmöglichkeiten. Wir beschäftigen uns am Steinbeis-Transfer-Institut für Organisation und Management (IOM) mittlerweile insbesondere mit Corporate Entrepreneurship, das wir auch als agiles Unternehmertum bezeichnen.

Welche Eigenschaften sollte ein Entrepreneur besitzen, um erfolgreich zu sein?

„Erfolgssucher“ sind als Entrepreneure häufiger erfolgreich als „Misserfolgsvermeider“. Und Menschen, die der Auffassung sind, dass sie ihr Leben und ihre Erfolge hauptsächlich selbst beeinflussen, sind häufiger erfolgreich als Menschen, die der Auffassung sind, dass ihr Leben und ihre Erfolge hauptsächlich von ihrer Umwelt beeinflusst werden. Der Fachbegriff dafür ist „locus of control“. Aber auch wer über diese beiden hilfreichen Eigenschaften verfügt, kann als Entrepreneur Schiffbruch erleiden. Zum einen, weil unzählige weitere Faktoren auf eine konkrete Gründungssituation einwirken. Und zum anderen, weil man auch zu viel von diesen beiden Eigenschaften haben kann. Wer zu ungebremst als Erfolgssucher unterwegs ist und keinerlei Angst vor Misserfolgen hat und bei wem die eigene Kontrollüberzeugung zur völligen Selbstüberschätzung führt, der kann mit diesem Zuviel des Guten auch schmerzlich auf die Nase fallen. Ich bin daher, um ganz ehrlich zu sein, sehr froh darüber, dass es nicht möglich ist, eindeutige Erfolgsfaktoren zu identifizieren. Denn so hat jeder das Recht und die Chance, sich mit seinem ganz individuellen Stil und seiner Persönlichkeit als Entrepreneur zu versuchen. Und wir staunen und freuen uns immer wieder aufs Neue darüber, welche interessanten Menschen und Persönlichkeiten – entgegen allen schablonenhaften Erwartungen – als Entrepreneure erfolgreich sind.

Die Digitalisierung der Wirtschaft bringt große Veränderungen sowohl für die Wirtschaft als auch für die Gesellschaft mit sich. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf Entrepreneure, welchen Herausforderungen werden sie sich stellen müssen?

Echte Entrepreneure sind nicht Getriebene einer sich ändernden Wirtschaft. Vielmehr sind genau sie es, die diesen Wandel antreiben. Gegenwärtig kommt durch individuelle und corporative Entrepreneure das in die Welt, was wir als Industrie 4.0 bezeichnen. Wenn es darum geht, wie etablierte Unternehmen mit all den Veränderungen umgehen, die von erfolgreichen Entrepreneuren in die Welt gebracht werden, dann müssen wir auf agile Unternehmensführung schauen. Diese erlebt ja gerade einen Boom, weil sie Wege aufzeigt, wie Unternehmen mit der zunehmenden Veränderungsgeschwindigkeit Schritt halten können. Agilen Unternehmen gelingt dies. Im Idealfall werden sie dank ihrer Agilität sogar selbst zu Entrepreneuren, die anderen Unternehmen vorangehen. Dazu möchte ich gerne auf ein Whitepaper hinweisen, das wir gerade an unserem Institut veröffentlicht haben. Es lautet: Die drei Säulen agiler Organisationen. Hier beschreibe ich, wie klassische (agile) Management- Methoden, neue (agile) Management-Methoden sowie agile Mindsets zusammenwirken müssen, damit Unternehmen agil bleiben oder werden und damit sie sowohl intern wie auch extern als Entrepreneure handeln können.

Kontakt

Prof. Dr. Andreas Aulinger ist seit 2005 ordentlicher Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Organisation an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Seit 2011 leitet er dort das von ihm und Markus Heudorf gegründete Steinbeis- Transfer-Institut für Organisation und Management. Dieses bietet anspruchsvolle berufsbegleitende Studiengänge in den Bereichen Leadership und Change Management sowie Organisations- und Personalmanagement an. 2015 hat Andreas Aulinger innerhalb der Gesellschaft für Organisation (gfo) die Community of Practice „Agile Organisationen“ gegründet.

Prof. Dr. habil. Andreas Aulinger
Steinbeis-Transfer-Institut Organisation und Management (Berlin)
su1523@stw.de

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