„Die meisten Gründungen erfolgen rund um ‚nutzerzentrierte‘ Innovationen“

Im Gespräch mit Professor Dr. Orestis Terzidis, Leiter des Instituts für Entrepreneurship, Technologiemanagement und Innovation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Ko-Projektkoordinator der KIT-Gründerschmiede

Professor Dr. Orestis Terzidis spricht mit der TRANSFER über Entrepreneurship-Forschung sowie Technology Entrepreneurship und über die Folgen des aktuellen Digitalisierungstrends für zukünftige Entrepreneure.

Herr Professor Terzidis, Sie beschäftigen sich mit der Entrepreneurship- Forschung, ihr liegt das Paradigma einer Mensch-zentrierten Kybernetik zugrunde. Warum haben Sie sich für diesen Ansatz entschieden?

Etablierte Firmen kennen ihr Geschäftsmodell und setzen es um. Startups dagegen sind auf der Suche nach einem Geschäftsmodell. Pointiert formuliert: Etablierte Firmen liefern, Start-ups lernen. Ein wichtiger Aspekt des Entrepreneurships ist es, diesen Lernvorgang bei Start-ups methodisch zu unterstützen und effizient zu gestalten. Die Grundmetapher der Kybernetik ist der Steuermann (kybernetes). Man kann hier an den Steuermann eines Schiffes denken: Er hat ein Ziel, er erfasst die Umwelt (den Wind, den Seegang, die Klippen) und er hat Steuermöglichkeiten (das Steuer, die Segel, die Ruder). Abhängig von der erfassten Situation steuert er das Schiff dem Ziel entgegen. Er hat keinen festen Plan, den er abarbeitet, sondern reagiert flexibel auf die jeweils erfasste Situation und orientiert sich stetig neu. So gehen auch Start-ups vor. Iterative Interaktionen mit dem Umfeld, agile Entwicklung und Lean Start-up sind bekannte Ausprägungen dieses Ansatzes. Es geht um noch unbekannte Wege, die exploriert werden. Diese explorative Vorgehensweise ist für Entrepreneurship kennzeichnend: Statt der Entwicklung und Ausführung eines statischen Plans geht es um die dynamische Navigation im Problem- und Lösungsraum, bis ein tragfähiges Geschäftsmodell gefunden wird. Der Unternehmer exploriert in zahlreichen Rückkopplungsschleifen, daher reden wir von menschzentrierter Kybernetik.

Welche Bedeutung haben Innovation und Technologietransfer überhaupt für eine Forschungs- und Lehreinrichtung?

Forschungs- und Lehreinrichtungen bilden allgemein einen sehr günstigen Rahmen für Innovationen und Gründungen. Sie schaffen Freiräume, in denen etablierte Technologien und Wertschöpfungsvorgänge hinterfragt und neue Wege gegangen werden können. In allen relevanten Innovationsökosystemen gibt es Forschungs- und Lehreinrichtungen, die eine zentrale Rolle spielen. Technologiebasierte Gründungen sind dabei ein wichtiger Sonderfall. Forschungstransfer kann an etablierte Firmen erfolgen oder über Start-ups abgebildet werden. In beiden Fällen geht es darum, neues Wissen, das in der Forschung entstanden ist, in Nutzen zu transformieren. Nutzen für die Gesellschaft, die Umwelt, für Firmen und Privatkunden. Auch beim Technologietransfer spielen die Forschungseinrichtungen eine wichtige Rolle. Denn rechtlich sind sie die Besitzer des geistigen Eigentums und jede Innovationsaktivität auf der Grundlage des geistigen Eigentums muss dies berücksichtigen.

Ihr weiterer Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich des Technology Entrepreneurships. Was ist so besonders an diesem Ansatz?

Bei einer Einrichtung wie dem KIT mit intensiven Forschungsaktivitäten entsteht viel neues Wissen und entsprechend viel geistiges Eigentum. Allein im Jahr 2015 gab es rund 60 Patentanmeldungen. Über die Jahre entsteht so ein respektables Patentportfolio. Bei Technology Entrepreneurship geht es darum, diese neuen Möglichkeiten in marktfähige Anwendungen zu transformieren. Die meisten Gründungen erfolgen übrigens nicht aufgrund von Patenten, sondern rund um „nutzerzentrierte“ Innovationen. Für diesen nutzerzentrischen Prozess gibt es einschlägige Methoden. Im Design Thinking Prozess beispielsweise wird zunächst der Gesamtkontext eines Nutzers erfasst, auf der Grundlage von Beobachtungen ein Blickpunkt gewählt, Ideen für Lösungen generiert, als Prototypen realisiert und in der Folge mit Nutzern validiert. Beginnt der Innovationsprozess mit einer neuen wissenschaftlich-technischen Entdeckung, sind andere Methoden erforderlich. Dann muss zunächst die Technik genau charakterisiert werden, Ideen für mögliche Anwendungen entwickelt und die entstehenden Optionen nach ihrem Umsetzungspotenzial bewertet werden. Die Abfolgen, Inhalte und Iterationen von analytischen, kreativen und empirischen Elementen sind bei einer technikzentrierten Innovation anders als bei der nutzerzentrierten Innovation. Hierfür Ansätze und Methoden zu entwickeln ist einer der zentralen Aspekte von Technology Entrepreneurship.

An Ihrem Lehrstuhl für Entrepreneurship und Technologiemanagement lehren Sie die Kunst und Wissenschaft des Entrepreneurships. Kann also jeder es lernen „ein Entrepreneur zu sein“ oder sind bestimmte Charaktereigenschaften notwendig, um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten?

Diese Frage lässt sich vergleichen mit der Frage: Kann jemand lernen, Pilot zu sein? Oder Klavierspieler? Solche Tätigkeiten erfordern sicher Talent, aber sie können auch erlernt werden. Im Entrepreneurship ist das nicht anders. Die Lehre kann helfen, eine entsprechende Anlage zur Entfaltung zu bringen. In der Forschung wurde immer wieder versucht, herauszufinden, ob es bestimmte psychologische Eigenschaften gibt, die Unternehmer auszeichnen. William Gartner, ein renommierter Entrepreneurship- Forscher, erwähnt drei solche Eigenschaften: Erstens das Bedürfnis, etwas zu erreichen; zweitens die Überzeugung, dass der Unternehmer selbst etwas bewegen kann – die sogenannte interne Kontrollüberzeugung; drittens Risikotoleranz. Aber es gibt noch eine ganz andere Sicht. Man spricht dabei vom Unternehmer-Gelegenheits- Nexus, also einer Art Resonanz zwischen einer Geschäftsidee und der handelnden Person. Wenn diese Resonanz vorliegt, wird die notwendige Energie freigesetzt, um eine Gelegenheit konsequent zu verfolgen. Auf diese Weise entwickeln sich die persönlichen Potenziale, die in anderen Situationen brach liegen würden. Die Entrepreneurship-Lehre ist eine Möglichkeit, Menschen hierauf vorzubereiten.

Sie sind auch Ko-Projektkoordinator der seit April 2013 existierenden KIT-Gründerschmiede, die sich der Entwicklung und Förderung von Unternehmern und Unternehmen widmet, die Innovationen zum Erfolg führen. Welche Dienstleistungen werden dort angeboten und für welche Zielgruppen?

In dem Projekt gibt es verschiedene Schwerpunkte: ein breites Angebot in der Entrepreneurship-Lehre, Formate für wissenschaftliche Mitarbeiter zum Wissensaufbau im Technologietransfer, ein „Accelerator“ Programm für junge Gründungen, eine KIT-eigene Crowd Funding Plattform, Angebote im Umfeld Beratung und Begleitung von Gründungsprojekten, Vernetzungsaktivitäten mit dem Umfeld sowie eine breite Kommunikation nach innen und außen. Zielgruppen sind entsprechend die Studierenden und Wissenschaftler, aber auch Akteure im Umfeld, wie beispielsweise Investoren, Unternehmer, und solche Akteure wie die Wirtschaftsförderung, das Cyberforum und die IHK. In einer global vernetzten Welt sind auch die Kontakte ins Ausland von besonderer Bedeutung. Daher bieten wir beispielsweise Spring und Summer Schools auf Englisch an.

Der aktuelle Digitalisierungstrend ist für das Wachstum in Deutschland und für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft im internationalen Wettbewerb von größter Bedeutung. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen birgt er für zukünftige Entrepreneure und wie können sie sich darauf vorbereiten?

Digitale Technologien sind ein Schlüssel für zahlreiche neue Geschäftsmöglichkeiten. Sie bergen das Potenzial der „schöpferischen Zerstörung“ in sich, um den Begriff von Joseph Schumpeter zu zitieren. Durch digitale Technologien werden Nutzer und Kunden erreicht. Sie erhöhen die Produktivität und Flexibilität von Prozessen, sie unterstützen die Produktion. Diese Transformation hat schon vor Jahrzehnten begonnen, aber sie hat immer wieder neue Wellen mit jeweils tiefgreifenden Veränderungen durchlaufen. Nach allem, was absehbar ist, stehen die nächsten Wellen unmittelbar bevor. Aus unternehmerischer Sicht entstehen hier zahlreiche neue Möglichkeiten und die heutige Start-up- Szene ist voll von Ansätzen, um diese neuen Möglichkeiten anzugehen. Nach wie vor gibt es zahlreiche Dienste und Produkte, die auf dem Medium Internet besser gehandelt werden können als in allen anderen uns bekannten Formen. Die Integration der realen Welt in die digitalen Umgebungen erhält durch Sensorik und Robotik eine ganz neue Qualität. Physische und digitale Welt wachsen zusammen. In diesen Domänen entstehen neue Chancen und zugleich werden etablierte Angebote in Frage gestellt. Unternehmer sollten die Trends verfolgen und einen Blick dafür entwickeln, wo sich Gelegenheiten für nachhaltige Innovationen ergeben.

Kontakt

Prof. Dr. Orestis Terzidis ist Leiter des Instituts für Entrepreneurship, Technologiemanagement
und Innovation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das Institut will das Wissen und die
Kompetenzen erarbeiten, wie neue technologische und geschäftliche Möglichkeiten durch unternehmerisches Handeln in Innovationen umgesetzt werden können.

Professor Dr. Orestis Terzidis
Institut für Entrepreneurship, Technologiemanagement und Innovation am Karlsruher Institut für Technologie (Karlsruhe)
orestis.terzidis@kit.edu

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