„Von ‚einfachen Lösungen‘ benötigen wir mehr!“

Im Gespräch mit Dr. Martin Vogel

Herr Dr. Vogel, ein Blick auf Ihren Werdegang zeigt schnell, dass Sie sich ganz der Physik verschrieben haben: Sie haben Physik studiert, in Physik promoviert und beschäftigen sich beruflich damit. Einer der Tätigkeitsschwerpunkte Ihres Steinbeis-Unternehmens liegt allerdings auch auf der Gesundheitsökonomie. Wie ist es zu dieser Kombination gekommen?

Bei aller Liebe zur Physik lag und liegt mir die Anwendung des erarbeiteten Wissens immer sehr am Herzen. Ein Schwerpunkt meiner Ausbildung war die Biophysik, also derjenige Teilbereich der Physik, der biologische Strukturen und Vorgänge mit physikalischen Mitteln untersucht und beschreibt. Zu Anwendungen in der Medizintechnik hat man es da nicht weit. So habe ich auch den Gesundheitsökonomen Jürgen Blume kennengelernt, mit dem ich heute unser Steinbeis-Unternehmen gemeinsam leite. Uns vereint das Interesse an neuen Technologien, aber auch die Erkenntnis, dass diese für einen Erfolg letztlich wirtschaftlich tragfähig sein müssen. Tragfähigkeit bedeutet heute auch immer, dass der zu leistende Beitrag in jedem Fall von Anfang an auf seine Zulassungs- und Erstattungsfähigkeit in Deutschland und der EU zu prüfen ist. Als neue Dienstleistung bieten wir ab Oktober 2014 die Beratung und Begleitung in den Bereichen Zertifizierung/Zulassung, gesundheitsökonomische Bewertung und Erstattungsfähigkeit (Reimbursement/ HTA-Fähigkeit) bei Medizinprodukten und Arzneimitteln an.

Mein Partner Jürgen Blume hat unter anderem eine Benannte Stelle geleitet, über ein Jahrzehnt Start-Ups beim Aufbau begleitet und treibt zurzeit die Entwicklung eines neuen (Alt-)Arzneimittels und der begleitenden Companion Diagnostics für neurodegenerative Erkrankungen voran. Er ist außerdem in der Ausbildung von CRAs, Daten- und Project Managern tätig.

Wir bieten so eine Mischung an Erfahrungen, die selten und gerade deshalb für junge Unternehmen eine wesentliche Hilfe ist.

Die wachsende ökonomische Bedeutung der Gesundheitswirtschaft wird maßgeblich durch den medizinisch-technischen Fortschritt, das gestiegene Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung und die Folgen des demografischen Wandels bestimmt. Was sind Ihrer Meinung nach die aktuellen Probleme der Gesundheitswirtschaft in Deutschland und wie können diese gelöst werden?

Der bereits vorhandene Druck, kosteneffizient und unter Ausnutzung aller Einsparpotentiale zu arbeiten, wird meines Erachtens insbesondere aufgrund des demographischen Wandels weiter zunehmen. Sowohl in der technischen Entwicklung als auch in der medizinischen Anwendung wird neben der Prämisse des medizinisch Machbaren auch die Wirtschaftlichkeit des Machbaren weiter an Bedeutung gewinnen.

Hinzu kommt das eher volkswirtschaftliche Problem, wie man trotz der in vielen Teilen unseres Landes spürbaren Landflucht die Gesundheitsversorgung in der Fläche aufrecht erhalten kann. Patentlösungen habe ich natürlich nicht. Ich kann mir jedoch sehr gut vorstellen, dass in Zukunft vermehrt telemedizinisch gearbeitet wird, verbunden mit intelligenten, aber einfach zu bedienenden und transportablen Geräten, so dass die am häufigsten auftretenden Krankheiten vor Ort zum Beispiel in „fahrenden Ambulanzen“ behandelt werden können.

Ein Beispiel hierfür ist das Produkt eines medizintechnischen Start-Up- Projekts, das wir betreuen: Das Team dort entwickelt an einem Gerät – von der Größe her vielleicht mit einem kleinen Akkuschrauber vergleichbar, das Innenohrentzündungen bei Kindern physikalisch, das heißt unter Verzicht auf die sonst übliche, aber letztlich wirkungslose, Antibiotikagabe behandeln kann. Das Kind ist nach einer halben Stunde schmerzfrei und muss nicht mit Medikamenten behandelt werden. Das Gerät erlaubt eine akkurate Diagnose von Mittelohrentzündung, dokumentiert die diagnostischen Parameter sowie den eigentlichen Eingriff und die Daten können direkt in der Patientenakte gespeichert werden. Von solchen „einfachen“ Lösungen benötigen wir mehr!

Allerdings, und hier möchte ich auf den Anfang des Gespräches verweisen, scheitern viele junge Unternehmen gerade in dieser Phase; aber nicht weil die Idee nicht stimmt, sondern weil man die hohen Kosten der regulatorischen Anforderungen wie auch die Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit nicht kennt und erst zu spät in die Planung einbezieht.

Ihr Steinbeis-Forschungszentrum Medizintechnik und Biotechnologie, das Sie vor fast zehn Jahren zusammen mit Prof. Dr. Rainer Fink gegründet haben, beschäftigt sich unter anderem mit Informationssystemen für Medizin, Medizintechnik und Biotechnologie. Welche spezifischen Anforderungen müssen Sie und Ihre Mitarbeiter bei deren Entwicklung berücksichtigen? Und wie werden sich diese in der Zukunft verändern?

Die entscheidende Frage nicht nur für uns! Und eine Frage, die nicht auf Informationssysteme begrenzt beantwortet werden kann. Wir müssen in den von uns betreuten Bereichen nicht nur „einfach“ up-to-date sein, sondern müssen viel Zeit und Kraft in die Recherche geplanter regulatorischer Entwicklungen und, fast noch wichtiger, geplanter Änderungen der Gesundheitssysteme stecken; Reimbursement/EUnetHTA seien als Stichworte genannt. Nur dann wird es gelingen, marktkonforme Produkte und Leistungen erfolgreich so anzubieten, dass sie für die Mehrheit der Bevölkerung über die Sozialversicherungen verfügbar werden.

In der letzten Zeit rückt das Thema eHealth immer mehr in den Vordergrund. Welche Herausforderungen wird das für Ihr Steinbeis- Unternehmen mitbringen?

Gerade haben wir von Datenuploads in die elektronische Patientenakte gesprochen. Diese Daten zu Diagnosen und Therapien gehören meines Erachtens mit zu den sensibelsten personenbezogenen Daten; sie sind daher besonders zu schützen. Auf der anderen Seite sind die heute verfügbaren IT-Werkzeuge, wie Clouds und Netzwerke, zunächst sehr offen und auf Datenaustausch ausgelegt. Auch wenn entsprechende Sicherheitstechniken bereits existieren, würden wohl die wenigsten Patienten ihre Krankenakte gerne irgendwo in einer Datencloud abgelegt wissen.

Das ist eine Herausforderung für alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen: Mit den vorhandenen Informationstechnologien Datenstrukturen aufzubauen, bei denen die Menschen darauf vertrauen können, dass ihre Daten nur von Berechtigten eingesehen werden können und diese nicht zu ihrem Nachteil manipuliert oder gar publik gemacht werden können. Gleichzeitig jedoch muss gewährleistet bleiben, dass diese Maßnahmen zur Datensicherheit so einfach wie möglich durchführbar sind, ansonsten werden sie im Alltag umgangen und damit ad absurdum geführt.

Aber auch dies ist nur realisierbar, wenn wir und andere junge Unternehmen sich der Gesamtrahmenbedingungen bewusst sind. Ansonsten werden eigentlich vielversprechende Projekte nicht zu Erfolg kommen und viel Geld und Elan unnötig verschwendet.

Kontakt

Dr. Martin Vogel ist Leiter des Steinbeis-Forschungszentrums Medizintechnik und Biotechnologie. Das Zentrum beschäftigt sich mit der Entwicklung von Modulen und Geräten, wissenschaftlich- technischen Recherchen und Datenauswertungen, gesundheitsökonomischen und Marktanalysen sowie mit den Informationssystemen für Medizin, Medizintechnik und Biotechnologie und wurde 2006 mit dem Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis ausgezeichnet.

Dr. Martin Vogel
Steinbeis-Forschungszentrum Medizintechnik und Biotechnologie (Weinheim)
su0895@stw.de

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