Neuer Therapieansatz für autoimmune Erkrankungen

Von der Zufallsentdeckung zum Steinbeis-Unternehmen

Autoimmune Erkrankungen entstehen, wenn sich unser Immunsystem gegen Zellen oder Gewebe des eigenen Körpers richtet. Die Ursache für diese Krankheiten sind Antikörper oder T-Lymphozyten, die Eiweiße in unseren Organen erkennen und deren Funktionen stören. Daraus resultieren Volkskrankheiten wie Rheuma, Multiple Sklerose, Morbus Crohn oder Diabetes. Kürzlich wurde entdeckt, dass ein großer Eiweißkomplex, das sogenannte „Immunproteasom“, an der Entstehung dieser Krankheiten beteiligt ist. Hemmstoffe gegen das Immunproteasom werden nun von der pharmazeutischen Industrie entwickelt als neuer Therapieansatz für autoimmune Erkrankungen. Dabei hilft das 2011 an der Universität Konstanz gegründete Steinbeis-Transferzentrum Immunoproteasome drug targeting.

Die spannendsten und oft auch fruchtbarsten Experimente sind die, bei denen etwas völlig Unerwartetes herauskommt. Schon seit 20 Jahren wird das Immunproteasom als ein großer, zylinderförmiger Proteinkomplex erforscht, der Eiweiße in den Zellen abbaut. Das Immunproteasom kommt in unseren weißen Blutzellen vor, es wird aber zudem in anderen Geweben stark hochreguliert, wenn diese entzündet sind. Die einzig bekannte Funktion des Immunproteasoms war, dass es Eiweiße von Viren und Bakterien fragmentiert. Diese Fragmente werden gebraucht, um damit T-Killerzellen zu stimulieren, die infizierte Zellen abtöten, und so die Ausbreitung von Viren oder Bakterien unterbinden. Die anfängliche Begeisterung der Immunologen für das Immunproteasom erhielt aber einen ziemlichen Dämpfer als die Gene für das Immunproteasom in gentechnisch veränderten Mäusen ausgeschaltet wurden. Diese sogenannten „Immunproteasom knock out“-Mäuse hatten nämlich kaum Probleme, Infektionen mit Viren oder Bakterien abzuwehren.

Mitten in diesem Katzenjammer machten Jacqueline Möbius und Dr. Michael Basler am Lehrstuhl für Immunologie der Universität Konstanz ein Schlüsselexperiment mit überraschendem Ausgang. Sie entnahmen einer Immunproteasom knock out-Maus und einer Kontrollmaus T-Lymphozyten und transferierten sie in eine virusinfizierte Maus. Während die T-Zellen der Kontrollmaus sich in der infizierten Empfängermaus vermehrten, waren die T-Zellen aus der Immunproteasomdefizienten Maus in der infizierten Empfängermaus nicht mehr aufzufinden.

Erst dachten die Forscher, sie hätten einen Fehler gemacht, aber das Ergebnis wurde mehrfach bestätigt: T-Zellen, denen das Immunproteasom fehlt, können in einer virusinfizierten Maus nicht überleben, wohl aber in einer Empfängermaus, die nicht infiziert war. Aus dem Zufallsbefund wurde eine Idee geboren: Wenn T-Zellen das Immunproteasom brauchen, um in einer Infektionssituation zu überleben, dann könnte die Hemmung des Immunproteasoms T-Zellen in einer unerwünschten Entzündungssituation, wie z.B. bei autoimmunen Erkrankungen, ausbremsen. Mitten in diese Überlegungen kam ein Anruf von Dr. Chris Kirk von Proteolix, einer kleinen Start-up Firma aus South San Francisco. Der hatte den weltweit ersten spezifischen Inhibitor des Immunproteasoms entwickelt, allerdings mit dem Ziel, damit eine Art Leukämie (das Multiple Myelom) zu therapieren. Dieses Ziel wurde zwar nicht erreicht, dieser Immunproteasom Inhibitor mit dem Namen PR-957 erlaubte es aber den Wissenschaftlern aus Konstanz, ihre Hypothese zu testen.

Tatsächlich konnten die Forscher um Prof. Dr. Marcus Groettrup am Lehrstuhl für Immunologie der Universität Konstanz in Kooperation mit Proteolix zeigen, dass PR-957 (heute mit ONX 0914 bezeichnet) die Entstehung oder das Fortschreiten gleich mehrerer Autoimmunkrankheiten wie Diabetes, Rheuma, und Multiple Sklerose in präklinischen Mausmodellen verhindert. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Hemmung des Immunproteasoms die Produktion von entzündungsfördernden Botenstoffen durch weiße Blutzellen unterdrückt, die diese Krankheiten unterhalten. Bereits kurz nach der Publikation der Ergebnisse (Nature Medicine (2009)) kamen die ersten Kooperationsanfragen aus der pharmazeutischen Industrie, die schon bald nicht mehr im Rahmen der akademischen Forschung am Lehrstuhl bewältigt werden konnten. Um dem Interesse an der Entwicklung von Testsystemen für die Suche nach weiteren und besseren Inhibitoren des Immunproteasoms gerecht zu werden, gründete Marcus Groettrup 2011 das Steinbeis- Transferzentrum Immunoproteasome drug targeting. Dieses bietet neben wissenschaftlicher Beratung auch Unterstützung bei der Validierung von neuen Inhibitoren des Immunproteasoms an, sowie Hilfe bei der Erprobung der Wirkstoffe in zellulären Testsystemen in vitro und in präklinischen Mausmodellen. Auch Consulting und wissenschaftliche Forschungskooperationen werden durchgeführt. Für den Lehrstuhl Immunologie ist der Erfahrungsaustausch mit der Industrie sehr wertvoll. Die Studierenden bekommen Kontakt zu Pharmafirmen, Möglichkeiten zu Praktika in der Industrie ergeben sich und auch Stellenangebote hat es schon gegeben. Das Steinbeis-Transferzentrum ist aber auch eine Möglichkeit, Begeisterung für den neuen Therapieansatz zu wecken und durch technische und wissenschaftliche Unterstützung den Weg zur klinischen Erprobung von neuen Inhibitoren des Immunproteasoms zu erleichtern. Wenn Wirksamkeit bei Patienten in einigen Jahren nachgewiesen werden könnte, wäre das nicht nur eine Chance für Patienten und die Pharmafirmen, auch die akademische Forschung zur Rolle des Immunproteasoms in der Autoimmunität würde davon sehr profitieren.

Kontakt

Prof. Dr. Marcus Groettrup leitet das Steinbeis-Transferzentrum Immunoproteasome drug targeting an der Universität Konstanz. Das Transferzentrum bietet Unterstützung bei der Entwicklung von Tests für die Hochdurchsatz- Suche von Inhibitoren des Immunproteasoms sowie bei der Validierung solcher Inhibitoren an. Auch wissenschaftliche Beratung und technische Unterstützung für Pharmafirmen werden durchgeführt.

Prof. Dr. Marcus Groettrup
Steinbeis-Transferzentrum Immunoproteasome drug targeting (Konstanz)
Marcus.Groettrup@stw.de

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