„Eine fundierte Personalentwicklung orientiert sich an den Ideen des evidenzbasierten Managements“

Im Gespräch mit Dr. Viktor Lau

Herr Dr. Lau, dass die Personalentwicklung eine wichtige Rolle im Unternehmen spielt und eine große Bedeutung für den Unternehmenserfolg hat, darüber sind sich die meisten einig. Wie aber die Umsetzung in der Praxis aussehen sollte, darüber streiten sich die Geister. Was macht Ihrer Meinung nach eine gute Personalentwicklung aus? Wo sehen Sie aktuell Probleme?

Eine gute – seriöse und professionelle – Personalentwicklung zeichnet sich durch Folgendes aus: Ihre Leistungen richten sich auf betriebliche oder stellenbezogene Erfordernisse; das Seelenheil von Beschäftigten oder Führungskräften ist nicht ihr Auftrag. Ernsthafte Personalentwicklung würdigt die im bürgerlichen Recht definierten Grenzen und achtet den Anspruch der Mitarbeiter auf physische und psychische Unversehrtheit – und rückt ihnen nicht mit psychotherapeutischen Tricks auf die Pelle. Eine fundierte Personalentwicklung setzt ferner nur auf Maßnahmen, die eine rationale, nachvollziehbare und empirisch halbwegs abgesicherte Grundlage haben; im besten Falle orientiert sie sich an den Ideen des evidenzbasierten Managements.

Das große Problem der Personalentwicklung – gerade auch im mittelständischen Bereich – sehe ich darin, dass diese Funktion zusehends durch Managementesoteriker unterwandert wird. Mit Managementesoterik meine ich irrationale oder nicht evidente Psychotechniken wie das Neuro-Linguistische Programmieren (NLP), Persönlichkeitstypologien, die die Beschäftigten auf der Grundlage kruder Fragmente von C.G. Jung in blaue, rote, grüne oder gelbe Typen einteilen. Ich meine damit die zoologisch orientierte Führungskräfteentwicklung, bei der Manager aufgrund trivialer Metaphern in den Pferdestall, das Wolfsgehege oder die Falknerstation geschickt werden, außerdem die ideologisch aufgeladene Organisationsaufstellung und alle möglichen Grau-Importe von Instant- Buddhismus oder Taoismus. Zurzeit werden diese Probleme eher größer als kleiner.

Sie sind seit fast zwanzig Jahren als Praktiker in der Personal- und Organisationsentwicklung tätig, auch und gerade im mittelständischen Bereich. Kleine und mittelständische Unternehmen haben es bei Personalentwicklungsfragen aufgrund der fehlenden Ressourcen oft schwer. Welche Projekte und Dienstleistungen im Bereich Personalentwicklung sind von KMU besonders nachgefragt?

Das sind in erster Linie klassische Aus- und Weiterbildungsleistungen, für die ein sehr großer und damit auch unübersichtlicher Markt an externen Anbietern existiert. Wichtig sind und bleiben auch Blended- oder E-Learning-Konzepte. Signifikant gestiegen ist der Bedarf über die Jahre hinweg an rollenbasierten Weiterbildungsmöglichkeiten, Aufbaustudiengängen, aber auch Coaching-Dienstleistungen für die Führungskräfte.

An Bedeutung gewonnen haben auch Mitarbeiterbefragungen – ein erfreulicher Trend, der zeigt, dass das Management mit den Beschäftigten stärker in den Dialog treten will. Maßnahmen zur Führungskräfteentwicklung sind trotz vielfach festgestellter Führungsmängel in sehr unterschiedlichem Maße durchsetzbar. Das hängt naturgemäß vom Top- Management und von der Führungskultur im Unternehmen ab. Meines Erachtens verhalten sich viele KMU hinsichtlich der Personalentwicklung noch zu defensiv und benutzen den Ressourcen-Mangel als Argument. Hier sind intelligente Konzepte, beispielsweise unternehmensübergreifende Initiativen gefordert.

Sie haben das Buch „Schwarzbuch Personalentwicklung“ in der Steinbeis-Edition veröffentlicht, in dem Sie viele Personalentwicklungsmethoden scharf kritisieren und als „unheilvolle Managementesoterik“ bezeichnen. Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

In erster Linie die geradezu galoppierende Managementesoterik, die mir unter anderem als Leiter Personalentwicklung angetragen worden ist. In fast zwanzig Jahren Praxis sind die absonderlichsten Ideen auf meinem Tisch gelandet. Neben den bereits genannten sind das vor allem rein esoterische Konstrukte wie „schamanistische Personalentwicklung“ oder „spirituelles Coaching“ sowie zusehends gefährliche Mischungen aus Psychotechniken, Alternativmedizin und therapeutischen Ansätzen. In der Personalentwicklung wird von Trainern, Coaches und Personalentwicklern heute alles Mögliche miteinander kombiniert, NLP mit Kinesiologie und EMDR beispielsweise oder NLP mit Organisationsaufstellungen usw. Und auch die zoologisch inspirierte Führungskräfteentwicklung scheint noch weitere Abwegigkeiten hervorbringen zu können – eine deutsche Großbank arbeitet gegenwärtig mit Lamas. Die zugrunde liegenden Konzepte als waghalsig zu bezeichnen, wäre untertrieben. Hinzu kommt eine gefährliche Grenzüberschreitung, denn therapeutische Ansätze, von Laien dargeboten, haben in der betrieblichen Personalwirtschaft nichts verloren.

Eine künftig zu erwartende Überalterung der Mitarbeiter und der demographisch bedingte Rückgang des Arbeitskräftenachwuchses werden in der Zukunft die Herausforderungen für die Personalentwickler sein. Wie können diese aus Ihrer Sicht gelöst werden?

Wenn wir mal davon ausgehen, dass die Personalentwicklung sich mittelfristig von esoterischen und unseriösen Angeboten abwendet, dann wird es angesichts der demographischen Entwicklung – auch wieder in besonderem Maße in KMU – darauf ankommen, Personalrisiken und Potenziale gleichzeitig zu betrachten und zu managen. Ich habe dafür den Begriff der „Potenzialorientierten Nachfolgeplanung“ geprägt. Künftig wird man nicht mehr aus dem Vollen schöpfen können, sondern schon sehr frühzeitig Ideen dafür entwickeln müssen, wer wichtige Mitarbeiter im Falle eines Falles ersetzen kann. Das leistet die Potenzialorientierte Nachfolgeplanung, weil sie das Personalrisikomanagement mit den strategischen Aspekten der Personalentwicklung verknüpft.

Kontakt

Dr. Viktor Lau ist Fachbuchautor bei der Steinbeis-Edition und seit über zehn Jahren als Berater für internationale Beratungsunternehmen tätig. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Personalstrategie und -organisation, Personalentwicklung und Weiterbildung, Personal- und Bildungscontrolling.

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