„Leichtbau ist weit mehr als die reine Materialsubstitution!“

Im Gespräch mit Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Landesagentur für Leichtbau BW

Beate Wittkopp ist Leiterin des Steinbeis-Transferzentrums TransferWerk-BW und als Netzwerkerin aktiv im Beirat der Landesagentur für Leichtbau BW. Sie sprach für die TRANSFER mit Dr. Wolfgang Seeliger über die Rolle des Leichtbaus als branchenübergreifender Innovationstreiber, über die Digitalisierung und die Zukunftsaussichten der Branche.

Herr Dr. Seeliger, als Diplom-Chemiker mit MBA haben Sie am Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie zum Schwerpunktthema Regenerative Energien promoviert. Stationen Ihrer beruflichen Laufbahn waren u.a. die Automobilindustrie und die Landesbank Baden-Württemberg. Wie führte Ihr Weg Sie in den Leichtbau?

Mich begeistern Innovationen und Entwicklungen im Spannungsfeld zwischen den nur endlich verfügbaren Ressourcen auf der einen Seite sowie den riesigen Marktpotenzialen für neue Werkstoffe und Materialien andererseits. Hier bietet der Leichtbau faszinierende und nachhaltige Möglichkeiten, Energie, Material und Kosten zu sparen und dabei mit weniger Gewicht trotzdem höhere Belastbarkeiten und bessere Funktionalitäten zu erreichen, ganz nach unserem Leitmotiv „Weniger ist mehr”. Damit erschließen sich nicht nur enorme wirtschaftliche Potenziale für unsere Unternehmen, wir können auch wertvolle Ressourcen einsparen.

Was macht den Leichtbau zu einem branchenübergreifenden Innovationstreiber?

Leichtbau als Querschnittsthema tangiert zahlreiche Branchen von Automotive über Maschinenbau sowie Luft- und Raumfahrt bis hin zur Medizintechnik sowie Bau und Architektur. Damit sichert die Leichtbaubranche für die Zukunft viele hochwertige Arbeitsplätze und auch die industrielle Leistungsfähigkeit Baden-Württembergs. Die Potenziale des konventionellen Leichtbaus in der Automobilindustrie werden aber voraussichtlich schon innerhalb der nächsten zwei Fahrzeuggenerationen gehoben werden. Nun steht mittelfristig ein Paradigmenwechsel an, der neben der Digitalisierung der Wertschöpfungskette einen Schwerpunkt auf Konzept-Leichtbau sowie Prozessinnovationen legt.

Welche sind aus Ihrer Sicht die zentralen Anwenderbranchen?

Marktprognosen weisen darauf hin, dass der Transportsektor bis auf weiteres der Hauptabnehmer für den Leichtbau bleiben wird. Das Marktvolumen wird laut Studien in diesem Bereich um 140 Mrd. Euro in 2020 liegen. Im Maschinenbau wächst das Marktvolumen im gleichen Zeitraum schätzungsweise auf bis zu 30 Mrd. Euro. Für wen wird der Leichtbau nun besonders spannend? Eine Analyse der aktuellen Patentaktivitäten zeigt, dass auf lange Sicht der Bausektor den Transportbereich von der Spitzenposition verdrängen könnte. Momentan noch visionär, entsteht ein weites Wachstumsfeld für den Leichtbau im Zusammenwachsen von Architektur und Mobilität im Städtebau. Es geht dabei um die Übertragung von Leichtbau-Prinzipien in die Stadtentwicklung, im Kern um den Transfer von Leichtbau-Materialien und Funktionsintegrationen in Gebäude.

Was sind die wesentlichen Trends? Wohin geht die Reise?

Mit Leichtbau lassen sich nicht nur Massenverbräuche und CO2-Ausstöße reduzieren, sondern auch ganz wesentlich Kosten einsparen. Um alle Potenziale zu heben, muss der Leichtbau in seiner gesamten Breite gesehen werden. Die reine Materialsubstitution wird weiterhin wichtig bleiben, wobei der Fokus mehr auf dem Multimaterialdesign liegen wird. Ein weiterer Paradigmenwechsel ist schon eingeleitet mit der mittel- bis langfristigen Entwicklung in Richtung Konzept-Leichtbau – exemplarisch steht hierfür die Automobilindustrie. Die hier gewonnenen Erfahrungen lassen sich auch hervorragend auf andere Branchen transferieren. Mit unserem „ThinKing“ stellen wir monatlich eine innovative Leichtbaulösung vor. Damit wollen wir Ansporn und Impuls geben und die Leichtbau-Exzellenz im Land sichtbar machen.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung für den Leichtbau?

Die Digitalisierung ist für den Leichtbau essentiell. Der Leichtbau geht mit Werkstoffen an Grenzen der Belastbarkeit, Produkte werden komplett neu konstruiert, Funktionen in Bauteile integriert. Um die Leichtbau- Potenziale komplett ausschöpfen zu können, ist eine durchgängige Datenkommunikation entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig. Dies führt zu einer deutlich gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit und einem Mehrwert für den Kunden. Der Engineering-Prozess wird dabei immer komplexer und verschiebt sich von einem konsekutiven zu einem komplexen Prozess mit Feedbackschleifen über die gesamte Prozesskette, also an den verschiedenen Stationen. Es geht dabei um nichts anderes als die Digitalisierung der gesamten Prozesskette. Dafür muss der Datenaustausch standardisiert werden.

Wie können sich Ihrer Ansicht nach die Unternehmen am besten diesen technologiegetriebenen Transformationen stellen?

Wie eine Bildungsbedarfsanalyse der Leichtbau BW GmbH eindrucksvoll zeigt, sind veränderte Geschäftsprozesse ein „brandheißes“ Thema für Unternehmen im Leichtbau. Dies erfordert veränderte Arbeitsweisen. Die Produktion und Entwicklung müssen näher zusammenrücken und beeinflussen sich gegenseitig, aber auch neue Berechnungsverfahren – all das erfordert der Leichtbau. Prozessinnovationen sind gefragt.

Der Ausbildung und der berufsintegrierten Weiterqualifizierung kommt also auch hier zentrale Bedeutung zu?

Stimmt. Leichtbau erfordert ein komplettes Umdenken bei Prozessen, Verfahren und Methoden sowie Werkstoffen. Er ergibt sich als Folge eines überlegten, nachhaltigen Designs und Konstruktionsprozesses und aus der Beherrschung von Fertigungstechnologien sowie einer geeigneten Werkstoffwahl. Diese Veränderungen sind mit neuen Qualifizierungsanforderungen an die Mitarbeiter eines Unternehmens verbunden. In der akademischen Welt ist der Leichtbau schon fest verankert: In über 50 verschiedenen Studienrichtungen wird der Leichtbau in Baden- Württemberg gelehrt - von der Architektur bis hin zu Wirtschaftsingenieurwesen. Die Herausforderung sehen wir noch in der gewerblichen Weiterbildung. Wir haben zusätzlich eine entsprechende Bildungsbedarfsanalyse in den Unternehmen durchgeführt und planen für die Zukunft Zertifikatslehrgänge und innovative Weiterbildungsformate.

Die Vernetzung der zahlreichen Akteure ist eine Vorrausetzung, um im Querschnittsthema Leichtbau auch die gebührende interdisziplinäre Zusammenarbeit zu initialisieren und Querdenkern Raum zu geben. Wie bündeln Sie die Kräfte?

Wir halten beispielsweise die Zusammenarbeit mit Industrieverbänden wie dem Landesverband der Baden-Württembergischen Industrie e.V. (LVI) und dem VDMA Baden-Württemberg für sehr wichtig. Dies bilden wir nicht nur in unserem Beirat ab, sondern organisieren gemeinsame Veranstaltungen zum Erfahrungsaustausch von Anbietern und Anwendern, gerade für unsere KMU eine wichtige B2B-Plattform. Aber auch die Zusammenarbeit auf Ebene der Bundesländer und des Bundes stößt auf großes Interesse in unserem Netzwerk. Zur Vermarktung von Innovation im „Leichtbau aus Baden-Württemberg“ bietet die Leichtbau BW GmbH in verschiedenen Formaten und mit unterschiedlichen Partnern aus Wirtschaft sowie Wissenschaft den Unternehmen Veranstaltungen, Plattformen und Projektgruppen an. Wir sind als Aussteller auf den meisten einschlägigen Technologie-Messen vertreten, der diesjährige Gemeinschaftsstand „Leichtbau aus Baden-Württemberg“ auf der Hannover Messe war für die ausstellenden Unternehmen sehr erfolgreich. Wir möchten auch Impulsgeber versammeln und haben unter anderem den Technologietag Hybrider Leichtbau etabliert – in enger Zusammenarbeit mit der Allianz Faserbasierte Werkstoffe Baden-Württemberg (AFBW), Carbon Composites Baden-Württemberg (CCBW) und Leichtbauzentrum Baden-Württemberg (LBZ). Die Konferenz mit begleitender Fachausstellung fand in diesem Jahr zum dritten Mal statt. Dabei waren 250 Teilnehmer, von denen 15% aus dem Ausland kamen. Wir bieten in enger Zusammenarbeit mit dem LVI e.V. branchenübergreifende Workshops an und beispielsweise mit dem Forum Luft- und Raumfahrt e.V. die Veranstaltung „Luftfahrt meets Leichtbau”. Außerordentlichen Wert legen unsere Unternehmen auf das Thema Internationalisierung – wir kooperieren dazu mit Österreich und der Schweiz. Außerdem haben wir einen sehr dynamisch wachsenden Austausch mit dem US-Bundesstaat Michigan, hier haben in beide Richtungen bereits vielversprechende Unternehmensreisen stattgefunden, das nächste Automotive- Manufacturing-Meeting ist in Vorbereitung. Ziel ist es, die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit in Baden-Württemberg zu steigern und zum Entstehen neuer Jobs beizutragen. Leichtbau ist dabei eine „enabling technology“. Als 100-prozentiges Landesunternehmen unterstützen wir Industrie und Forschung auf ihrem Weg an die Weltspitze im Leichtbau.

Kontakt

Dr. Wolfgang Seeliger ist Geschäftsführer der Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg. Die Leichtbau BW GmbH ist eine baden- württembergische Landesagentur zur Wirtschafts- und Wissenschaftsförderung. Das Landesunternehmen agiert als neutraler und branchenübergreifender Ansprechpartner für Industrie, Forschung und Gesellschaft. Es unterstützt den Technologie- und Wissenstransfer im Leichtbau und hilft bei der Suche nach neuen Kooperationspartnern.

Dr. Wolfgang Seeliger
Leichtbau BW GmbH
Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg (Stuttgart)
info@leichtbau-bw.de

Beate Wittkopp bietet als Leiterin des Transferzentrums TransferWerk- BW im Steinbeis-Verbund professionelles Netzwerkmanagement in technologiegetriebenen Projekten und Transformationsprozessen an. Sie ist u.a. Mitglied bei Baden-Württemberg: connected bwcon e.V., im Landesverband der Baden-Württembergischen Industrie e.V. (LVI) und für den LVI im Beirat der Landesagentur für Leichtbau BW.

Beate Wittkopp
Steinbeis-Transferzentrum TransferWerk-BW (Schönaich)
su1755@stw.de

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