Wie können Ausbilder und Auszubildende in der Transport- und Logistikbranche so qualifiziert werden, dass sie in ihren ökonomisch geprägten Arbeitsroutinen ökologische und soziale Auswirkungen mit berücksichtigen? Antworten auf diese Frage sucht ein praxisorientiertes Projekt unter dem etwas sperrigen Titel „Proaktive Qualifizierung des Berufsbildungspersonals durch dynamisch ausgerichtete Entwicklung, Erprobung und Verbreitung nachhaltiger Lernaufgaben in der dualen Ausbildung (Pro-DEENLA - Spedition und Logistik)“. Im Projekt werden Lehrende und Lernende qualifiziert, um die Idee der Nachhaltigkeit in der dualen Ausbildung zu etablieren sowie zu verstetigen. Gefördert wird das Vorhaben für drei Jahre vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (BIBB). Umsetzungspartner sind das Steinbeis-Innovationszentrum Logistik und Nachhaltigkeit (SLN), Sinsheim, und die Leuphana Universität Lüneburg, Arbeitseinheit Wirtschaftspädagogik.
„Wir freuen uns über das erste gemeinsame Vorhaben. Hier haben sich zwei Partner gefunden, die sich fachlich und pädagogisch bestens ergänzen“, ist Jens-Jochen Roth, Leiter des Steinbeis-Zentrums in Sinsheim, überzeugt. Für Prof. Dr. Andreas Fischer von der Leuphana Universität Lüneburg ist es eine zentrale Aufgabe des Projekts, den konstruktiven Umgang mit Widersprüchen als Grundlage für ein nachhaltiges berufliches Handeln zu fördern. Denn: „Wenn es darum geht, die Nachhaltigkeitsidee in einer nachhaltig ausgerichteten betriebswirtschaftlich- kaufmännischen Ausbildung zu verankern, ist die Widersprüchlichkeit der Entscheidungsmöglichkeiten als Grundlage für ein nachhaltiges Wirtschaften vor Ort am Arbeitsplatz zu verstehen“, so Andreas Fischer.
Nicht nur die beiden Projektmanager wissen, dass die Logistik bundesweit zu den wichtigsten Wirtschaftsbereichen zählt und hinter der Automobilindustrie und dem Gesundheitswesen den dritten Platz einnimmt. Der Nachhaltigkeitsgedanke findet im Ausbildungsalltag der Branche jedoch bislang kaum Beachtung. Dabei zeigen die Aktivitäten im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung, dass es in der Branche eine Vielzahl von Ansatzpunkten gibt, nachhaltig zu denken und dementsprechend zu agieren. Nicht zuletzt der Klimawandel und die Energiewende machen es erforderlich, dem Thema Nachhaltigkeit eine weitaus höhere Priorität einzuräumen, als dies derzeit in der Transportund Logistikwirtschaft der Fall ist.
Nachhaltiges Denken und Handeln ist in Zukunft so zu verankern, dass es als selbstverständliches Element gewertet und wahrgenommen wird. Vor allem kommt es darauf an, Nachhaltigkeit so zu thematisieren, dass bei den Akteuren nicht nur ein Verständnis entwickelt wird, sondern vielmehr konkrete Aktivitäten daraus abgeleitet werden. Das macht eine entsprechende Qualifizierung gerade in diesem Wirtschaftsbereich notwendig.
Das geförderte Projekt hat zum Ziel, sowohl Auszubildende in den Betrieben anzusprechen als auch Qualifizierungsmaßnahmen für das betriebliche Berufsbildungspersonal durchzuführen. Diese Konzeption stellt sicher, dass die Kompetenzen aller beteiligten Akteure für nachhaltige Entwicklung im Gesamten langfristig gestärkt werden. Darüber hinaus wird ein Beitrag geleistet, zukünftige Fachkräfte für nachhaltigkeitsbezogene Fragestellungen zu sensibilisieren. Durch den Einsatz unterschiedlicher Qualifizierungsmaßnahmen wird dem Anspruch einer nachhaltigen Entwicklung insbesondere auf betrieblicher Ebene Rechnung getragen. Deswegen werden die LehrLern-Arrangements (kurz: Lernaufgaben) nicht (nur) am Schreibtisch oder im „luftleeren Raum“ konzipiert, erprobt und implementiert, sondern gemeinsam mit den Ausbildern und Auszubildenden in der Transport- und Logistikbranche. Kurz: Ausbilder werden offensiv in die Realisierung von Lernaufgaben einbezogen, um informelle und formelle Prozesse einer Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung in Spedition und Logistikdienstleistung arrangieren zu können. Die Lernaufgaben konzipieren die beiden Projektpartner auf Basis vorhandener Ansätze, der erfassten Anforderungen und Bedarfe der Transport- und Logistikbranche sowie aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über das Lernen am Arbeitsplatz. Dabei werden individuell anpassbare, weiterentwickelbare und arbeitsplatzorientierte Lernarrangements aufgebaut, die den Kompetenzerwerb in den Mittelpunkt stellen. Die Themen weisen eine hohe Aktualität und einen engen Bezug zur eigenen Arbeitstätigkeit auf und sind zugleich systematisch ausgerichtet.
Alle Lernaufgaben sind erfahrungs- und problembasiert, selbstgesteuert, individualisiert, kooperativ und partizipativ ausgerichtet. Sie sollen Aneignungsprozesse, Selbstklärung und Selbstreflexion der Auszubildenden fördern und fordern. Diese anspruchsvollen Prozesse werden nicht nur zugelassen, sondern den Lernenden ganz bewusst „zugemutet“. Dabei werden individuelle Lernstile und -gewohnheiten berücksichtigt und die Lernenden zugleich für ihre Lernstärken und -schwächen sensibilisiert. Die Lernaufgaben betonen also die Offenheit von (Lern-)Prozessen, Wechselwirkungen, Systemdynamik, Störanfälligkeit und Irrtumswahrscheinlichkeit und fördern damit die Selbstorganisation.
Zu Projektbeginn nehmen zehn kleine und mittelständische sowie ein konzerngeführtes Unternehmen der Transport- und Logistikwirtschaft an dem Projekt teil. Sie sind in sechs verschiedenen Bundesländern angesiedelt. Auch die entsprechenden Branchenverbände werden eingebunden. Im Verlauf des Projekts werden insgesamt 24 komplexe Lernaufgaben konzipiert und den Auszubildenden sowie den Lehrenden und Ausbildern zur Verfügung gestellt. Diese Aufgaben lassen sich in Basis-, Verknüpfungs- und Erweiterungslernaufgaben unterscheiden, die unterschiedliche Zugänge zu einer nachhaltigen Qualifizierung ermöglichen. Jens-Jochen Roth plant, dass die erworbenen Kenntnisse auf andere betriebswirtschaftlich-kaufmännische Berufe übertragen werden können.
Bis 2019 fördert das BIBB neben Pro-DEENLA weitere Projekte, die das gemeinsame Ziel verfolgen, nachhaltigkeitsorientierte berufliche Kompetenzen in die kaufmännische Ausbildung strukturell zu integrieren. Für die Transport- und Logistikbranche übernimmt Pro-DEENLA dabei eine Vorreiterfunktion