„Die direkte Kontaktstelle zwischen dem Menschen und dem Sensor wird zunehmend in den Fokus rücken“

Im Gespräch mit Professor Dr.-Ing. habil. Hagen Malberg, Leiter des Steinbeis-Forschungszentrums Angewandte Medizintechnik

Herr Professor Malberg, einer der Schwerpunkte Ihres Steinbeis- Unternehmens Angewandte Medizintechnik liegt im Bereich der medizinischen Sensorik. Welche Dienstleistungen bieten Sie Ihren Kunden auf diesem Gebiet an?

Für die medizinische Sensorik und Biosignalverarbeitung bieten wir drei Anwendungsgebiete: die klassische klinische Anwendung, beispielsweise für Herzschrittmacher oder die intensiv- und schlafmedizinische Überwachung. Daneben die außerklinische Anwendung zum Beispiel zur häuslichen Überwachung (AAL) oder für die Arbeitsmedizin und schließlich die nichtklinischen Bereiche wie beispielsweise die Fahrerassistenzsysteme oder Life-Style-Anwendungen. Alle Bereiche hängen eng miteinander zusammen und profitieren aus unserer stark klinisch geprägten Expertise auf dem Gebiet der Messung und Charakterisierung des autonomen Nervensystems. Das Nervensystem des Menschen ist ein hochkomplexes Informationssystem, das sehr sensibel auf physischen und mentalen Stress, aber auch auf die Dysfunktion einzelner Organe reagiert und individuelle Gesundheitsrisiken anzeigen kann. Neuartige Sensorik gestattet es uns, den klinischen Kenntnisstand auch auf außerklinische Bereiche zu übertragen - das macht für mich die Faszination des Gebietes aus.

Sie haben Ihr Steinbeis-Unternehmen vor fünf Jahren gegründet, wie haben die technologischen Entwicklungen in dieser Zeit Ihre Arbeit beeinflusst?

Vor fünf Jahren konnte ich mir nicht vorstellen, dass man den Herzschlag des Menschen mit einer Webcam – und dies sogar ziemlich genau - messen kann. Heute sind wir in der Lage, mit vergleichsweise preiswerten optischen Kameras den Herzschlag, die Perfusion und die Respiration zu messen. Die kontaktlose kardiovaskuläre Messtechnik eröffnet uns völlig neue Anwendungsgebiete, insbesondere auch außerhalb der Klinik. In diesem Kontext stehen auch die zunehmende Leistungsfähigkeit von Smartphones als Messgerät oder als Analyse- und Kommunikationseinheit von externen Geräten sowie die zunehmende Rechen- und Übertragungsgeschwindigkeit in zentralen und dezentralen Netzwerken. Und der Trend ist keineswegs abgeschlossen, etwa jedes Jahr wird ein neuer Sensor in Smartphones integriert. Momentan kommen wir damit an unsere klinischen Anforderungen noch nicht heran, das ist aber nur eine Frage der Zeit. Dasselbe gilt auch für andere Arten von Sensoren und Kameras.

Das Einsatzgebiet der medizinischen Sensorik ist groß: Sie wird sowohl im klinischen Umfeld als auch ambulant angewendet, man nutzt sie für Online-Monitoring, In-Vitro-und in-vivo-Diagnostik usw. Mit welchen Fragestellungen kommen Ihre Kunden zu Ihnen, welche Dienstleistungen werden besonders nachgefragt?

Wir werden primär aus zwei Gründen nachgefragt, zum einen: Kann man mit neuen Algorithmen mehr medizinisch relevante Informationen aus routinemäßig gemessenen Biosignalen gewinnen? Das ist die klassische Medizintechnikbranche, bei der es darum geht, die vorhandenen Messverfahren durch neue Algorithmen zu optimieren, insbesondere für das Herzkreislaufsystem. Zum zweiten: Wie lassen sich neue medizinische Sensoren in vergleichsweise unkonventionelle Messumgebungen integrieren?

Die Projekte sind sehr herausfordernd, weil es zum Teil sehr wenig Vorwissen weltweit dazu gibt. Die optische Herzschlagmessung ist bei herzgesunden jungen Probanden unter Laborbedingungen sicherlich gut machbar, aber wie funktioniert dieses Verfahren bei Älteren oder kardiologischen Patienten, wie gut funktioniert es im Schlaflabor oder im fahrenden Auto? Dort sind viele herausfordernde interdisziplinäre Details zu lösen. Letztendlich ist es aber nicht die Messtechnik, die ein Problem lösen soll, sondern die Interpretation der Messwerte. Und dort sehen wir uns primär aufgestellt, mit Verfahren zur Reduktion von Artefakten, innovativen Verfahren zur Biosignalverarbeitung und Entscheidungsunterstützung. Dort sind die Herausforderungen groß und lassen sich nur durch längere Partnerschaften angehen. Denn die Fragen „Wie lässt sich das Einschlafen minutengenau prädizieren?“ oder „ist der plötzliche Herztod tatsächlich ein unerwartetes Ereignis?“ sind nicht trivial und schnell zu lösen.

Innovative intelligente Werkstoffe, Entwicklung von RFID-Sensoren – das sind nur zwei der aktuellen technologischen Trends im Bereich der medizinischen Sensorik. Wo werden Ihrer Meinung nach die Forschungs- und die Einsatzschwerpunkte der Zukunft liegen?

Intelligente Werkstoffe und RFID-Sensoren sind sicherlich hochinteressante Schwerpunkte und potentiell geeignet, bessere medizinische Informationen unter neuartigen Anwendungsbedingungen zu gewinnen. Noch mehr fasziniert mich jedoch die kontaktlose medizinische Messtechnik: Wie lassen sich ohne jeden Körperkontakt medizinische Informationen von hoher Qualität messen? In diesem Kontext haben wir in den westlichen Ländern einen wesentlichen strategischen Nachteil: Medizintechnik im Sinne von Krankenhaustechnik ist in der Regel in der Bevölkerung nicht unbedingt positiv belegt, sie erinnert uns an Alter, Krankheit und unschöne Behandlungsprozeduren – und wer hat das schon gern zu Hause! Ein gutes Beispiel dafür ist die Blutdruckmessung. Die ist zwar als Selbstmessung zu Hause etabliert, die Geräte sind kostengünstig, aber dennoch ist sie unbeliebt durch den abschnürenden Manschettendruck und die umständliche Messprozedur. Die Herausforderung besteht meiner Meinung nach darin, eine völlig neue Generation von Medizintechnik zu entwickeln, die nicht mehr als solche wahrgenommen wird: gern angenommen und zu einem gesundheitsbewussten Handeln motivierend. eHealth und mHealth werden nur dann in der Bevölkerung größere Verbreitung finden, wenn die Systeme den Menschen in den Mittelpunkt stellen, ihn motivieren und ihm sogar Spaß machen. Davon ist unsere konventionelle medizintechnische Denkensart leider noch weit entfernt. Die direkte Kontaktstelle zwischen dem Menschen und dem Sensor wird zunehmend in den Fokus rücken. Lösungen dafür zu entwickeln und zu etablieren, auch mit für die Branche „ungewöhnlichen“ Partnern, sehe ich als große Herausforderung für die Zukunft.

Kontakt

Professor Dr.-Ing. habil. Hagen Malberg leitet das Steinbeis-Forschungszentrum Angewandte Medizintechnik. Das Zentrum beschäftigt sich intensiv mit den Fragen der biomedizinischen Technik, medizinischen Geräteentwicklung und Sensorik sowie Biosignalverarbeitung.

Professor Dr.-Ing. habil. Hagen Malberg
Steinbeis-Forschungszentrum Angewandte Medizintechnik (Dresden)
SU1475@stw.de

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