Biosensoren bringen Zellen zum Reden

Steinbeis-Experten entwickeln Analysegeräte für Medizin und Biologie

Wie reagiert ein Tumor auf ein bestimmtes Medikament? Welchen Einfluss haben Schadstoffe auf Wasserpflanzen? Für Mediziner und Biologen ist es in vielen Situationen essentiell, ganz genau zu wissen, wie sich Zellen und Gewebe verhalten. Nur dann können sie entscheiden, wie sie in der jeweiligen Situation weiter vorgehen. Der Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der Technischen Universität München hat in den vergangenen Jahren Mikrosensorchips und ganze Sensorsysteme konstruiert, die genau das können: Das Verhalten von Zellen und Gewebe analysieren und überwachen. Auf dieser Basis haben die Forscher am Steinbeis-Transferzentrum Zellchip-Technologien mit ihren Partnern inzwischen Analysegeräte für die unterschiedlichsten Anwendungen entwickelt, die bereits von mittelständischen Unternehmen in ihren Produkten verwendet werden.

Zellen können nicht reden, aber sie können eine Menge erzählen. Lebende Zellen reagieren ständig auf Einflüsse aus ihrer Umwelt und kommunizieren auf diese Weise mit ihrer Umgebung. Beispielsweise antworten sie auf chemische oder physikalische Reize, indem sie ihre Stoffwechselaktivität verändern – das kann sich durch die Freisetzung bzw. den Verbrauch von Sauerstoff oder die Steigerung bzw. Verminderung des pH-Werts in ihrer direkten Umgebung zeigen. Ihre Reaktion kann aber auch die Produktion von Proteinen, eine erhöhte Zellteilungsrate oder gar der Zelltod sein. Die Experten am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik in München unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Wolf haben multiparametrische Mikrosensorchips entwickelt, die viele dieser Reaktionen erfassen können: Biohybride Sensoren, bei denen die Zellen direkt auf dem Sensor kultiviert werden. „Die Zellen verwachsen quasi mit dem Sensor – der kann dann sehr genau messen, wie sich die Zellen gerade verhalten und wie vital sie sind“, sagt Bernhard Wolf, der auch das Steinbeis-Transferzentrum Zellchip-Technologien leitet.

Aber das war nur der erste Schritt: Die Wissenschaftler entwickelten die biohybriden Sensoren weiter zu sogenannten Lab-On-Chip-Systemen. Bei ihnen sitzt auf dem Biosensor eine Reaktionskammer, in die Reagenzien eingebracht werden können. Dadurch kann zum Beispiel gezielt untersucht werden, wie Zellen auf einen bestimmten Wirkstoff reagieren. Eine Methode, durch die viele Tierversuche vermieden werden könnten – der Chip ersetzt dabei quasi das lebende Versuchstier. Für die Onkologie kann etwa der Einfluss von Zytostatika auf Tumorzellen getestet werden.

Um ihre Systeme mobil zu machen und zellbasierte Analysen auch außerhalb von Reinraumlaboratorien durchführen zu können, haben die Münchner Forscher in Kooperation mit dem Unternehmen Cellasys das „Intelligente mobile Labor für die In-Vitro-Diagnostik“ (IMOLA-IVD) entwickelt. Herzstück ist ein biohybrider Chip mit Sensoren für pH-Wert, Sauerstoff, Impedanz und Temperatur – darüber befindet sich eine Reaktionskammer. Durch ein Schlauchsystem und eine Pumpe erfolgt vollautomatisch die Zugabe von Wirkstoffen und Nährmedium für die Zellen. Mehrere dieser geschlossenen Einzelsysteme können kombiniert und parallel betrieben werden, dadurch ergibt sich ein höherer Durchsatz an Experimenten (z. B. 6-fach IMOLA-IVD). Ein Softwaremodul kontrolliert den Verlauf der Versuche; es erfasst, verarbeitet und interpretiert die gewonnenen Messdaten. Das IMOLA-System kann künftig in der individualisierten Chemotherapie, der Wirkstoffentwicklung, der regenerativen Medizin und für Alternativmethoden zu Tierversuchen Anwendung finden.

Auch in der Lebensmittelüberwachung und im Umweltmonitoring können biohybride Chips eingesetzt werden. Die Wissenschaftler haben ihr System inzwischen nämlich weiter miniaturisiert. Entstanden ist ein tragbares, drahtlos arbeitendes Handheld-Gerät: Das „μLa“ (Mikro-Labor). „Man kann damit völlig unabhängig von Laboreinrichtungen und Stromversorgung Messungen mit biohybriden Bauelementen durchführen“, erklärt Bernhard Wolf. „Das geht also auch im Freiland oder bei Probenahmen in Lagerhallen oder Lebensmittelbetrieben.“ Beispielsweise kann mit diesem handlichen Gerät die Fungizid-Belastung von Obst gemessen werden – mit Hilfe von Hefezellen, die auf dem integrierten Biochip wachsen. Ihre Vitalität wird überprüft, nachdem eine Probe des jeweiligen Lebensmittels (und mit ihr möglicherweise auch des Schadstoffs) zugegeben wurde. Das μLa zeigt die Ergebnisse auf einem Display an, kann sie aber auch über das öffentliche Mobilfunknetz an eine Datenbank senden, die die Werte dann sammelt und interpretiert. In Versuchen zeigte sich erstmals, dass lebende Zellen tatsächlich als sensible Signalwandler für Lebensmitteltests einsetzbar sind. „Mit dem Mikro-Labor sind Tests auf xenogene Rückstände wirklich schnell und sensitiv möglich“, so Bernhard Wolf.

Allerdings kommt es in manchen Fällen nicht so sehr auf Mobilität, sondern mehr auf hohen Durchsatz an: Für die Wirkstoffsuche und in der Tumortherapie ist es notwendig, große Messreihen in kurzer Zeit zu erstellen. Ein Ergebnis der Kooperation am Steinbeis-Transferzentrum Zellchip-Technologien ist die vollautomatische Analyseplattform „Intelligent Microplate Reader“ (IMR). Dazu haben die Wissenschaftler ihre Biosensoren auf die Grundfläche von Mikrotiterplatten platziert. In jeder der 24 Kammern einer Platte befindet sich ein multiparametrischer Sensor, darauf wachsen Zellen, beispielsweise Tumorgewebe eines Patienten. Durch ein ausgeklügeltes Fluidiksystem können die Zellen gut mit frischem Nährmedium versorgt werden. Der vollautomatische Pipettierroboter des IMR kann in einem einzigen Arbeitsschritt in die 24 Kammern 24 unterschiedliche Wirkstoffe oder 24 unterschiedlich hohe Konzentrationen eines Wirkstoffs einfüllen. Die Maschine kann auf diese Weise sehr schnell ermitteln, auf welches Chemotherapeutikum in welcher Dosierung bzw. auf welchen Wirkstoffmix die Tumorzellen einer bestimmten Person am besten reagieren. So könnte eine auf den jeweiligen Patienten exakt abgestimmte Therapie festgelegt werden – wirkungsvoller und dennoch schonender als herkömmliche Krebstherapien.

Für diese Methode ist es notwendig, dem Patienten Tumorgewebe mittels Biopsie zu entnehmen, um es auf die Sensoren zu bringen. Dagegen gibt es andersherum auch die Möglichkeit, dem Patienten Sensoren zu implantieren. Diese „Intelligenten Implantate“ können einen Tumor überwachen und künftig vielleicht auch gleich heilen. Sie sind nicht größer als ein Zuckerwürfel; in ihrem Inneren befindet sich neben einer Knopfbatterie zur Stromversorgung eine Funkeinheit. Ein solches aktives Implantat kann im Körper in den Bereich eines schwer operierbaren Tumors eingepflanzt werden. Mit den Sensoren an seiner Außenseite kann es die Sauerstoffsättigung im Gewebe messen und die Daten an einen Empfänger außerhalb des Körpers senden. Daraus können dann Rückschlüsse auf die Wachstumsaktivität des Tumors gezogen werden: Wächst der Tumor, kann der Arzt reagieren.

„Unser Ziel ist es aber, ein Closed-Loop-System zu entwickeln“, sagt Bernhard Wolf und weist damit auf aktuelle Forschungsprojekte hin. Das Implantat könnte, wenn es Tumorwachstum feststellt, ein Chemotherapeutikum aus einem integrierten Wirkstoffreservoir direkt in den Tumor injizieren – eine wirkungsvolle und für den Patienten vergleichsweise schonende Methode. „Damit könnte vermieden werden, dass die aggressiven Medikamente Leber und Niere so stark belasten wie bei einer intravenösen Injektion“, betont der Professor. Ähnliche Implantate könnten zukünftig aber auch zur Überwachung von Knochenheilung, von orthopädischen Implantaten und in der Wundversorgung sowie der Transplantationsmedizin eingesetzt werden. Denn auch in diesen Fällen gibt die Sauerstoffsättigung des Gewebes Aufschluss über den Zustand der betroffenen Körperteile.

Ganz besonders raffiniert ist die Idee der Münchner Forscher, Sensoren per Ink-Jet-Druck auf Kunststofffolien aufzudrucken, sogenannte Nanopartikelsensoren. Das ist preiswert und effektiv: Die sensitiven Folien können nämlich zu kleinen, schluckbaren Kapseln aufgerollt werden, in denen sich mikroelektronische Chips, Batterie und Funkeinheit befinden – alles winzig klein. Die Sensoren an der Außenseite der Folie könnten dann etwa ein blutendes Magengeschwür erkennen und daran andocken. Anschließend könnte die „Intelligente Nanopille“ das Geschwür überwachen, die Daten drahtlos nach außen senden und eventuell auch Wirkstoffe abgeben – punktgenau in die Umgebung des Geschwürs, ohne den Patienten stark zu belasten. Die Sensor-Pille ist schon in der Entwicklung – sie könnte bald für erste Anwendungen bereit stehen.

Kontakt

Christian Scholze ist Mitarbeiter am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der Technischen Universität München. Prof. Dr. Bernhard Wolf ist Leiter des im Jahr 2000 gegründeten Steinbeis-Transferzentrums Zellchip-Technologien an der Technischen Universität München. Das Zentrum beschäftigt sich intensiv mit den Themen biomedizinische Sensorik und Aktorik für Diagnostika und Therapie, bioelektronische Testsysteme für die Umweltanalytik, Mikrosensor-Array-Technologie sowie biophysikalische Charakterisierung zellulärer Systeme und analytische Elektronenmikroskopie.

Prof. Dr. Bernhard Wolf
Steinbeis-Transferzentrum Zellchip-Technologien (München)
su0564@stw.de

Christian Scholze
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl fur Medizinische Elektronik der Technischen Universität München

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