kaum ein Thema mit derart globaler Relevanz wird aktuell so emotional diskutiert wie der Ausbau der erneuerbaren Energien. Wirtschaftliche Risiken werden ökologischen Potenzialen gegenübergestellt, die Schätzung der notwendigen Investitionen und Kosten ist stark abhängig von den gefragten Protagonisten und weicht damit extrem voneinander ab. Dennoch scheint es in Deutschland einen gesellschaftlichen Konsens zur politisch beschlossenen Energiewende zu geben, wenngleich neue Überlandleitungen, Windräder und Biogasanlagen vor der eigenen Haustür unerwünscht sind. Die Ambivalenz wird bei den meisten geplanten Projekten schnell deutlich.
Ziele und Maßnahmen für das Zeitalter der erneuerbaren Energien in Deutschland hat die Bundesregierung in ihrem Energiekonzept im Herbst 2010 aufgezeigt. Die Planungen zielen auf die Mitte des Jahrhunderts und fordern eine konsequente Senkung des Energieverbrauchs in Industrie, Mobilität sowie Bauwesen und die 60%-ige Deckung aus erneuerbaren Energiequellen. Der Weg zu diesem ambitionierten Ziel wird die Mitwirkung aller Menschen in Deutschland erfordern. Dazu ist Überzeugungsarbeit in großem Umfang zu leisten. Wir benötigen eine konzertierte „Energie- und Kulturwende“. Bedenken aus dem Weg zu räumen, mit Menschen, die wieder mehr Verantwortung tragen und entscheidungsfreudiger sind, werden dabei mit die größten Herausforderungen sein.
Es ist notwendig, innovative Ideen und Beispiele zu realisieren, die als Leuchttürme den Maßstab für zukünftige Standards definieren. Das Steinbeis-Transferzentrum Energie- und Gebäudetechnik (EGS), Stuttgart, entwickelt seit über 20 Jahren zukunftsorientierte Energiekonzepte für Gebäude und städtische Quartiere. Von den ersten Solarsiedlungen mit Langzeit-Wärmespeichern in Friedrichshafen und Neckarsulm Mitte der 1990er-Jahre über unzählige nachhaltige Büro- und Industriegebäude arbeitet das Zentrum aktuell an der Umsetzung CO2-neutraler Stadtquartiere im Kontext der Energiewende und den Zielen der EU bis 2050.
Ein Gebäude oder Quartier, das seinen Energiebedarf ausschließlich aus der Nutzung erneuerbarer Quellen deckt, erscheint womöglich wie ein „Perpetuum Mobile“ oder aber unbezahlbar. Die Herausforderung besteht in erster Linie in der Energiespeicherung, damit tages- und jahreszeitliche Verschiebungen zwischen Solarenergieangebot und Energiebedarf ausgeglichen werden können. Die Strom-, Gas- und Wärmenetze im Verbund mit größeren Energiespeichern und dem Konzept „Power-to-Gas“ und „Power-to-Heat“ unterstützen die großflächige Umsetzung des EnergiePLUS-Standards. Das energieautarke Gebäude oder Quartier ist sicher keine Zukunftsoption für den Ausbau der erneuerbaren Energieversorgung im Kontext der bestehenden Infrastruktur in Deutschland. Das Steinbeis-Transferzentrum Energie- und Gebäudetechnik (EGS) hat die ersten in Deutschland realisierten EnergiePLUS-Gebäude mit entwickelt und geplant sowie die Umsetzung und die ersten Betriebsjahre erfolgreich begleitet. Für den Umbau städtischer Quartiere sind bereits Pilotvorhaben in Planung und werden bis 2020 neue Maßstäbe für nachhaltige Städte setzen. Förderprogramme, wie z. B. „Effizienzhaus-Plus“ (BMVBS) und „Eneff-Stadt“ (BMWi), werden die Forschung und Entwicklung des Energie-PLUS-Standards weiterentwickeln und damit den Innovationskreislauf sowie die Markteinführung in Deutschland beschleunigen.
Etwa 35 Jahre verbleiben, um die von der Bundesregierung gesteckten Ziele zum Klimaschutz zu erreichen. Architekten und Planer stehen in einer besonderen Verantwortung und können dieser durch die Umsetzung von ambitionierten und zukunftsfähigen Projekten gerecht werden. Macher mit dem Mut zum Risiko genauso wie engagierte Bauherren sind daher gefragt. Einen Einblick in die Herausforderungen dieses Technologiefelds gibt die aktuelle TRANSFER. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!
Ihr Prof. Dr.-Ing. M. Norbert Fisch
Prof. Dr.-Ing. M. Norbert Fisch ist Leiter des Stuttgarter Steinbeis-Transferzentrums Energie-, Gebäude- und Solartechnik (EGS).