Kundenspezifische Varianten auf Standard-Basis – alles nur ein Traum?

Steinbeis unterstützt Medizintechnik-Produzent bei der Entwicklung eines modularen Produkt- und Produktionskonzepts

Die Ondal Medical Systems GmbH im hessischen Hünfeld ist ein mittelständischer Medizintechnik-Produzent und stellt für die großen Klinikausrüster Tragesysteme für medizinische Geräte her. Kunden fordern individualisierbare Lösungen für ihre Produkte, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Eine steigende Variantenvielfalt ist die Folge, die erwartete Lieferzeit einzuhalten wird zur Herausforderung. Das Steinbeis-Transferzentrum Management – Innovation – Technologie unterstützte das Unternehmen bei der Entwicklung eines modularen Produkt- und Produktionskonzepts für eine neue Produktfamilie, mit der das Unternehmen seine Wachstumsperspektiven erreichen will.

Bei der Entwicklung der Nachfolgegeneration der Kernprodukte im Bereich der Zentralachsen und Federarme war eine zentrale Forderung im Entwicklungslastenheft die Entwicklung einer Plattform, die die Basis für die ebenfalls zu entwickelnden Produktmodule bilden sollte. Der Produktmanager der Ondal Medical Systems GmbH betont: „Die wichtigste Forderung unseres Vertriebs ist dabei, die für den Kunden wahrnehmbare Anzahl an Varianten nicht einzuschränken, sondern diese noch auszubauen, um damit weitere Marktanteile gewinnen zu können“. Damit ist das Dilemma fixiert: Die äußere Varianz, also die Vielfalt für den Kunden, beizubehalten, gleichzeitig aber die innere Varianz (Vielfalt im Unternehmen) zu senken, um eines der wesentlichen Versprechen dem Kunden gegenüber einzuhalten – eine Verkürzung der Lieferzeit und eine Verbesserung der Lieferfähigkeit.

Die Ideallösung scheint dabei von Anfang an klar zu sein: Die neue Zentralachse und die Federarme sollen wie ein LEGO-Baukasten aus möglichst vielen Standard-Bausteinen und Modulen aufgebaut sein, die im Auftragsfall nur noch durch wenige kundenindividuelle Komponenten zu ergänzen sind. Der Vorteil dabei: Produktion und Logistik sollen dadurch in der Lage sein, die Kunden-Variante erst spät im Wertschöpfungsprozess zu bilden und dadurch die Vorteile von vormontierbaren Baugruppen, geringer Lagerhaltung und schneller Reaktionsfähigkeit ausnutzen zu können. Das Projektteam muss von Anfang an mit Vertretern aller beteiligten Abteilungen besetzt sein, um die teilweise widersprüchlichen Ziele umsetzen zu können. Unterstützung erhielten sie von Experten des Steinbeis-Transferzentrums Management – Innovation – Technologie.

Für das neue Konstruktionskonzept wird auf die Prinzipien der Baukastenentwicklung zurückgegriffen, für deren Anwendung aber auch die eine oder andere bislang geltende Denkweise aufgegeben werden muss. „Manchmal müssen einzelne Komponenten mit mehr Features ausgestattet werden, als dies für nur die eine spezifische Kundenanforderung nötig ist – aber dadurch kann das Bauteil dann auftragsneutral hergestellt werden, was in Einzelfällen zu einer drastischen Einsparung an indirekten Kosten führt“, berichtet Ondal-Projektleiter Sebastian Timm, „aber dieser Vorteil springt einem nicht unbedingt sofort ins Auge, da er schwer messbar ist.“

Zur Veranschaulichung eignet sich gut ein Vergleich, der von der verwendeten Methode des sogenannten Variantenbaums abgeleitet wird: Der Variantenbaum stellt in einer übersichtlichen Darstellung die Entstehung einer Produktvariante durch die Kombination unterschiedlicher Komponentenmerkmale des Konstruktionskonzepts (der sogenannten Variantentreiber) im Laufe des Zusammenbaus dar. Das Ziel besteht darin, die Varianten so spät als möglich im Zusammenbau zu bilden, also möglichst lange in der Produktion und Logistik auftragsneutral zu bleiben. Der Erfolg durch die Anwendung dieses Konstruktionskonzepts überzeugt letztlich jedoch jeden Kritiker: Von 49 unterschiedlichen Gelenken bleiben am Ende nur noch 3 übrig – ohne Einbuße an Funktionalität. Genauso erfolgreich sieht es bei den Schleifringen aus: statt 35 nur noch 4.

Aber damit ist das Projekt noch lange nicht am Ende. „In vielen Unternehmen besteht immer noch die Überzeugung, dass eine neue Produktarchitektur die Variantenvielfalt alleine lösen kann – aber dies ist nur die halbe Wahrheit“, so Prof. Dr. Günther Würtz, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Management - Innovation - Technologie, „ohne eine Anpassung der gesamten Wertschöpfungskette – inklusive der Zulieferer – kann nur ein Bruchteil der Produktivitätssteigerung erzielt werden“.

Bei Ondal war diese Erkenntnis bereits zu Projektbeginn vorhanden. Parallel zum Konstruktionskonzept wird deshalb auch das dazu passende Produktionskonzept entwickelt. Basis hierfür ist eine konsequente Orientierung auf den Wertstrom im Unternehmen, also eine ganzheitliche Optimierung von Montageablauf, Materialfluss und Informationsfluss mit einer konsequenten Kundenorientierung – um die gesteckten Ziele von Lieferzeit und Liefertreue erreichen zu können. „Das Kernprinzip eines variantenoptimierten Wertstroms besteht darin, die Variantentreiber so spät wie möglich in den Produktionsprozess einfließen zu lassen – am liebsten erst kurz vor der Auslieferung“, führt Günther Würtz das Grundprinzip aus. „Dadurch kann der Wertschöpfungsprozess so lange wie möglich unabhängig vom Kundenauftrag erfolgen und ist somit weniger anfällig für Störungen jeglicher Art. Dies kann ohne das passende Konstruktionskonzept nicht erreicht werden.“

Wichtig zu wissen ist: Variantenmanagement ist keine einmalige Aktivität. Über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg werden neue Anforderungen an das Produkt gestellt. Die Kunst ist es, geschickt mit diesen neuen Anfragen umzugehen, denn Variantenmanagement bedeutet nicht, dass es nach Abschluss des Projektes keine neuen Varianten oder Änderungen geben darf. Der konsequente Ansatz lautet: Kommt eine neue, so geht eine alte Variante. Dieser Grundsatz hilft zwar, die Anzahl an Varianten nicht steigen zu lassen, vernachlässigt jedoch einen ganz entscheidenden Punkt in Sachen Variantenmanagement, die Betrachtung von Aufwand und Nutzen. Hier kommt der wirtschaftliche Ansatz ins Spiel: Lässt sich die Variante gut über das bestehende Konstruktionsund Produktionskonzept wirtschaftlich abbilden, spricht vieles für die Realisierung einer neuen Variante.

Für Ondal ist die variantengerechte Entwicklung der neuen Produktgeneration der Zentralachse und Federarme ein voller Erfolg. Das Unternehmen hat auf der letzten großen Messe nicht nur sein neues Produkt vorgestellt, sondern in einem kleinen Videofilm seinen Kunden auch einen Einblick in die Vorgehensweise beim zugrunde liegenden Projektvorhaben gegeben. „Die Resonanz darauf war sehr positiv“, so Swen Heimeroth, Entwicklungsleiter bei Ondal. „Unsere Kunden haben es sehr begrüßt, dass wir nicht nur ihren Wünschen nach einer möglichst hohen Vielfalt – der äußeren Varianz – auch weiterhin nachkommen werden, sondern unsere Baukasten-Produkte nun auch zu besseren Lieferbedingungen anbieten können. Und auch Sonderlösungen werden wir weiter gerne für unsere Kunden realisieren – aber zu anderen Bedingungen als für unsere Standardprodukte“.

Bevor die nächste Produktfamilie nach denselben Erkenntnissen überarbeitet wird, warten noch einige Hausaufgaben: das Einpflegen des Baukastens in den Variantenkonfigurator, die Weiterentwicklung des Wertstromprinzips in der Produktion und einiges mehr. „Aber wir werden das Thema Variantenmanagement auch weiterhin anwenden“ – das ist die einhellige Meinung des Projektteams, wie Sebastian Timm nicht ohne Stolz zusammenfasst.

Prof. Dr. Günther Würtz
Steinbeis-Transferzentrum Management – Innovation – Technologie (MIT) (Rottenburg)

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