Prof. Dr. Werner G. Faix erklärt im Interview, warum die Bildung gerade in Zeiten der Globalisierung so wichtig ist und wie das Zusammenspiel zwischen Digitalisierung und Globalisierung aus seiner Sicht aussieht.
Herr Professor Faix, Sie kamen 1995 aus einer Führungsposition im Bereich Human Resources von einem internationalen Konzern zu Steinbeis. Seither bestimmen unter anderem die Globalisierung und Internationalität sowohl die Ausrichtung Ihrer Steinbeis-Unternehmen als auch deren Dienstleistungen. Welche Entwicklungen in diesen Bereichen stellen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Sie und Ihre Transferunternehmen dar?
Globalisierung bedeutet, dass die Welt sich in einer bestimmten Weise wandelt, nämlich dass sie enger zusammenrückt, dass sie vernetzter wird, dass Geschehnisse am anderen Ende der Welt tatsächlich Einfluss auf uns nehmen, dass der berühmte Flügelschlag des Schmetterlings in China unsere Wetterlage hier beeinflusst. Das besagte Verhalten eines Schmetterlings könnte so zu einem Sturm führen, die ausgelösten Winde könnten bei uns aber auch die Schlechtwetterwolken vertreiben. Um bei diesem Bild des Windes zu bleiben, möchte ich hier Konfuzius zitieren: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern und die anderen Windmühlen.“ Wir sollten in der Globalisierung nicht Risiken sehen, vor denen wir uns schützen müssen; vielmehr sollten wir in der Globalisierung Chancen sehen, die wir ergreifen können. Wandel – gerade jener durch die Globalisierung ausgelöste radikale, tiefgreifende Wandel – verunsichert, verängstigt, denn er stellt Bisheriges, mitunter lieb-und-teuer-Gewordenes in Frage. Diese Gefühlslage stellt sich nicht nur beim einzelnen Menschen ein, auch Organisationen, Unternehmen, ja ganze Gesellschaften empfinden bisweilen so im Angesicht der Globalisierung. So verständlich diese Gefühle sind, so deutlich ist es doch auch, dass diese Gefühle selbst keine Lösung bieten. Das einzige, das uns in dieser Situation wirklich hilft, ist das Können und Wollen, den Wandel aktiv zu gestalten. Eine der meiner Meinung nach besten Möglichkeiten hierzu besteht darin, Innovationen zu schaffen, also gewissermaßen dem Wandel mit Wandel zu begegnen. Denn die Lösungen von gestern eignen sich nur noch selten bis gar nicht, um die drängenden Fragen und Probleme von heute und vor allem von morgen zu lösen. Wie können wir jedoch erreichen, dass Individuen, Organisationen und ganze Gesellschaften diese Fähigkeiten und den Wunsch entwickeln, die Globalisierung und den tiefgreifenden Wandel der Welt als Chance anzugehen? Meine Antwort darauf lautet: Bildung, immer wieder Bildung! Dabei darf Bildung jedoch nicht darauf reduziert werden, sich Wissen anzulesen oder eine Vorlesung zu besuchen. Damit wir uns hier richtig verstehen: Wissen bildet natürlich und stets die Grundlage für Bildung. Aber darüber hinaus bedarf es nicht nur aber vor allem in Zeiten des Wandels einer Bildung, die auch die tieferen Schichten der Persönlichkeit in Bewegung bringt. Denn es braucht eben nicht nur Menschen, die z. B. wissen, was Globalisierung ist. Es braucht Menschen, die die Fähigkeit aber auch den Willen haben, Globalisierung positiv zu gestalten. Dies ist seit je die Herausforderung, der sich die School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) stellt: Eine Bildung anzubieten, die Menschen in die Lage versetzt, innovativ zu sein, aus Wissen wertschöpfende Wirklichkeit werden zu lassen.
Die Bildung von Kompetenzen steht mittlerweile im Mittelpunkt Ihrer Aktivitäten. Gibt es so etwas wie eine notwendige Globalisierungskompetenz und wenn ja, wie kann diese in Unternehmen gebildet und gefördert werden - wenn nein, warum gibt es sie nicht?
Kompetenz bedeutet für mich die Fähigkeit, im Angesicht einer mir unbekannten Situation zielorientiert handeln zu können, und steht somit für mich in einem tiefen Zusammenhang mit Handlungen. Daher sind auch alle Studiengänge der SIBE konsequent nach dem Projekt-Kompetenz- Prinzip ausgestaltet, d.h. im Mittelpunkt jedes Studiums an der SIBE steht ein konkretes Projekt in einem Unternehmen oder einer Organisation, in dem der Studierende handeln, in dem er sein Wissen Wirklichkeit werden lassen muss. Erst in diesem aktiven Transfer von Wissen in die Praxis wird Wissen zu einem Können, zu einer Kompetenz. Zur Entwicklung von Kompetenzen bedarf es solcher Rahmenbedingungen, dass Menschen Wissen nicht nur passiv aufnehmen, sondern dieses Wissen aktiv einsetzen, um ein Problem zu lösen. Anders gesagt: Um eine Kompetenz zu entwickeln braucht es beides, einer profunden Wissensbasis aber auch der Möglichkeit, das so erlernte Wissen in Handlungen umzusetzen. Was eine „Globalisierungskompetenz“ angeht, so kann diese meines Erachtens natürlich ausgebildet werden, nämlich dadurch, dass man Menschen zum einen die Möglichkeit gibt, sich mit dem notwendigen Wissen zu präparieren und zum anderen, dass man ihnen im Rahmen eines Projekts die Möglichkeiten gibt, Wissen in Handlungen umzusetzen, durch und mit ihrem Wissen wirklich etwas zu gestalten. Entscheidend für die Entwicklung einer Globalisierungskompetenz ist dabei vor allem, dass sich das Projekt inhaltlich um das Thema „Globalisierung“ dreht, dass dieses Projekt z. B. ein Projekt zur Internationalisierung der Geschäftstätigkeiten, des Einkaufs oder Absatzes etc. ist. Genauso wie man die Fähigkeit ein Fahrrad zu fahren dadurch lernt, dass man eben Fahrrad fährt, so entwickelt man eine Globalisierungskompetenz, indem man sich aktiv, also handelnd mit dem Thema Globalisierung auseinandersetzt. Die SIBE hat hierzu bereits mehrfach sehr erfolgreich mit Unternehmen kooperiert etwa als es bei Lidl darum ging, die Geschäftstätigkeiten nach Osteuropa auszudehnen. Ob es schließlich eine dezidierte Globalisierungskompetenz gibt, glaube ich nicht. Ich denke, dass eine solche Globalisierungskompetenz sich aus einem Querschnitt anderer Kompetenzen zusammensetzt wie Lernbereitschaft, Offenheit für Veränderungen, Gestaltungsfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und anderen.
Stimmen Sie zu, dass die Digitalisierung die Globalisierung beschleunigt? Wenn ja, wo sehen Sie die Chancen?
Globalisierung bedeutet, wie bereits gesagt, dass die Welt enger zusammenrückt, dass sie vernetzter wird. Die Digitalisierung beschleunigt und begünstigt dieses Zusammenrücken und Vernetzen. Global integrierte Unternehmen wären ohne die großflächige Einführung von Computern, Internet, Mails, Instant Messaging und ERP-Systemen wohl undenkbar. Die internationale Arbeitsteilung erreicht durch die Digitalisierung eine neue Stufe. Eine große Chance sehe ich darin, dass Digitalisierung damit einhergeht, dass wir immer kompliziertere Aufgaben an Technik und Algorithmen delegieren können. Ein großes Risiko sehe ich in einer unreflektierten Technikgläubigkeit, die dazu führt, alle komplexen Probleme an Technik und Algorithmen zu delegieren.
Im Bereich Ihrer Hochschulaktivitäten beschäftigen Sie sich intensiv mit der Bildung von Führungskräften. Welchen besonderen Herausforderungen müssen sich Führungskräfte im Kontext der Internationalität morgen und übermorgen stellen und worauf sollte aus Ihrer Sicht das besondere Augenmerk in der Bildung gerichtet werden?
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die Bedingungen, unter denen Menschen führen, dramatisch verändert. Die so genannte „neue Normalität“ besteht darin, dass Wandel eher die Regel als die Ausnahme ist. Die befragten Führungskräfte in den IBM Global CEO Studien geben immer wieder an, dass die Welt im Allgemeinen und das Wirtschaftsleben im Speziellen eklatant dynamischer, unsicherer, komplexer und strukturell anders geworden ist. Überspitzt gesagt, bedeutet dies für viele Führungskräfte, dass es keinen einzigen Tag gibt, an dem sie zur Arbeit kommen und wissen, was sie erwartet. Grund hierfür sind z. B. jene bereits angesprochenen Megatrends Globalisierung und Digitalisierung. Weiterhin sind Führungskräfte, gerade was Mitarbeiter der jüngeren Generationen betrifft, mit einer neuen und offensiv geäußerten Erwartungshaltung konfrontiert: Mitarbeiter wollen immer stärker eingebunden werden, fordern, dass Arbeit Freude macht und Sinn stiftet. Die gefühlte Beschleunigung des Lebens allgemein und hier vor allem die Beschleunigung des Wirtschaftslebens erhöhen den Entscheidungsdruck auf Führungskräfte. Und schließlich geraten Führungskräfte spätestens seit dem Krisenjahr 2008 immer öfter auch in den Mittelpunkt der Medienöffentlichkeit. Um vor diesem Hintergrund kompetent führen zu können, benötigen Führungskräfte zum einen die Fähigkeit, Menschen einzubinden, zu befähigen, zu vernetzen. Zum anderen bedürfen Führungskräfte heute noch viel mehr als zuvor eines kreativen Selbstverständnisses. Die Zukunft eines Unternehmens wird von den Menschen bestimmt, die ihre Handlungsfähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten erkennen, entfalten und für das unternehmerische Handeln wirkungsvoll einsetzen. Für unternehmerische Entwicklungssprünge braucht es daher Führungskräfte, die schöpferisch und eigenständig Lösungen finden und umsetzen können. Oder anders gesagt: Für die Herausforderungen heute, morgen und übermorgen braucht es Führungskräfte, die eine schöpferische Persönlichkeit haben und sind.
Prof. Dr. Werner G. Faix ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) der Steinbeis- Hochschule Berlin. Die SIBE steht für erfolgreichen Wissenstransfer und systematischen Kompetenzaufbau zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und ist fokussiert auf Unternehmen, Organisationen und öffentliche Verwaltungen sowie auf kompetente, unternehmerisch global denkende und handelnde High Potentials.
Professor Dr. Werner G. Faix
School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) der Steinbeis-
Hochschule Berlin (SHB) (Herrenberg)
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