Führung in einer neuen Wirtschaftswelt

Zum Stuttgarter Kompetenz-Tag 2011

„Unternehmensführung in einer komplexen Welt“ war der Titel einer Studie, die IBM 2010 durchführte: In persönlichen Gesprächen wurden weltweit über 1.500 CEOs nach den zukünftigen Herausforderungen für Unternehmen und deren Führung befragt. Beinahe einhellig gaben die befragten CEOs an „Die neue Wirtschaftswelt ist […] sehr viel dynamischer, ungewisser, komplexer und strukturell anders.“ Und waren sich weitgehend einig: In einer Welt, die ständig auf dem Sprung ist – ja sich zeitweilig sogar am Rande des Chaos befindet –, müssen auch Unternehmen ständig darauf gefasst sein, selbst einen evolutionären oder gar revolutionären Entwicklungssprung zu wagen. Führungskräfte schließlich bedürfen in Zukunft noch viel mehr als zuvor eines kreativen Selbstverständnisses und hier vor allem der Bereitschaft und der Fähigkeit Neues und Anderes zu schaffen oder zumindest zuzulassen.

Anders gesagt: Um in einer immerwährend neuen Welt zu bestehen, besteht der kategorische Imperativ, das erste unternehmerische Prinzip in der Fähigkeit und in der Bereitschaft zur Innovation. Immerfort Neues nicht nur anzudenken, sondern auch wertschaffende und damit auch wertschöpfende Wirklichkeit werden zu lassen – das ist es, was über das Schicksal sowohl von Volkswirtschaften wie auch von Unternehmen entscheidet.

Vor diesem Hintergrund erscheint Joseph A. Schumpeter, einer der großen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, aktueller denn je. Es war Schumpeter, durch den der Begriff „Innovation“ und unser heutiges Verständnis dieses Begriffs in die deutsche Sprache Einzug hielt: Eine Innovation bezeichnet jenes mitunter radikale (Um)Gestalten eines Bestehenden, jener von Schumpeter so genannte „Prozess der schöpferischen Zerstörung“, der Neues erschafft, indem er Bisheriges aus der Welt wegschafft. Und es war Schumpeter, der konstatierte: „Der Gewinn ist der Lohn für das Ergreifen des Vorteils beim Wandel“.

Viele assoziieren mit dem Begriff „Innovation“ technische Erfindungen. Es sind jedoch nicht alleine diese, die Schumpeter meint, wenn er von Innovationen spricht. Er weist stattdessen darauf hin, dass es viele Wege gibt, um zu innovieren:

  • Entwicklung sowie Einführung eines neuen Produkts und Entwicklung und Bereitstellung einer neuen Dienstleistung
  • Entwicklung sowie Einführung neuer Produktionsmethoden und neuer Geschäftsprozesse
  • die Erschließung neuer Absatzmärkte und Einkaufsmärkte
  • Entwicklung sowie Einführung neuer Organisationsstrukturen.


Bereits Schumpeter betonte, dass diese Entwicklungen und Einführungen sowie Erschließungen des Neuen und Anderen jedoch nicht wie „Manna vom Himmel“ fallen. Sie sind die Folge von Ideen, die von Menschen auf systematische Weise in die Wirklichkeit transferiert, d.h. initiiert, geplant, umgesetzt und überwacht werden. Um solche Unternehmungen, die Innovationen generieren, überhaupt entwickeln und durchführen zu können, braucht es Menschen, die die Fähigkeit besitzen, auf Unbekanntes bzw. Neues mit der (Aus)Gestaltung und Umsetzung des so noch nicht bzw. nie Dagewesenen zu reagieren.

Wie können wir aber sicherstellen, dass solch hochqualifizierte und hochkompetente Fachkräfte sowie – und dies geht oftmals in der Diskussion verloren – solch hochqualifizierte und hochkompetente Unternehmer und Führungskräfte ihr Wissen, Können und Wollen in den Dienst der Gesellschaft stellen können? Die einfache Antwort hierauf lautet: Bildung. Doch wie könnte eine solche Bildung im Allgemeinen und ein Studium im Speziellen beschaffen sein, in dem sich innovative Mitarbeiter und eben auch Manager entfalten können? Ein Studium, das ist in seiner ursprünglichen lateinischen Bedeutung ein eifriges Streben. Das Ziel dieses Strebens ist nach der humanistischen Auffassung von Wilhelm von Humboldt dies: Der Mensch solle sich an soviel Welt abarbeiten und in seine eigene Menschlichkeit umwandeln, wie er es in diesem Leben vermag. Zwei Prinzipien sind es also, die ein humanistisch zu nennendes Studium ausmachen. Das erste Prinzip – das Abarbeiten an der Welt – impliziert, dass der Mensch danach streben solle, soviel unterschiedlichste Erfahrung an, durch und mit der Welt zu machen. Das zweite Prinzip – das Umwandeln in die eigene Menschlichkeit – besteht darin, dass das Ergebnis dieses Abarbeitens an der Welt nicht alleine in einem Zuwachs und Verändern der Wissensbestände über die Welt bestehen dürfe. Vielmehr geht es darum, dass auch die Tiefenschichten der eigenen Persönlichkeit – Kompetenzen, Charakter, Werte – vom Wandlungsprozess erfasst werden sollen, dass der Mensch in der Erfahrung an, durch und mit der Welt sich ganzheitlich bildet.

Die Rahmenbedingungen zu bieten, unter denen diese Prinzipien von Studierenden verwirklicht werden können – dies ist der Auftrag von Hochschulen. Doch dieser Auftrag kann nur uno-actu zusammen mit dem Studierenden erfüllt werden. Daher lastet auch auf den Studierenden die Pflicht einer Aufgabe: „Zwei Klippen sind es, deren Vermeidung wir den Studierenden vor allem wünschen: erstens, die Beschränkung des Studiums auf das zum Examen Erforderliche, zweitens den Dilettantismus des Studierens, wenn einer durch Neigung und geistige Bequemlichkeit sich beherrschen lässt und aus dem organisch gegliederten Stoffe nur das herausnimmt und betreibt, was sich als das leichtere oder die Wissbegierde mehr reizende darstellt. Beide Verirrungen sind ebenso häufig als schädlich.“ (Ignaz von Döllinger)

Zwei Hindernisse also, an denen ein Studium zu scheitern, ja zu zerschellen droht. Beide Hindernisse haben im Prinzip ein und dengleichen Ursprung: die „Trägheit des Herzens“ (Erich Kästner). Im ersten Fall be- steht diese Trägheit darin, dass man sich nur an dem abarbeiten will, das notwendig ist zum Bestehen einer Prüfung oder einer allein von Außen herangetragenen Herausforderung. Im zweiten Fall besteht sie darin, dass man sich nur an dem abarbeiten will, was einem ohnehin leicht fällt oder einem in der gegenwärtigen Situation opportun erscheint.

Damit ist es auch ein zweifacher Sinn, dem ein Studium dienen soll: Erstens soll ein Studium dazu anregen, über jenes grundsätzliche wie spezielle Wissen und Können nachzudenken, das sich an den vermeintlichen Rändern aber auch außerhalb der fach- und prüfungsspezifischen Kanonisierung befindet. Zweitens soll es dazu anregen, sich auch am Abseitigen, Exotischen und Unbequemen abzuarbeiten, um sich nicht nur fort-, sondern weiterzubilden.

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