Im Abformen kleinster Strukturen ganz groß

Mikro- und nanoskalige Strukturen in der Kunststofftechnik

Das Steinbeis-Transferzentrum Kunststoff-Center an der Hochschule Heilbronn beschäftigt sich mit der Replikation mikro- und nanoskaliger Strukturen auf Oberflächen makroskopischer Kunststoffsubstrate. Für die Abformung von Kleinststrukturen direkt während der Spritzgießfertigung von Kunststoffbauteilen wurde eine kostengünstige, effiziente Sonderspritzgießverfahrenstechnik entwickelt. Diese eröffnet derzeit ungeahnte Möglichkeiten der Oberflächenfunktionalisierung von Bauteilen aus Kunststoff durch entsprechende Strukturierungen.

Ein möglicher Einsatzbereich mikro- und nanostrukturierter Oberflächen ist das Entspiegeln von Kunststoffoberflächen nach einem Vorbild aus der Natur: dem Mottenauge. Die Hornhaut (Cornea) der Augen nachtaktiver Motten weist eine spezielle Oberflächentopographie mit Strukturgrößen im Nanometerbereich auf, die eine effiziente und breitbandige Entspiegelung bewirkt. Die optische Wirkung solcher Nanostrukturen beruht darauf, dass das auftreffende Licht an der strukturierten Oberfläche gebeugt wird.

Bisher gibt es die Möglichkeit, eine Reflexionsminderung durch dünne Interferenzschichten zu erzielen. Haupthindernisse für ein breites Anwenden dieser Entspiegelungsmethode sind unter anderem die vergleichsweise hohen Kosten. Insbesondere im Bereich der Kommunikationselektronik besteht zunehmend die Forderung nach reflexionsarmen, kostengünstigen Displayabdeckungen, die auch unter ungünstigen Umgebungsbedingungen aufgrund einer kontrastreichen Abbildung eine gute Ablesbarkeit des Displays ermöglichen. Darüber hinaus werden entspiegelte Oberflächen bei Solarzellenabdeckungen, Projektorlinsen und Beleuchtungsoptiken eingesetzt. Da bei diesen Anwendungen eine hohe Lichtdurchlässigkeit gefordert wird, können solche entspiegelten Kunststoffgläser hier einen deutlich höheren Wirkungsgrad erzielen.

Eine kostengünstige und qualitativ einwandfreie Abformung dieser kleinen Strukturen auf den Substratoberflächen erfordert eine optimierte Prozessführung mit spezieller Maschinen-  und Werkzeugtechnik. Insbesondere ist eine hochdynamische Werkzeugwandtemperierung im Spritzgießzyklus erforderlich. Hierfür haben die Mitarbeiter des Steinbeis-Transferzentrums Kunststoff-Center ein hochdynamisches Temperiersystem auf Basis des Hochleistungswerkstoffes RHC (Rapid Heating Ceramics) entwickelt.

Mit dieser Technologie gelang es erstmals gegenüber unstrukturierten Formteilen aus Polycarbonat mit 9,5 Prozent spiegelnder Reflexion entspiegelte Polycarbonat-Scheiben mit einer spiegelnden Reflexion unter einem Prozent unter wirtschaftlichen Bedingungen herzustellen. Weitere Forschungen haben gezeigt, dass dieses neue Verfahren sowohl in technischer als auch in ökonomischer Hinsicht für die Produktion von kleinststrukturierten Kunststoffbauteilen geeignet ist. Die Anwendungsgebiete der Mikro- und Nanostrukturierung beschränken sich allerdings nicht nur auf optisch funktionale Oberflächen, sondern eröffnen auch im Bereich der Medizintechnik, Datenspeicherung und selbstreinigenden Oberflächen ein breites Anwendungsfeld.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. August Burr
Michael Kübler

Steinbeis-Transferzentrum Kunststoff-Center (Bretzfeld)

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