„Jede Idee braucht jemanden, der sie zum Leben erweckt“

Im Gespräch mit Professor Dr. habil. Achim Walter, Leiter des Steinbeis-Beratungszentrums COMMIT

Professor Dr. habil. Achim Walter erläutert in der TRANSFER, was sechs blinde Männer und ein Elefant mit dem Begriff „Entrepreneur“ gemeinsam haben. Des Weiteren geht er der Frage nach, welche Faktoren für den Erfolg akademischer Spin-offs unabdingbar sind.

Herr Professor Walter, fragt man zehn Experten, was sie unter einem „Entrepreneur“ verstehen, bekommt man mindestens elf unterschiedliche Aussagen. Woran liegt das?

[Lacht …] Da fällt mir das Gleichnis mit den sechs blinden Männern und dem Elefanten ein. Die sechs Männer sollten jeder für sich durch das Betasten unterschiedlicher Körperteile des Elefanten begreifen, um welches Tier es sich dabei handelt. In der Wissenschaft ist es manchmal genauso. In Abhängigkeit von den Fachdisziplinen und den darin vorherrschenden methodischen Möglichkeiten kommen Experten zu unterschiedlichen Erkenntnissen, die erst in einem diskursiven Wissensaustausch und in der Zusammenschau ein „umfassendes“ Bild ergeben. Aktuell suchen vor allem Wirtschaftswissenschaftler, aber auch Psychologen und Soziologen nach empirisch abgesicherten Merkmalen, mittels derer sich Unternehmerinnen und Unternehmer beschreiben lassen. Mal stehen eher persönliche Eigenschaften wie das Machtstreben oder die Leistungsmotivation im Fokus, mal sind es die persönlichen Netzwerke der Personen oder es ist eher das spezifische Verhalten, beispielsweise in Entscheidungssituationen, die untersucht werden, um Zugang zum unternehmerischen Phänomen zu erhalten. Hinzu kommt, dass sich das durch die Gesellschaft geprägte Bild eines Entrepreneurs über die Zeit verändert hat: Waren es früher mitunter reiselustige Weltenbummler, findige Kaufleute oder zielorientierte Bosse, die sich den Mehrwert betrieblicher Tätigkeit aneigneten, wird das Bild eines Unternehmers heutzutage stark durch clevere Netzwerker wie zum Beispiel Marc Zuckerberg geprägt.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist Academic Entrepreneurship. Welche Bedeutung haben die technologieorientierten akademischen Spin-offs für die wirtschaftliche Verwertung von Wissen?

Ja, das sogenannte Academic Entrepreneurship ist ein überaus faszinierendes Forschungsfeld. Im Allgemeinen fassen wir darunter Aktivitäten, Personen, Programme und Organisationen, die der wirtschaftlichen Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse dienen. Aus einer funktionalen Perspektive steht Academic Entrepreneurship für das Bestreben, neue Technologien, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen entstanden sind, in marktfähige, wertschaffende Produkte und Verfahren zu überführen. Ohne die Beteiligung der Schöpfer und Entwickler der innovativen Technologien geht das in der Regel nicht, deshalb brauchen wir die betreffenden Know-how-Träger mit ihrem unternehmerischen Potenzial als Bindeglied zwischen der Wissenschaft und Wirtschaft. Akademische Spin-offs sind Unternehmungen, die unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus öffentlichen Forschungseinrichtungen heraus gegründet werden. Oftmals nutzen sie Technologien in einer frühen Entwicklungsphase, das heißt zu einem Zeitpunkt, zu dem etablierte Unternehmen noch kein allzu großes Interesse daran zeigen. Ich kenne Wissenschaftler, die ihre Prototypen permanent in der Jackentasche tragen, um keine Gelegenheit zu verpassen, den Nutzen ihrer Erfindung Vertretern der Wirtschaft zu präsentieren. Das ist ein ganz wichtiger Transferschritt, es gilt in Realexperimenten oder einer Art Suchspiel herauszufinden, wer genau von den neuen technologischen Anwendungen besonders profitieren kann. Mit ein und derselben Technologie lassen sich mitunter sehr unterschiedlich erfolgreiche Innovationen realisieren.

Ich bin davon überzeugt, dass von akademischen Spin-offs starke Impulse für die Entwicklung eines Innovationsstandortes ausgehen. Aus eigenen Studien können wir ableiten, dass sich derartige Ausgründungen überwiegend in unmittelbarer Nähe der Mutterorganisation ansiedeln und damit dort hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Es gibt internationale Untersuchungen, wonach aus Forschungseinrichtungen heraus gegründete Unternehmen sehr robuste Überlebenswahrscheinlichkeiten aufweisen und nach einer erfolgreich gemeisterten Frühphase eher selten die Segel streichen müssen. Akademische Spin-offs zeigen einen relativ hohen Exportanteil und ihre Präsenz zieht weitere Hochtechnologieunternehmen an, was die industrielle Clusterbildung anregt. Etablierte Unternehmen können durch die Übernahme akademischer Spin-offs ihre Wettbewerbsposition langfristig ausbauen und gleichzeitig eigene F&E-Aktivitäten auf mehr angewandte Felder ausrichten. Für Venture Capital-Gesellschaften stellen akademische Spinoffs aufgrund ihres Wachstumspotenzials interessante Investments dar, auch wenn das oftmals mit hohen Risiken verbunden ist. Wenn öffentlich finanzierte Forschung in regionaler Hinsicht die Wirtschaft fördert, wirkt sich das auch positiv auf das Image der betreffenden Inkubatororganisation aus und rechtfertigt deren Förderung. Ich sehe die solide Finanzierung und Neuansiedelung von Forschungseinrichtungen in einer Region als einen zuverlässigen Ausgangspunkt für deren wirtschaftliche Fortentwicklung.

Was ist aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für den Erfolg von solchen Spin-offs? Welche Rolle spielt dabei die Idee, welche der Unternehmer und welche die neu geschaffene Organisation?

Zunächst muss ich dazu sagen, dass wir in den Gründerteams akademischer Spin-offs kaum weibliche Gründer finden. In unseren eigenen Studien finden wir in weniger als 10 Prozent der Teams eine Frau. Das hat Gründe, zu denen wir eine Diskussion brauchen, um diese Situation verändern zu können. Als Erfolgsfaktoren akademischer Spin-offs lassen sich mehrere nennen: Neben einer markttauglichen Technologie und einer soliden Finanzausstattung als Grundvoraussetzungen und unternehmerischen Handlungsspielräumen innerhalb und außerhalb der Mutterorganisation ist der Faktor Mensch die entscheidende Einflussgröße. Unternehmerische Chancen werden von Menschen entdeckt oder entwickelt: Ohne deren besondere Fähigkeiten, überausgeprägtes Selbstvertrauen und inneren Antrieb, Kontakte zu Marktpartnern herzustellen und Neues zu schaffen, würde sich nichts bewegen. Jede Idee braucht jemanden, der sie zum Leben erweckt. Technologien finden ihren Weg nicht von alleine in wertschaffende Anwendungen. Akademische Entrepreneure werden durch ihre Handlungen und Entscheidungen zu Entdeckern und Schöpfern unternehmerischer Chancen. Dazu braucht es neben dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, dem Gespür für Geschäftschancen und etwas Glück vor allem kompetente Partner im Umfeld der Forschungseinrichtungen. Akademische Gründer profitieren bei ihren ersten Gehversuchen erheblich von einer gezielten Unterstützung, etwa bei der Selbstorganisation, Gestaltung von Verträgen, Ansprache von Industriekunden und Suche nach angemessenen Finanzierungsmöglichkeiten.

Entscheidend für den Erfolg von solchen Spin-offs ist die gelungene, insbesondere wirtschaftlich anerkannte Anwendung von Wissen und Technologie. Dabei spielt der Transferprozess eine wesentliche Rolle. Wie oder von wem soll dieser Ihrer Meinung nach gestaltet werden, damit er erfolgreich wird?

Wir kommen der Beantwortung dieser Frage näher, wenn wir uns zunächst vor Augen halten, mit welcher anfänglichen Unsicherheit sich Unternehmen in eine Zusammenarbeit mit einem akademischen Spinoff als Know-how-Vermittler begeben. Etablierte Unternehmen sehen sich einem Innovationspartner gegenüber, der aufgrund seiner noch jungen und primär wissenschaftlichen Historie oftmals noch keine eigenständige Marktreputation oder viele Referenzkunden aufweisen kann. Es kommt daher von Anfang an darauf an, dass die mit der Wirtschaft anvisierten Transferprojekte durch Vertrauen bildende Maßnahmen unterstützt werden.

In der Transferpraxis bedeutet das, dass akademische Entrepreneure nicht nur als die eigentlichen Know-how-Träger gefordert sind, sondern insbesondere in der Rolle eines sogenannten Beziehungspromotors. In dieser vollziehen akademische Gründer einen Brückenschlag zwischen der eigenen Unternehmung und ihren Innovationskunden. In ihrer Rolle als Beziehungspromotoren sind sie professionelle Netzwerker, sie entwickeln und pflegen persönliche Beziehungen in die Wirtschaft und schaffen über ihr verbindliches Auftreten bei Transferpartnern begründetes Vertrauen. Dieses hilft dabei, die für die Entwicklung eines akademischen Spin-offs und die zur Kommerzialisierung seines Kern-Knowhows erforderlichen Ressourcen zu mobilisieren. Zudem wird die Gefahr missverständlicher Kommunikation zwischen Technologiegeber und – nehmer reduziert und es kommt zu einem schnelleren Interessensausgleich. Als Beziehungspromotoren fördern akademische Entrepreneure spezifische und bislang nicht erkannte Bedürfnisse der Transferpartner zu Tage und tragen im Falle von Konflikten zu konstruktiven Lösungen bei. Wir können immer wieder beobachten, dass gelungene Transferprozesse ein intensives Lernen der daran Beteiligten erfordern, das durch Barrieren des Nicht-Könnens und Nicht-Wollens erschwert wird.

Kontakt

Professor Dr. habil. Achim Walter ist Leiter des Steinbeis-Beratungszentrums COMMIT. Das Steinbeis-Unternehmen beschäftigt sich mit der Strategieentwicklung und -bewertung und bietet den Unternehmen Kundenund Lieferantenanalysen, Technologie- und Innovationsanalysen sowie Implementierungsbegleitung an.

Professor Dr. habil. Achim Walter
Steinbeis-Beratungszentrum COMMIT (Kiel)
su1082@stw.de

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