Optimierung statt Verbesserung

Der europäische NLP-Solver WORHP als Problemlöser in Luft- und Raumfahrt

Das Ziel moderner Modellierungs- und Simulationsrechnungen in der Luft- und Raumfahrt ist nicht nur der Erkenntnisgewinn über reale Systeme, sondern insbesondere die Verbesserung eines gegebenen Zustandes. Wer aber nur verbessert, optimiert nicht. Nichtlineare Optimierung (NLP) hat sich daher gerade in der Luft- und Raumfahrt zu einer Wettbewerbsvorteile erbringenden Schlüsseltechnologie entwickelt. Eine besondere Rolle spielt dabei der europäische NLP-Solver WORHP, der als Werkzeug zur Lösung realer Optimierungsprobleme aus den Anwendungen konzipiert ist. Das Steinbeis-Unternehmen Optimierung, Steuerung und Regelung an der Universität Bremen koordiniert die Adaption von WORHP in einem Projekt zur Verringerung der Umweltbelastung durch die Luftfahrt.

Seit jeher ist Mathematik sowohl Werkzeug als auch Sprache der Naturund Ingenieurwissenschaften. Erst die Mathematik erlaubt die Modellierung und Simulation und damit die Verbesserung von technischen und wirtschaftlichen Vorgängen. Heutige Hochtechnologie ist im Wesentlichen mathematische Technologie, so das Ergebnis eines Berichtes einer Enquete-Kommission der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften zur Bedeutung der Mathematik in Industrie und Wissenschaft. Dabei agiert diese uralte, von der Phantasie unseres Geistes angetriebene Wissenschaft heute lebendiger denn je, wenn auch vornehmlich im Hintergrund und oftmals unbeachtet von der Gesellschaft. Mathematik ist nicht nur die Sprache der Wissenschaften, sie schlägt auch Brücken zwischen den verschiedensten Disziplinen in der ihr eigenen Funktion als Querschnittswissenschaft. Wesentlich sind nicht nur diese Brücken zwischen den Wissenschaftsdisziplinen, sondern insbesondere auch die direkt von der Mathematik ausgehenden und verbindenden, etwa in Form von Wissens- und Technologietransfer in den Bereich der Hochtechnologie Luft- und Raumfahrt.

Nichtlineare Optimierung verwendet effiziente mathematische Verfahren und nutzt Fortschritte in der Computertechnologie aus, um etwa Fragestellungen nach bestmöglichen Trajektorien für Flugzeuge bei Start und Landung oder dem Aufstieg von Raumfähren zu beantworten, ebenso wie für Satellitenkonstellationen oder optimale Antriebsstrategien für Mond- und Marslandungen. Dieses Potenzial, speziell für die Luft- und Raumfahrt, haben auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Europäische Weltraumbehörde (ESA) erkannt und fördern bereits seit 2007 die Entwicklung des europäischen NLPSolvers WORHP (We Optimise Really Huge Problems), zunächst exklusiv die eigentliche Softwareentwicklung und später durch zahlreiche Weiterentwicklungs- und Dienstleistungsanfragen aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrt konkrete Anwendungsszenarien.

Im Gegensatz zu den meisten NLP-Verfahren ist WORHP nicht als reine Testumgebung für mathematische Verfahren konzipiert worden, sondern zur Lösung realer Optimierungsprobleme aus den Anwendungen gedacht. Entstanden ist eine moderne Software, die nicht nur den strengen ECSS (European Cooperation for Space Standardisation)-Standards genügt, sondern auch vom European Space Research and Technology Centre (ESTEC) und vom European Space Operations Centre (ESOC) als TRL (Technology Readiness Level) 6-7 klassifiziert wurde, einem Bewertungsschema für den Reifegrad von Software. Zum Vergleich: Universitäre wissenschaftliche Software erhält im Normalfall den TRL 1-2.

Hochdimensionale Modelle mit Millionen von Freiheitsgraden, Variablen und Nebenbedingungen sind eine Spezialität von WORHP und werden ebenso wie kleine Probleme robust und effizient gelöst. WORHP gilt heute als das robusteste NLP-Verfahren der Welt. Seit der Einführung vor etwa fünf Jahren hat WORHP inzwischen umfangreiche Verbreitung gefunden und wird unterstützt durch weitere auf WORHP basierende Verfahren, wie TransWORHP zur Berechnung optimaler Steuerungen und Trajektorien oder WORHP-Zen zur parametrischen Sensitivitätsund Stabilitätsanalyse optimaler Lösungen.

Ein wissenschaftliches Highlight ist der unterstützende Einsatz von WORHP am Europäischen Raumflugkontrollzentrum ESOC bei der Planung optimaler Trajektorien für die BepiColombo-Mission, die voraussichtlich 2017 zum Merkur starten wird und eine Kooperation zwischen der ESA und der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA darstellt.

Eine andere Anwendung des NLP-Solvers WORHP ist die Optimierung der Trajektorien für Luftfahrtanwendungen im EU-Projekt Clean Sky im Bereich Green Operations – Management of Aircraft Trajectory and Mission (MTM). Ziel der Initiative ist, die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Luftverkehrs und der Luftfahrtindustrie zu steigern, sowie – wie der Name impliziert – die Umweltbelastung durch Schadstoffemission und Fluglärm zu verringern und damit sauberere und leisere Flugzeuge zu entwickeln. Koordiniert wird das Teilprojekt Adaption of WORHP to Avionic Constraints vom Steinbeis-Innovationszentrum Optimierung, Steuerung und Regelung in Grasberg.

Eine weitere Herausforderung für WORHP findet sich im Forschungsprojekt „KaNaRiA - Kognitionsbasierte, autonome Navigation am Beispiel des Ressourcenabbaus im All“. Die grundsätzliche Idee des durch das DLR geförderten Projektes mit fünf Partnern ist es, ein Raumfahrzeug mit einem autonomen Entscheidungssystem auszustatten, um kognitiv motivierte Strategien für die Erkundung sowie den Abbau von Ressourcen auf weit entfernten Asteroiden durchzuführen. WORHP wird im Rahmen von KaNaRiA zur Berechnung von optimalen Bahnen unter Beschränkungen, der Optimierung von Landetrajektorien und deren optimaler Nachkorrektur in den verschiedenen Navigationsphasen der Mission genutzt.

Im Projekt „Cognitive Autonomous Subsurface Exploration“ (CAUSE) führt WORHP eine automatische Identifikation dynamischer Systeme auf der Basis von fusionierten Messdaten einer Schmelzsonde auf dem Saturnmond Enceladus durch, plant optimale Trajektorien und legt automatisch modellbasierte und adaptive Regelungskonzepte aus. Die zu entwickelnden Konzepte sollen dabei nicht auf Explorationsvorhaben beschränkt bleiben, sondern vielmehr auch in anderen Anwendungsszenarien, wie beispielsweise in autonomen Robotersystemen auf der Erde oder in der Steuerung von Pkw-Dieselmotoren zum Einsatz kommen.

Ziel eines weiteren WORHP-Projektes aus dem Bereich der Raumfahrt ist es, für eine Landefähre im Mondorbit ein optimales Flugmanöver zu bestimmen, um sie unter Berücksichtigung verschiedener Beschränkungen sicher auf der Mondoberfläche zu landen. Die hohe Startgeschwindigkeit der Landefähre soll dabei im Wesentlichen von nicht-modulierbaren Triebwerken kompensiert werden, die nacheinander zu optimalen Zeitpunkten abgeschaltet werden. Um die Qualität und Störanfälligkeit dieser Bahnen beurteilen zu können, wird auch WORHP-Zen erfolgreich eingesetzt.

Neben den skizzierten Szenarien wird WORHP derzeit in einer Vielzahl von weiteren praktischen Fragestellungen zur automatischen Optimierung genutzt. Im Rahmen von zukünftigen Missionen zum Mars sind beispielsweise sichere Landetrajektorien unter Berücksichtigung der Mars-Atmosphäre sowie eines geringen Energieverbrauchs von Interesse. Ebenfalls lassen sich durch die von WORHP optimierte Positionierung von Satelliten im Erdorbit Energie und Ressourcen sparen.

Die Anwendungsszenarien von WORHP beschränken sich jedoch nicht nur auf Fragestellungen aus der Luft- und Raumfahrt. Viele aktuelle Forschungsprojekte stammen aus der Energietechnik im Rahmen der deutschen Energiewende sowie aus dem Automotive-Bereich. Für den Technologietransfer in industrielle Anwendungen bildet der NLP-Solver WORHP einen wichtigen Baustein im Portfolio des Steinbeis-Unternehmens Optimierung, Steuerung und Regelung, da viele praktische Anwendungen im Kern auf einem Optimierungsverfahren basieren.

Kontakt

Prof. Dr. Christof Büskens leitet das Steinbeis-Forschungs- und Innovationszentrum Optimierung, Steuerung und Regelung an der Universität Bremen. Das Steinbeis- Unternehmen beschäftigt sich mit den Themen der Modellierung, Simulation und Identifikation statischer und dynamischer Systeme, optimalen Steuerung und Regelung sowie der Echtzeitoptimierung, Online- Optimierung und numerischen Methoden und Verfahren. Für die mathematische Optimierung der Ressourcenplanung von Satelliten erhielt das Steinbeis-Team um Christof Büskens gemeinsam mit der OHB System AG 2008 den Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis.

Prof. Dr. Christof Büskens
Steinbeis-Forschungszentrum Optimierung, Steuerung und Regelung (Grasberg)
SU1118@stw.de

Seite teilen