Unser digitales Gedächtnis

Experten diskutieren Langzeitarchivierung von kulturellem und wissenschaftlichem Erbe

Zweifelsfrei: Das Internet ist heute das wichtigste Kommunikationsmittel und sowohl im privaten wie auch beruflichen Bereich zentrales Werkzeug zur Informationsbeschaffung. In Deutschland sind fast 100% der unter 30-Jährigen online, teilweise den ganzen Tag. Auch Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen reagieren auf diesen gesellschaftlichen Wandel und präsentieren zunehmend Informationsmaterial online. Dabei wird einerseits bestehendes Material zu den Kulturgütern digitalisiert und veröffentlicht, andererseits entstehen vermehrt digitale Forschungsdaten, denen keine analog verfügbaren Dokumente, Bücher, Bilder, Tonaufnahmen, Museumsobjekte oder ähnliches zugrunde liegen. Der Stein von Rosetta ist heute noch lesbar, ebenso die literarischen Briefwechsel von Celan und Rilke, aber wie soll die Langzeitverfügbarkeit digitaler Dateien oder auch die Langzeitarchivierung von E-Mails, Blogs oder Online-Kommentaren erfolgen? Die fünfte Tagung der Reihe „Digitale Bibliothek“ in Graz widmete sich der Frage, welche Wege zur nachhaltigen Archivierung von Forschungs- und Kulturdaten beschritten werden können. Das Grazer Steinbeis-Transferzentrum Informationsmanagement und Kulturerbe-Informatik ist Mitorganisator der Tagung.

In Workshops standen die Themenbereiche Audiovisuelle Archivierung und 3D-Digitalisierung zur Diskussion. Dabei kann kollaborative Wissensorganisation die Wiederherstellung gefährdeten Kulturgutes unterstützen oder anhand der Nachbarschaft zu anderen Objekten neue Kontexte entwickeln. An Beispielen von Musikarchivierungsprojekten aus Afghanistan und Brasilien, oder dem DISMARC-Portal wird deutlich, welche bewahrende Funktion das Internet übernehmen kann, und wie wichtig es ist, dass Kultureinrichtungen den Mut haben eigene, neue Wege zur Online-Verfügbarmachung zu beschreiten. Vor allem im Bereich der Musik erfolgt die Suche noch immer logozentrisch mit dem Umweg über die Sprache. Hier sind Forschung und Entwicklung gefragt, um die bestehenden Grenzen der Suchbarkeit zu überwinden. In Projekten wird daher bereits an der Erforschung einer DNA für Weltmusik gearbeitet, die eine Ableitung der Musik von ihrem Ursprung erlaubt.

Das stetige Sinken der Infrastrukturkosten parallel zum zeitgleichen Anstieg der Trägerkapazitäten trägt dazu bei, dass auch kleine, regionale Einrichtungen mit knappem Budget ihre Forschungstätigkeiten vernetzt durchführen und Maßnahmen zur Langzeitarchivierung angehen können. Im Bereich der 3D-Digitalisierung und der Archivierung von 3DObjekten steht man allerdings erst am Beginn der Reise ins Internet: Die Prozesse der 3D-Generierung gestalten sich vielfach noch umfangreich, und die Darstellung der 3D-Modelle im Internet scheitert immer wieder daran, dass nicht alle Formate für das Web geeignet sind. Mit der Integration von WebGL in den neuen HTML5-Standard werden dynamische 2D- und 3D-Grafiken künftig jedoch besser unterstützt und es ist zu erwarten, dass sich diese Form der Online-Präsentation rasch entwickeln und verbreiten wird.

Trotz der sinkenden Infrastrukturkosten stehen Kultur- und Forschungseinrichtungen stetig vor der Entscheidung, was und welche Datenform archiviert werden soll. Was ist die Quelle? Müssen sowohl Text als auch Layout archiviert werden? Soll eine Bibliothek oder ein Archiv auch Social Media Inhalte archivieren? Die Vorträge der Tagung versuchten hier Antworten zu finden und Wege der Good-Practice zu skizzieren. Die Sichtbarmachung der Forschungsdaten, die Langzeitarchivierung und die Langzeitverfügbarkeit wurden dabei als die drei Hauptaufgaben der Digital Humanities definiert. Ein neues Berufsbild, jenes des Forschungsdatenkurators als Mittler zwischen Fachbereich und Informationstechnologie, ist momentan im Entstehen. Die Online-Zugänglichmachung von kulturellen und wissenschaftlichen Daten forcieren auch zahlreiche Vernetzungsprojekte der Forschungs- und Kultureinrichtungen in Österreich, Deutschland und auf europäischer Ebene. Die deutsche Digitale Bibliothek, die schweizerische Memobase Plattform für audiovisuelles Kulturgut oder das DURAARK Projekt zur Archivierung von Architekturdaten sind einige Beispiele aus dem Best-Practice Teil mit dem die 5. Digitale Bibliothek erfolgreich abschloss.

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