„Nun muss wieder der Transfer auf den Weg gebracht werden“

Im Gespräch mit Professor Dr. Uwe Schmidt, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Energie – Umwelt – Information

Herr Professor Schmidt, betrachtet man Ihren Ausbildungsweg und beruflichen Werdegang, merkt man schnell, dass Sie zwei Leidenschaften haben: Technik und Umwelt. Wie kam es zu dieser interessanten, aber auch sehr anspruchsvollen Kombination?

Als habilitierter Ingenieurwissenschaftler beschäftigt man sich zunächst mit der Entwicklung technischer Geräte und Verfahren und versucht Grundlagen der Naturwissenschaften, vor allem der Physik, in technische Systeme zu überführen. Schaut man jedoch in unsere natürliche Umwelt, ist man beeindruckt von der Kreativität und Perfektion, mit der die Evolution Systeme hervorgebracht hat, die in jeder Hinsicht funktional und effizient sind. Biologische Systeme, die sich nicht nachhaltig in die Natur eingefügt haben, hatten keine Überlebenschance. Hier kann der Ingenieur nur ehrfurchtsvoll hinschauen, beobachten und lernen. Die Agrarwissenschaften haben es mir deshalb besonders angetan, da der Mensch hier seit Jahrhunderten versucht, mit technischen Hilfsmitteln, Kenntnissen um die wissenschaftlichen Grundlagen und auch mit einer gehörigen Portion Erfahrung das biologische System so zu optimieren, dass Produkte für unsere Ernährung aber inzwischen auch für unsere Stoff- und Energieversorgung entstehen. Insbesondere der intensive Pflanzenbau in Gewächshäusern ist für mich aus Sicht des Ingenieurs sehr interessant. Hier können wir alles steuern, was die Wachstumsbedingungen für Pflanzen beeinflusst. Zuerst müssen wir jedoch lernen, wie pflanzenphysiologische Prozesse, wie zum Beispiel die Photosynthese, auf diese künstlich veränderten Bedingungen reagieren, bevor wir Optimierungen durch technische Systeme der Mikroklimasteuerung vornehmen können. Eine spannende interdisziplinäre Aufgabenstellung.

In Ihrem Steinbeis-Unternehmen Energie – Umwelt – Information bieten Sie unter anderem Beratung, Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Sensortechnik für den grünen Bereich. Welche Probleme bringen Ihre Kunden mit? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Es gibt heute nicht nur in den grünen Bereichen vielfältige Möglichkeiten, sensorische Informationen in hoher zeitlicher und räumlicher Dichte zu erhalten. Wir sprechen inzwischen schon von einer Datenflut, die kaum noch bewältigt werden kann. Bitter nötig sind Algorithmen, die Daten filtern, verdichten und in flexiblen Datenbanken für den Prozess der Analyse vorhalten können. Danach ist eine echte Lücke zu schließen, die dadurch entstanden ist, dass in vielen Prozessen intelligente Routinen zur Datenbewertung für die Entscheidungsfindung fehlen. Da ist eine enge Kooperation zwischen Prozesswissenschaft und Informatik gefragt und hier liegt auch der größte Handlungsbedarf. Beispiele aus der Agrarwissenschaft zeigen wieder, wie anspruchsvoll solche Aufgabenstellungen sind: Um durch einen Industrieroboter eine Schweißnaht an einer Automobilkarosserie ziehen zu lassen, gibt es reproduzierbare exakte räumlich-dreidimensionale Koordinaten und auch das Verhalten der Werkstoffe beim Schweißprozess ist gut erforscht. Um durch einen Roboter Gurken und Tomaten ernten zu lassen, müssen bildanalytische Sensoren die Architektur eines Pflanzenbestandes erkennen, die Zielgröße Frucht selektieren, diese auf ihren Reifezustand analysieren und schonend von der Pflanze trennen – eine automatisierungstechnische Herkulesaufgabe. Auch das sensorische Erkennen der Qualität von Pflanzenteilen wie Blüten und Früchte oder die frühzeitige Erkennung von Pflanzenkrankheiten in größeren Beständen könnten dazu beitra gen, die Qualität von Produktionsprozessen zu verbessern. Hier müssen ebenfalls die Daten von Sensoren interpretiert und optische Signaturen bewertet werden. Kunden aus dem Bereich der Agrarwirtschaft wollen durch diese Systeme Unterstützung bei der Entscheidungsfindung haben. Komplexe Zusammenhänge sollen gut verständlich dargestellt werden und der zeitliche Umfang beim Umgang mit Mess- und Analysetechnik soll sich in Grenzen halten.

Herr Professor Schmidt, Sie haben Ihr Steinbeis-Unternehmen vor fast 20 Jahren gegründet, wie haben sich die Kundenanforderungen an die Arbeit Ihres Zentrums im Laufe der Jahre geändert und welche sowohl technologische aber auch gesellschaftliche Entwicklungen haben diese am stärksten beeinflusst?

Nach Gründung meines Transferzentrums haben wir sehr viel Zeit und Kraft in die Entwicklung von Messsystemen wie den sogenannten Phytomonitoren gesteckt. Bei den ersten Kunden, die diese Systeme angeschafft haben, zeigte sich schnell der eben beschriebene Mangel an Dateninterpretation. Dementsprechend wurde mehr in die Softwareentwicklung für die Datenverarbeitung bis hin zu einem kompletten Automatisierungssystem für Gewächshausanlagen investiert.

Mit wachsender Expertise auf diesen Gebieten stieg das Interesse von Kunden aus angrenzenden Bereichen wie zum Beispiel der Materialforschung oder Energietechnik. Die Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema Nachhaltigkeit hat eigene Impulse auch in das Transferzentrum gebracht. So waren wir in den letzten fünf Jahren an einem großen deutschen Verbundprojekt zur Entwicklung von energiesparenden Gewächshäusern (ZINEG-Projekt) beteiligt. Hier hat das Transferzentrum die Software und Sensorik für die Steuerung von Gewächshäusern entwickelt, die gleichzeitig als thermische Solarkollektoren arbeiten können. Für diese innovative Lösung und weitere Ansätze erhielt der Verbund im Herbst 2014 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Forschung des BMBF – eine schöne Auszeichnung auch für die Arbeit meines Berliner Steinbeis-Transferzentrums. Nun muss wieder der Transfer auf den Weg gebracht werden, was oft auch „Klingelputzen“ bedeutet. Inzwischen werden Projekte mit sehr komplexem Charakter bearbeitet. Von der Beteiligung an Projekten zur ionenselektiven Steuerung von geschlossen zirkulierenden Nährlösungen bis zu neuartigen Wasserdesinfektionssystemen im Pflanzenbau reicht die Spannweite.

Umweltschutz wird auch in Zukunft ein wichtiges Thema bleiben. Welche Rolle wird dabei die intelligente Mess- und Sensortechnik spielen?

Mess- und Sensortechnik muss sich einordnen in das Gesamtkonzept der Informationsbeschaffung. Nicht alles, was messbar ist, muss in Produktionsprozessen auch sensorisch erfasst werden. Hier ist im Zusammenhang mit der rasanten Entwicklung der Computertechnik auch vieles mit Hilfe der Modellierung möglich. Diese Modelle müssen jedoch sichere Informationen bringen. Bei der Entwicklung des Phytomonitorings haben wir zum Beispiel Modellelemente der künstlichen Intelligenz integriert, um die Plausibilität von sensorischen Informationen zu testen und bei Sensorausfall mit Modelldaten weiterarbeiten zu können. Solche sicheren Informationssysteme spielen im Umweltschutz eine wichtige Rolle. Umweltschädigung tritt häufig dadurch ein, dass Stoffe in die Natur gelangen, weil Automaten versagen oder aus einem gewissen Sicherheitsdenken heraus Stoffeinträge in Produktionsprozesse „überdosiert“ werden. Beispiel ist die Düngung im Pflanzenbau. Aus Sorge vor einer Unterversorgung von Kulturpflanzen mit Düngern wurde in der Vergangenheit lieber etwas mehr Dünger ausgebracht, als unbedingt nötig war. Gleiches gilt übrigens für die Bewässerung und Wärmeenergieversorgung. Was aber unbedingt nötig ist, das kann nur ein intelligentes Informationssystem ermitteln. Vertrauen in die Information ist dann die Voraussetzung dafür, dass der Produzent auf diese Sicherheitszuschläge verzichtet und damit eine bedarfsgerechte Versorgung der Pflanzenbestände ohne Auswaschungen, Energieverluste oder CO2- Emissionen realisiert. In diesen Konzepten trifft sich die Philosophie meines Fachgebietes Biosystemtechnik an der Humboldt-Universität zu Berlin mit den Interessen meines Transferzentrums Energie – Umwelt – Information: Forschung, Entwicklung und Technologietransfer an der Schnittstelle zwischen Ingenieurwissenschaften und biologischen Produktionsprozessen durch Schaffung von ingenieurtechnischen Lösungen für eine nachhaltige Produktion von Agrarprodukten und Technologien für eine sichere und saubere Umwelt.

Kontakt

Prof. Dr. Uwe Schmidt ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Energie – Umwelt – Information in Berlin und Professor für Biosystemtechnik an der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. In seinem Steinbeis-Unternehmen beschäftigt er sich intensiv mit den Fragen der Automatisierung, Sensortechnik, Messanlagen und Software.

Prof. Dr. Uwe Schmidt
Steinbeis-Transferzentrum Energie – Umwelt – Information (Berlin)
SU0308@stw.de

Seite teilen