Perspektive Facharzt

Forscherteam sucht nach Lebensarbeitsperspektiven für Fachärzte in Universitätskliniken

Warum wandern Fachärzte von Universitätskliniken ab und wie könnten sie länger an ein Klinikum gebunden werden? Diese Fragen stellen sich das Steinbeis-Transfer-Institut zeb/business.school an der Steinbeis-Hochschule Berlin, die Managementberatung zeb und das Universitätsklinikum Münster (UKM) mit seiner Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie gemeinsam im Forschungsprojekt „FacharztPlus“. Sie suchen nach Gründen für die Abwanderung und nach Maßnahmen, Fachärzte durch bessere Arbeitsbedingungen und Karriereaussichten zu binden.

Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts ist es, geeignete Maßnahmen zu finden, um Fachärzte nach Abschluss ihrer fünf- bis sechsjährigen Weiterbildung für weitere fünf oder mehr Jahre zu binden. Das Projekt umfasst drei Forschungsschwerpunkte:

  • Flexiblere und individuellere Arbeitsorganisation für Lebensarbeitsperspektiven,
  • Lebenslange Zusatzqualifizierung für attraktivere Karrieren sowie
  • Kompetenzbasierte Einsatzplanung zur Kombination von medizinischer Versorgung und ärztlicher Zusatzqualifizierung.

Einen ersten Schritt des Projekts stellte die Situationsanalyse am Beispiel des UKM dar. Da die bisher in der Klinik eingesetzten Lösungen fachlich, methodisch und technisch nicht ausreichen, um dem Facharztmangel wirksam zu begegnen, wird im weiteren Projektverlauf nach Impulsen aus branchenfremden Lösungsansätzen gesucht. Die auf die Problemstellung und die Klinik übertragbaren Maßnahmen werden anschließend einer arbeitsrechtlichen, organisatorischen und technischen Prüfung unterzogen und in einen Umsetzungsplan überführt. Die pilothafte Umsetzung an der Klinik und deren Evaluierung bildet die Basis, um die Maßnahmen auf weitere Piloten auszuweiten und zu erproben. Dies sind ausgewählte Kliniken des UKM sowie die Umsetzungspartner des Projekts, die Uniklinik RWTH Aachen und die Universitätsmedizin Rostock.

Im Zuge der Situationsanalyse wurden im ersten Schritt über 50 Interviews – nahezu eine Vollerhebung – mit Ober- und Fachärzten der Klinik durchgeführt. Oberärzte wurden dabei gebeten, sich in die Lage der Fachärzte zu versetzen. Die rund anderthalbstündigen Gespräche beinhalteten Fragen zu wahrgenommenen Stärken, Schwächen und Verbesserungsvorschlägen insbesondere im Bereich der Arbeitsorganisation, Führung/Kultur und Mitarbeiterentwicklung. Die Gespräche wurden als „generative Dialoge“ geführt, das heißt als vertrauliche, ideengenerierende Gespräche im geschützten Raum. Die Ergebnisse geben Hinweise auf Stärken, Schwächen, Blockaden und Herausforderungen der Klinik. Den größten Anteil an den Interviews nahmen offene Fragen ein, für deren Auswertung die rund 2.000 qualitativen Einzelaussagen isoliert, zu Themenfeldern zusammengefasst und schließlich nach positiver und negativer Aussage bewertet wurden. Daraus ergab sich unter anderem ein Stärken-Schwächen-Profil der Klinik aus Sicht der Fachärzte, das die Handlungsbedarfe und Prioritäten für die weitere Forschung andeutet.

Mithilfe des aus der Marktforschung stammenden Net Promoter Scores (NPS) machten die Projektpartner in den Interviews außerdem die Zufriedenheit von Ober- und Fachärzten mit der Weiterbildung und Facharzttätigkeit quantifizierbar. Der über die Befragten aggregierte NPS zeigt, wie viele aktive Befürworter („Promotoren“) auf wie viele „Kritiker“ mit eher ablehnender Haltung treffen. Die befragten Personen geben auf einer Skala von 0 bis 10 an, ob sie eine Weiterempfehlung für das abgefragte Item aussprechen würden. Der NPS wird schließlich als Differenz aus der relativen Anzahl von Promotoren und Kritikern ermittelt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Facharztweiterbildung durch Fachärzte weitgehend empfohlen, während von der fachärztlichen Tätigkeit abgeraten wird.

Weitere aus der Markforschung stammende und auf die Interviews übertragene Verfahren zur quantitativen Abfrage sind das semantische Differenzial, das einen Untersuchungsgegenstand mithilfe von polar verteilten Eigenschaften bewertet, und die Likert-Skala. Beide wurden für die Beschreibung der Unternehmenskultur verwendet.

Um mögliche Optimierungspotenziale bereits während der Weiterbildung aufzudecken und die Perspektive weiterer vom Fachkräftemangel betroffenen Bereiche einzuholen, wurden auch Assistenzärzte und das Pflegepersonal stichprobenartig in die Situationsanalyse einbezogen. In diesem Zusammenhang wurde eine ergänzende Interviewmethodik, die Kelly Grids als eine Ausgestaltungsform der Repertory Grids, eingeführt, um eine Bewertung von Items anhand individueller Bewertungspole und -skalen der Befragten durchführen zu können. Die zugrunde liegende Theorie der persönlichen Konstrukte wurde durch den US-amerikanischen Psychologen George A. Kelly geprägt und besagt, dass Menschen ihre Umwelt in individuelle Konstrukte, die sie nach „gleich“ und „ungleich“ unterscheiden, ordnen. Dazu wurden die befragten Personen gebeten, unter anderem die eigene und andere Berufsgruppen einerseits sowie die Klinik und das gesamte UKM andererseits als eher gleich oder eher unterschiedlich zu klassifizieren und die jeweilige Gleich- oder Ungleichheit kurz zu beschreiben, um daraus gegensätzliche Begriffspaare (Pole) zu bestimmen. Auf diese Weise wurden Unterschiede zwischen den Vorstellungen der Pflege und der Ärzteschaft sowie die sich ändernde Einstellung der Ärzte im Verlauf ihrer Anstellung herausgearbeitet.

Die Problematik des Facharztmangels ist kein kosmetisches Problem, sondern gefährdet auf lange Sicht die Leistungsfähigkeit der Klinik. Der Austausch mit Verbänden, Kammern und Krankenhausträgern im Rahmen des Projekts zeigt, dass es sich keineswegs nur um eine UKM-spezifische Herausforderung handelt, sondern um ein strukturelles Problem vieler deutscher Krankenhäuser und speziell der Universitätsklinika. Eine einfache Lösung gibt es nicht: Es bedarf ganzheitlicher Lösungsansätze, die über Einzelmaßnahmen hinausreichen. Marktrecherchen haben die Vermutung der Projektpartner bestätigt, dass innerhalb der Krankenhausbranche nur wenige geeignete Lösungsmöglichkeiten existieren und zudem eine direkte Übertragung der Lösungen anderer Branchen nicht zielführend ist. Im Rahmen des Projekts FacharztPlus werden deshalb individuell auf die Problematik angepasste Lösungsmöglichkeiten entwickelt, evaluiert und optimiert, um den künftigen Herausforderungen gerecht zu werden.

Wichtiger Bestandteil des Projekts „FacharztPlus“ ist daher ein kontinuierlicher Austausch mit Branchenvertretern, Wissenschaftlern und externen Institutionen und Unternehmen. 2014 wurden bereits eine Vielzahl von Kongressen und Tagungen besucht. Die projekteigene Wissenschaftliche Konferenz im November 2014 zum Thema Demografie- und Kompetenzmanagement befasste sich neben den Ergebnissen des Projekts mit gender- und generationsspezifischen Fragestellungen. Die Vorträge und die im Zuge der Konferenz eingereichten Beiträge werden in einem Herausgeberband veröffentlicht werden.

Kontakt

Prof. Dr. Joachim P. Hasebrook
Steinbeis-Transfer-Institut zeb/business.school (Baden-Baden)
joachim.hasebrook@stw.de

Univ.-Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerzmedizin an der Universitätsmedizin Greifswald (UMG)

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