Steinbeis-Experten lehren Maschinen zu lernen

Künstliche Intelligenz im Maschinenbau: Maschinen werden lernfähig

Die Steuerungen moderner Maschinen und Roboter sind mittlerweile so komplex geworden, dass sowohl klassische Regelungstechnik als auch andere Methoden zur Programmierung hier an ihre Grenzen stoßen. Das Steinbeis-Transferzentrum Künstliche Intelligenz und Datensicherheit (KIDS) in Ravensburg geht in diesem Bereich neue Wege: Seit einigen Jahren wenden Professor Dr. Wolfgang Ertel und sein Team maschinelle Lernverfahren für Steuerungs-, Diagnose- und Optimierungsprobleme im Maschinenbau mit großem Erfolg an, wie zwei Projekte im Auftrag der Festo AG & Co. KG in Esslingen deutlich zeigen.

Der LearningGripper ist ein Greifer mit vier Fingern, der in abstrahierter Weise einer menschlichen Hand entspricht. Die vier Finger des Greifers werden von zwölf Niederdruck-Balgaktoren pneumatisch angetrieben. Das Besondere an dem bionischen Greifer ist seine Lernfähigkeit. Verantwortlich hierfür sind Lernalgorithmen, die eine hochkomplexe Programmierung ersetzen.

Mit Hilfe von maschinellem Lernen (einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz) ist der Greifer in der Lage, eine komplexe Aufgabe, wie z.B. das Greifen und Orientieren einer Kugel, selbst zu erlernen. So soll der Greifer eine Kugel ohne sie loszulassen so drehen, dass eine ganz bestimmte Seite nach oben zeigt. Dabei eignet er sich aufgrund des Lernens durch Verstärkung die entsprechenden Bewegungsabläufe an. Parallel zur Entwicklung der Greifer-Hardware durch Festo wurden am Steinbeis-Transferzentrum KIDS in exakt einem Jahr die Lernalgorithmen erfolgreich implementiert und schließlich auf der Hannover Messe präsentiert.

Mit diesem Prinzip könnten in Zukunft selbstlernende Systeme wie der LearningGripper in eine Produktionslinie eingebaut werden und dann eigenständig ihr Verhalten optimieren. Der entscheidende Vorteil des maschinellen Lernens gegenüber einer klassischen Regelung ist der, dass der Lernalgorithmus kein mathematisches Modell der Hardware – in diesem Beispiel des Greifers – benötigt. Ganz ähnlich, wie wir Menschen zum Lernen komplexer Bewegungsabläufe auch kein Mathematik- oder Maschinenbaustudium benötigen. Wie unser Gehirn, erzeugt sich der Lernalgorithmus ein eigenes Modell der zu lernenden Aufgabenstellung.

Nachdem mit dem Greifer-Projekt die erfolgreiche Anwendung von maschinellem Lernen an einem Prototyp gezeigt wurde, sollte das zweite Projekt für Festo ein ganz konkretes Problem bei pneumatischen Anlagen lösen. Ziel dieses Projektes war es, anhand kontinuierlicher Messung des Druckluft-Durchflussprofils einer pneumatischen Automatisierungsanlage Veränderungen im Verbrauch sowie Unregelmäßigkeiten bis hin zu fehlerhaftem Verhalten zu erkennen. Dies können z.B. Druckluft-Leckagen oder andere Defekte an der Anlage sein.

Die zu überwachende Anlage wird hierbei als Blackbox behandelt, denn das zu entwickelnde Diagnosemodul soll auf beliebige pneumatische Anlagen anwendbar sein. Das Diagnosemodul muss ohne viel Aufwand an eine Anlage angeschlossen werden können, um im Betrieb Monitoring bis hin zu Diagnosefunktionalitäten durchführen zu können. Dazu muss das Modul in einer Einlernphase von etwa einem Tag die Anlage „kennenlernen“, um dann die Abweichungen vom Normalbetrieb als Fehler klassifizieren zu können. Hierzu wurden Verfahren des maschinellen Lernens verwendet, die Abweichungen des typischen Musters der Durchflusskurve erkennen können.

Eine besondere Herausforderung in dem Projekt ergab sich durch die von Festo definierte Randbedingung, dass die Anlage in der Einlernphase nur im Normalbetrieb läuft. Der verwendete Lernalgorithmus hat also während der Einlernphase keinen Zugriff auf fehlerhafte Betriebszustände der Anlage, muss aber später trotzdem sicher zwischen Normalbetrieb und Fehlerzustand unterscheiden können. Zur Lösung dieses Problems wurde zuerst eine Modifikation der One-Class-Nearest-Neighbour-Methode verwendet. Das Verfahren wurde prototypisch implementiert und mit den Durchflussdaten mehrerer Anlagen sehr erfolgreich, das heißt mit sehr kleiner Fehlerrate, getestet.

Aus Kosten- oder aus technischen Gründen ist es oft nicht möglich, die Anlagen mit ausreichend Sensorik auszustatten, was zu großen Problemen mit klassischen modellbasierten Diagnosemethoden führt. Das neuartige Diagnosemodul benötigt nur einen Durchflusssensor und kann mit den hier verwendeten maschinellen Lernverfahren relevante Informationen aus dem Durchflussprofil extrahieren.

Interessant ist dieses Projekt auch vor dem Hintergrund von Industrie 4.0 an der Schwelle zum Zeitalter der autonomen Maschinen. Der Maschinenbau kann heute sehr komplexe Maschinen bauen und aus der Mechatronik und Elektronik kommen leistungsfähige Sensoren, Antriebe und Steuerungsrechner. Gleichzeitig hat die Künstliche Intelligenz in den letzten zwanzig Jahren leistungsfähige praktisch einsetzbare Lernverfahren entwickelt, die geradezu auf Aufgaben wie die hier gelösten warten. In diesem Projekt sind zwei passende Partner zusammen gekommen mit einem schönen Ergebnis. In vielen Gesprächen und Diskussionen zeigten sich schnell die doch sehr unterschiedlichen Herangehensweisen von Maschinenbau und Künstlicher Intelligenz. In dieser Konstellation war das Projekt nur möglich durch das große Interesse von Festo an neuen Methoden aus anderen Wissensgebieten und durch die Bereitschaft der Wissenschaftler im Steinbeis-Transferzentrum KIDS, sich für ganz praktische Probleme im Alltag der Industrieautomatisierung zu begeistern.

Die in diesem Projekt entwickelte Lösung ist aufgrund ihrer universellen Anwendbarkeit und der sehr einfachen Sensorik auf viele andere technische und nicht technische Diagnoseaufgaben anwendbar. Das Innovationspotential könnte beispielsweise bei einer automatischen Selbstdiagnose von Haushaltsgeräten, Elektromotoren und Ottomotoren genutzt werden. Auch zur medizinischen Diagnose oder für die Überwachung der Sicherheit von Häusern und Wohnungen wäre es in abgewandelter Form anwendbar.

Kontakt

Prof. Dr. Wolfgang Ertel ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Künstliche Intelligenz und Datensicherheit (KIDS) an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Das Zentrum bietet seinen Kunden Forschung und Entwicklung sowie Beratung auf den Themengebieten lernfähige Systeme für Diagnose, Prognose, Klassifikation und Datensicherheit.

Professor Dr. Wolfgang Ertel
Steinbeis-Transferzentrum Kunstliche Intelligenz und Datensicherheit (KIDS) (Ravensburg)
su0605@stw.de

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