„Wir arbeiten dort, wo andere Urlaub machen!“

Im Gespräch mit Prof. Edmund Haupenthal

Herr Professor Haupenthal, Sie sind seit fast 30 Jahren in der Region Oberschwaben zu Hause, waren mehrere Jahre in Friedrichshafen und Pfullendorf tätig. In direkter Nachbarschaft zur Region leiten Sie seit 17 Jahren das Steinbeis-Transferzentrum Technologie - Organisation - Personal (TOP) in Gottmadingen. Was haben Sie an der Region zu schätzen gelernt, was sind ihre Eigenarten?

Ich stamme aus einer Region, in der man landschaftlich und touristisch bei weitem nicht so verwöhnt wird wie hier am Bodensee. Daher habe ich in den ersten Monaten meiner Zeit am Bodensee bei föhniger Wetterlage auf dem Weg zur Arbeitsstätte öfters mal angehalten und gedacht: „Mann, ist das schön hier!“ Den Spruch „Wir arbeiten dort, wo andere Urlaub machen!“ kann ich auch nach diesen vielen Jahren immer noch bestätigen, die ursprüngliche Befürchtung vieler Freunde, diese regionale Anhänglichkeit könnte zu einem beruflichen „Karrieregrab“ werden, dagegen nicht.

Unzähligen Pionieren wie Ferdinand Graf von Zeppelin, Claude Dornier, Erwin Hymer, Hans Liebherr oder Helmut Vetter haben wir es zu verdanken, dass die Region sich zu einem florierenden Wirtschaftsraum entwickelt hat. Die Landkreise Bodenseekreis und Ravensburg zählen aktuell mit einem Wert von 2,5 bzw. 2,6 % zu den Landkreisen mit der geringsten Gesamtarbeitslosenquote.

„Glückhafte Rückständigkeit“ und sparsame Mentalität einerseits stehen Erfindungsreichtum und großzügigen Menschen andererseits gegenüber. Über manch sprachliche Besonderheit muss ich auch heute noch schmunzeln, z. B. dass ein Teppich auch eine Wolldecke zum Zudecken sein kann.

Oberschwaben ist eine wirtschaftlich attraktive Region, umso wesentlicher ist es, sich regionalen und überregionalen Herausforderungen frühzeitig zu stellen. Wo sehen Sie aus Ihrer Projektarbeit in der Region heraus den größten Handlungsbedarf?

Oberschwaben ist selbstverständlich von den überregional bekannten Themen wie hohe Energie- und Rohstoffpreise, Fachkräftemangel und den Auswirkungen der Euroschuldenkrise nicht ausgenommen. Es existieren in Oberschwaben aber auch spezielle Themen. Einerseits wird in der Region sehr in ökologische Maßnahmen investiert, andererseits werden aber die Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen des Bundes stark vernachlässigt; die Hauptachsen aus Richtung Ulm und Freiburg (B30/B31) sind stark überlastet. Hier liegt dringender Handlungsbedarf vor.

Zudem wird die grenznahe Lage zu Österreich und der Schweiz von den Unternehmen sowohl als Chance als auch als Einschränkung wahrgenommen. Ich selbst engagiere mich bereits seit vielen Jahren, um durch grenzüberschreitende Aktivitäten und als „Botschafter Bodenseeland/ United Innovations“ Kontakte zu den Nachbarländern zu pflegen und für unsere Kunden nutzbar zu machen.

Dennoch scheint mir für all diese Positionen in ihrer ökonomischen Bedeutung für die regionale Wirtschaft der Spruch angemessen: „Lerne zu klagen ohne zu leiden!“

Auch Ihre Tätigkeit als Honorarprofessor an der Hochschule Ravensburg- Weingarten verbindet Sie stark mit der Region Oberschwaben. Seit 1999 sind Sie an der Hochschule tätig und haben unter anderem den Studiengang Betriebswirtschaft und Management mit aufgebaut und in der Startphase geleitet. Auch durch diese Tätigkeit stehen Sie im engen Kontakt zur regionalen Wirtschaft. Welche Entwicklungen haben die Unternehmenslandschaft in Oberschwaben, insbesondere die von KMU, in den letzten Jahren aus Ihrer Sicht geprägt?

Der Studiengang Betriebswirtschaft und Management wurde nach einer von uns durchgeführten regionalen Befragung - sowohl der Großindustrie als auch mittelständischer Unternehmen - bedarfsgerecht konzipiert.

Die Zusammenhänge zwischen Hochschulen einschließlich deren Forschungs- und Wissenstransfereinrichtungen und der konkreten, wirtschaftlichen Wirkung ist bislang noch wenig bekannt. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Versorgung der regionalen Wirtschaft durch Absolventen, die Durchführung unternehmensspezifischer Projekt- und Abschlussarbeiten, die Nutzung von Beratungsleistungen und Forschungskooperationen durch Wissenschaftler vor Ort, der Zugang zu Infrastruktureinrichtungen wie Bibliothek und Labore, das Angebot für berufsbegleitende Masterstudiengänge und nicht zuletzt das überregional sehr nachgefragte Seminarangebot der Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung den wirtschaftlichen Erfolg der Region mit bestimmt haben.

Insbesondere KMU, die sich die ständige Vorhaltung von speziellen Einrichtungen und Wissen in der Aufbauphase vielfach nicht leisten können, partizipieren wesentlich von diesem Angebot. Die regionalen Angebote von Steinbeis haben sich passgenau auf diesen regionalspezifischen Bedarf eingestellt. Diese Unternehmen bestätigen außerdem, dass sie durch die Ausweitung auf den neuen Studiengang endlich auch Studierende der Betriebswirtschaft, z. B. im Rahmen von Praktika, frühzeitig für eine Mitarbeit im Unternehmen interessieren können.

Wenn Sie gegenwärtig Ihre Aktivitäten in der Region betrachten, welche Anforderungen und Dienstleistungen werden von Ihren Kunden momentan verstärkt nachgefragt?

Seit der Einführung von Basel II werden Unternehmer von den Banken im Rahmen der jährlichen Ratinggespräche bereits ab dem 55. Lebensjahr auf das Thema Nachfolge angesprochen. Dieser Effekt in Verbindung mit dem Krisenjahr 2009, in dem bei vielen Unternehmen der berühmte „Brautschmuck zur Vorbereitung einer Nachfolge“ wieder abgefallen ist, hat nach unserer Wahrnehmung einen Nachfolgestau ausgelöst.

Ein Schwerpunkt unseres Dienstleistungsangebotes liegt daher zwischenzeitlich neben Themen der Effizienzsteigerung und Finanzierungsberatung im Bereich Nachfolgeregelung, sowohl seitens der Übergeber als auch seitens der Übernehmer. Wen wundert es wirklich, dass Führungskräfte, die durch Karrierebestrebungen regional abgetrieben wurden, plötzlich wieder in diese wundervolle Region zurück möchten?

Ein breites Angebot an Förderprogrammen sichert unseren Kunden hierbei ein attraktives Leistungsangebot und lässt auch uns friedvoll über die Unternehmensdächer hinaus auf den Bodensee und die Bergwelt blicken.

Seite teilen