Elektrochemisches Präzisionsentgraten von Multifunktions-Bauteilen

Gepulste Gleichstromquellen in der Elektrochemie

Im Rahmen der konstruktionssystematischen Entwicklung oder bei wertanalytischen Optimierungen von Maschinen, Geräten und deren mechanischen Bauteilen entstehen oft sogenannte Multifunktions-Bauteile. Der Vorteil dieser Bauteile liegt auf der Hand: eine Funktionsgruppe besteht nun statt aus fünf bis sechs Einzelteilen beispielsweise nur noch aus einem Teil, dadurch können Fügetoleranzen die Qualität nicht mehr negativ beeinflussen.

Gleichzeitig hat man im Hinblick auf die Faktoren Kosten und Zeit einen wichtigen fertigungsorganisatorischen Vorteil, da nun nicht mehr fünf bis sechs, sondern nur ein Teil zu einem bestimmten Montagetermin bereitzustellen ist.

Durch die in der Regel spanende Bearbeitung entstehen bei den Multifunktions-Bauteilen allerdings Grate und scharfe Kanten, die teilweise für konventionelle Entgratoperationen schwer oder gar nicht zugänglich sind. Zur Lösung dieser Aufgabe wird daher schon seit Jahren das elektrochemische Entgraten mit äußerer Stromquelle eingesetzt. Dieses hat jedoch wiederum den Nachteil, dass Kanten und Profile aufgrund der unvermeidbaren Streuelektrolyse unzuverlässig verformt werden.

Die Steinbeis-Transferzentren Verfahrensentwicklung, Technische Elektronik und Technische Chemie in Reutlingen haben ein Verfahren entwickelt, dass dieses Produktionsproblem löst. Die Experten an den Transferzentren verwendeten eine gepulste Gleichstromquelle in Verbindung mit einer passivierenden Elektrolytlösung, wie zum Beispiel Natriumnitrat. Dadurch bildet sich in der Pausenzeit zwischen den Stromimpulsen eine Passivierungsschicht auf dem anodisch geschalteten Werkstück: beim Wiederaufschalten des Stroms muss diese Passivierungsschicht aufgebrochen werden, es entsteht eine schärfere Abbildung, was letztlich zu einer gezielten Präzisionsbearbeitung führt.

Bei der Entwicklung dieses neuen Verfahrens waren extrem hohe Anforderungen an die Leistungselektronik gestellt, unter anderem Pulsspannungen von 5 bis 40 Volt, Pulsströme bis 5000 Ampère, Pulsfrequenzen bis 10 kHz, Negativ-Pulse zur Steuerung der Passivierungsauflösung oder auch Kurzschlusslöschungen innerhalb eines Leistungspulses.

Die Steinbeis-Mitarbeiter konnten weitere Verfahrensverbesserungen erzielen, indem sie Werkzeug-Kathode und Werkstück-Anode in eine Druckkammer mit einem gesteuerten Quell-Senk-Verlauf der Elektrolytströmung gaben. Dabei führte die Kathode eine Vorschubbewegung mit adaptiv geregeltem Elektrolytdruck unabhängig von der Spaltweite zwischen Werkzeug und Werkstück aus. Das Verfahren ist auch geeignet, komplizierte Raumformen, wie zum Beispiel Turbinenschaufeln zu entgraten oder die Kanten zu verrunden und so Kerbwirkungen weitestgehend zu vermeiden. Bearbeiten lassen sich alle elektrisch leitenden Werkstoffe, auch Hartmetall, Inconel und leitende Keramiken.

Kontakt

Prof. Karl Schekulin
Steinbeis-Transferzentrum Verfahrensentwicklung (Reutlingen)
su0076@stw.de

Dr.-Ing. Dirk Schekulin
Steinbeis-Transferzentrum Technische Elektronik (Reutlingen)

Dr. Ulrich Schekulin
Steinbeis-Transferzentrum Technische Chemie (Reutlingen)
su0348@stw.de

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