Kollektive Intelligenz - auf den Spuren der Weisheit der Vielen

Forschungsworkshop an der Steinbeis-Hochschule Berlin

Prognose- und Informationsmärkte, Schwarmintelligenz, die Weisheit der Vielen – ein Gespräch mit Managern über diese Phänomene aus dem Bereich der kollektiven Intelligenz führt im Jahr 2009 in aller Regel zu hochgezogenen Augenbrauen, erwartungsfrohen Blicken und der Frage, was man als Unternehmen gegenwärtig konkret damit erreichen könne. Dieser Frage zur kollektiven Intelligenz stellten sich im März Wissenschaftler, Unternehmer und Anwender in einem hochrangig besetzten Forschungsworkshop. Prof. Dr. habil. Andreas Aulinger und Max Pfeiffer hatten im Namen der SMI School of Management and Innovation der Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB) und des Ferdinand-Steinbeis-Instituts zum SMI Spring Workshop nach Stuttgart eingeladen.

Beide Wissenschaftler beschäftigen sich in mehreren Projekten intensiv mit den Möglichkeiten zur Förderung kollektiver Intelligenz und stießen dabei auf einige offene Fragen, die im Rahmen des Forschungsworkshops mit Experten aus Wissenschaft und Unternehmen diskutiert wurden. Ein Ausgangspunkt der Forschung zu kollektiver Intelligenz ist der britische Gelehrte Francis Galton. Beim Besuch eines Viehmarktes, der West of England Fat Stock and Poultry Exhibition, beobachtete Galton einen Wettbewerb, bei dem es darum ging, das richtige Gewicht eines stattlichen Bullen zu schätzen. Für eine Beteiligung von einem Sixpencestück konnte jeder Anwesende einen Zettel ausfüllen, auf dem er seine Schätzung abgab. Rund 800 Besucher des Viehmarktes versuchten ihr Glück. Galton wertete die abgegebenen Schätzungen aus und stellte fest, dass der Durchschnittswert aller Schätzungen um weniger als 1 Promille vom tatsächlichen Gewicht des Ochsen abwich. Während dieser nämlich mit 1198 (englischen) Pfund gewogen wurde, belief sich der Durchschnittswert aller Schätzungen auf 1197 Pfund.

In einem anderen Bereich kollektiver Intelligenz beobachten Forscher die beeindruckenden Fähigkeiten von Tierschwärmen. Ohne hierarchische Strukturen und bei begrenztem kognitiven Vermögen der einzelnen Tiere (wie z. B. Fische, Ameisen, Vögel) entstehen auf der Grundlage weniger, instinktiv befolgter Verhaltensregeln sehr intelligente Ergebnisse des ganzen Schwarms – daher stammt auch der weitläufige Begriff der Schwarmintelligenz. Er wird oft mit kollektiver Intelligenz gleichgesetzt.

In der Literatur werden diese beiden Phänomene jedoch deutlich abgegrenzt. So spricht Aulinger im Ochsenbeispiel von der kollektiven Intelligenz der vielen Unverbundenen, während es sich bei Schwarmintelligenz um die kollektive Intelligenz der vielen Verbundenen handelt. In der ersten Variante kommt kollektive Intelligenz dadurch zu Stande, dass viele Akteure möglichst unabhängig voneinander Prognosen oder Situationsbeschreibungen abgeben, aus denen ein Mittelwert gebildet wird. In der zweiten Variante entsteht kollektive Intelligenz dadurch, dass die Akteure mit unmittelbarem Bezug aufeinander und ganz wenigen, instinktiv befolgten Verhaltensregeln agieren. Der Workshop hat beide Varianten kollektiver Intelligenz im Blick gehabt und danach gefragt, was heute für Unternehmen anwendbar ist, aber auch, welche grundsätzlichen Merkmale kollektiver Intelligenz festzustellen sind.

14 Experten aus ganz Deutschland referierten im Rahmen des SMI-Workshops über ihre Anwendungs- und Forschungsgebiete der kollektiven Intelligenz. Professor Ulrich Krause von der Universität Bremen stellte ein Feldexperiment zur Schwarmintelligenz vor und schlug die Brücke zu mathematischen Berechnungen auf Basis der Mittelwertbildung. Stephan Stathel vom Forschungszentrum Informatik an der Universität Karlsruhe ging auf die Bedeutung der Innovationsbewertung mit Informationsmärkten ein.

Die Bedeutung von Informationsmärkten als ein Teil von Prognosemärkten erläuterte Max Pfeiffer, Leiter des Ferdinand-Steinbeis-Instituts und Promovend an der SHB. Informationsmärkte versuchen laut Pfeiffer spezifisches Wissen der Individuen mittels verschiedener Anreizstrukturen der Gemeinschaft, beispielsweise Abteilungen, Unternehmen oder der Öffentlichkeit, verfügbar zu machen und im Rahmen einer Prognosebildung zu einer aggregierten Meinung zu bündeln. Diese Prognosen können dann unternehmensintern zur Innovationsbewertung und letztlich auch zur Strategieunterstützung herangezogen werden. Christian Slamka von der Universität Frankfurt am Main stellte Ideenmärkte als weiteres Anwendungsfeld vor. SHB-Promovendin Laura Miller von der Rofin Sinar Laser GmbH präsentierte ihre Erfahrungen mit Verfahren kollektiver Intelligenz zur Erstellung von Marktprognosen in mittelständischen Unternehmen.

Doch nicht nur im Unternehmenskontext werden die Impulse vieler Einzelner genutzt, um zu intelligenten Prognosen zu gelangen. Dr. Oliver Märker von der Zebralog GmbH & Co. KG stellte das Projekt „Bürgerhaushalt“ der Stadt Köln vor. Hier wird mittels neuer Medien E-Partizipation als Mittel zur Bürgerbeteiligung genutzt, um kollektive Intelligenz zur zielgerichteten Ressourcenallokation zu nutzen.

Um im Workshop auch praktische Anwendungsbeispiele aufzuzeigen, waren drei Anbieter von Informationsmärkten eingeladen, über ihre Erfahrungen in diesem Bereich zu referieren. Dr. Bernd Ankenbrand, Geschäftsführer des knowledge lab der Universität Witten/Herdecke sowie der Gexid GmbH, berichtete, dass sich selbst in der Scientific Community in den USA – dem Nährboden und Inkubator von Instrumenten zur Aktivierung kollektiver Intelligenz – noch immer keine klare Modellbildung etabliert hat. Zwar zeigen mehrere Dutzend Praxisbeispiele, u. a. bei Google, Hewlett Packard oder Microsoft, dass Informationsmärkte über eine hohe Prognosegüte verfügen können, ein analytisches Modell konnte allerdings bislang noch nicht erstellt werden.

Auch Georg Preller und Caroline Rudzinski vom Management Zentrum Witten konnten anhand von Beispielen auf der Plattform von Analyx zeigen, dass auch im Einzelhandel Prognosemärkte bereits erfolgreich im Einsatz sind. Leicht zu verallgemeinernde Erfolgsfaktoren konnten – trotz aller nachweislichen Erfolge – bisher dennoch nicht identifiziert werden. Neben der Anwendung von Informationsmärkten zeigte Dr. Christoph Hartl, wie auch die Bundeswehr versucht, in komplexen Einsatzsituationen durch stärkere technologische und organisatorische Vernetzung schneller zu differenzierten Lageberichten zu kommen. Andreas Schäfer vom Fraunhofer IAIS konnte anhand verschiedener Beispiele zeigen, wie bereits heute Konsumenten mit ihrem Verhalten mittels Data Mining-Ansätzen unbewusst dazu beitragen, dass sie Teil kollektiver Intelligenz sind. So werden die anonymisierten Standortdaten von Mobilfunkgeräten mit Navigationssystemen verknüpft, um in Echtzeit Staus und Verkehrsstörungen abbilden zu können. Gerade in der Echtzeitprognose liegt ein Vorteil von Verfahren kollektiver Intelligenz. Mögliche Kostenvorteile sowie eine höhere Aktivierungswirkung der Probanden zeigen Zukunftspotenziale für diese Art der Informationsaggregation auf.

Im Rahmen des SMI Spring Workshops unterstützte das Unternehmen SwarmWorks Ltd. die Erarbeitung von Arbeitsergebnissen durch innovative Formate zur interaktiven, intelligenten Einbindung großer Gruppen mittels vernetzter Computerarbeitsplätze. Ein Brainstorming zu den zukünftig erwarteten Anwendungsfeldern kollektiver Intelligenz ergab sieben Kernbereiche:

  • Vorhersagen (Verkehrsmanagement, Wirtschafts- und Konjunkturprognosen)
  • Unternehmensinterne Anwendungen (Motivationsförderung, Change Management Prozesse, Personalauswahl)
  • Innovationsfindung und -bewertung
  • Gesellschaftliche Anwendungen (Haushaltsplanungen, Natural Resource Management)
  • Einholung von Feedback
  • Entscheidungsfindung („Echtzeit“-Meinungsbildung, Entscheidungsvorbereitung)
  • Allgemeines Informationsmanagement (Expertendefinierung, Vernetzung von Knowledge Management Systemen)

Die vollständigen Ergebnisse des SMI Spring Workshops zur kollektiven Intelligenz werden im Herbst 2009 in einem Fachtagungsband in der Steinbeis-Edition veröffentlicht. Die Herausgeber, Prof. Dr. habil. Andreas Aulinger und Max Pfeiffer, bieten damit eine aktuelle Standortbestimmung zur kollektiven Intelligenz an. 

Kontakt

Prof. Dr. habil. Andreas Aulinger
School of Management and Innovation (SMI) Steinbeis-Hochschule Berlin (Berlin/Stuttgart)
andreas.aulinger@stw.de

Max Pfeiffer
Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)
max.pfeiffer@stw.de

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