Werkstoffe als Schlüssel zu technischem Fortschritt

Die oft unsichtbaren Innovationstreiber

Es besteht heute breite Einigkeit darüber, dass zu den materiellen Grundbedürfnissen des Menschen nicht nur Nahrung und Energie, sondern in zunehmendem Maße auch Rohstoffe und insbesondere die daraus gewonnenen bzw. hergestellten Werkstoffe gehören. Werkstoffe ermöglichen erst, dass Ideen in technische Konstruktionen umgesetzt und bestimmte Funktionen realisiert werden. Wie Werkstoffe in vielen Fällen sogar erst den eigentlichen Schlüssel zur Entwicklung der Technik liefern, stellt Prof. Dr.-Ing. Norbert Jost, Leiter des Steinbeis- Transferzentrums Werkstoffentwicklung und -prüfung (WEP) an der Hochschule Pforzheim dar.

Für diese Entwicklungen gibt es zahlreiche Beispiele, von denen hier die folgende, ganz bewusst kurze und chronologisch-historische Auflistung nur einen kleinen Ausschnitt zeigen kann: aushärtbare Aluminium-Legierungen, Faserverbundwerkstoffe, Hartmetalle, Hochtemperaturpolymere, metallische Gläser, Legierungen mit Formgedächtnis, Glasfasern für die Informationsübertragung, mikrolegierte Feinkornbaustähle, ultrahochfeste Werkstoffe (auf Polymer-, Keramik- und Metallbasis), Werkstoffe mit Hochtemperatur-Supraleitung, Implantatwerkstoffe, Superleichtmetalle usw. Bei genauerer Betrachtung wurden und werden sogar zwei von drei aller technischen Innovationen von Werkstoffentwicklungen getragen. Hierzu zählen neben den von Grund auf neuen Werkstoffen selbstverständlich auch die Weiterentwicklungen oder Optimierungen bekannter Werkstoffe.

Auch wenn Werkstoffinnovationen in tatsächlich allen Technologiesektoren und Branchen gefragt sind, werden sie in der Öffentlichkeit oftmals leider nicht in dem Maße wahrgenommen, wie sie es verdient hätten. Allerdings hat neben vielen anderen Förderinstitutionen auch die Bundesregierung das Potenzial erkannt, setzt mit ihrer „High-Tech-Strategie“ wichtige Akzente und treibt auch dieses Thema ganz aktuell mit Hilfe von diversen so genannten Innovationsallianzen voran.

Ein sehr wichtiges Kennzeichen moderner Technik ist, dass immer geringere Mengen von Werkstoffen für bestimmte Aufgaben und Funktionen benötigt werden. Dies führt nicht nur zu kleineren, leichteren und trotzdem leistungsfähigen technischen Produkten, sondern auch zu einer immer mehr in den Fokus rückenden nachhaltigen Einsparung von Rohstoffen und Energie. Ohne Einschränkung und mit gutem Gewissen kann man daher auch hier von einem technischen Fortschritt sprechen, für den hauptsächlich neue oder verbesserte Werkstoffe und Fertigungsmethoden verantwortlich sind. Werkstoffe sind in vielfältigster Weise mit dem Grundbedürfnis Energie verknüpft: So erfordert ihre Herstellung Energie, zum Teil sogar sehr viel, wie im Falle von Aluminium, Magnesium und Titan. Die Verfügbarkeit von Werkstoffen für eine Technik, die unser Leben in Zukunft weiter möglichst gut unterstützen soll, ist daher eng an die Verfügbarkeit von Energie geknüpft. Dabei stellt sich die Habenseite der Beziehung Werkstoff – Energie durchaus sehr positiv dar, denn natürlich sind es auch hier wieder die Werkstoffe, die die Wirtschaftlichkeit der Erzeugung und des Transportes von Energie ganz wesentlich mit bestimmen. Auch das Thema Sicherheit von beispielsweise Maschinen, Flugzeugen, Fahrzeugen, Schiffen, Brücken und Gebäuden hat wesentlich mit den verwendeten Werkstoffen, und hier vor allem mit ihrer Qualität und ihrer Verarbeitung zu tun. Noch teilweise sehr entwicklungsfähig und -bedürftig sind die Grundlagen und Techniken zur Wiedergewinnung von Rohstoffen aus gebrauchten Werkstoffen. Besonders hervorzuheben sind dabei allerdings die Werkstoffe der neueren Generationen wie moderne Faserverbunde, Werkstoffe für Li-Ionen Stromspeicher und einiges mehr. So sind die bisher bekannten Konzepte zum werkstofflichen, aber auch rohstofflichen Recycling noch nicht ausreichend zufriedenstellend und nachhaltig gelöst.

Betrachtet man das Ganze aus fachwissenschaftlicher Sicht, ist anzumerken, dass sich seit etwa den 1960er-Jahren die Werkstoffwissenschaft und ihre Teilgebiete sehr rasant und dabei mit herausragender wissenschaftlicher Tiefe als eigenständige Fachgebiete entwickelt haben. In diesem Grundlagenfach für viele andere Ingenieurwissenschaften wird vor allem der Zusammenhang des mikroskopischen Aufbaus und der Eigenschaften der Werkstoffe behandelt. Insbesondere liefert die Werkstoffwissenschaft die allgemeingültigen Grundlagen für das sehr umfangreiche und ebenfalls in lebhafter Entwicklung befindliche Gebiet der Werkstofftechnik. Dort findet man neben der Entwicklung neuer Werkstoffe deren optimale Auswahl für einen bestimmten Zweck. Dabei schöpft die Werkstoffkunde aus zahlreichen anderen Teilgebieten der Naturwissenschaft (Physik, Chemie, Mechanik, Thermodynamik etc.). Um diese letztlich zu ihren „Hilfswissenschaften“ zu machen, musste sie ihre eigene Basis finden, die unzweifelhaft in der Mikrostruktur, also dem so genannten Gefüge der Werkstoffe liegt. Hier wird zunächst hinterfragt, wie etwa Atome oder Moleküle zusammenzufügen sind, so dass ein gewünschter fester Stoff daraus entsteht. Aufbauend darauf geht es dann darum, diese Mikrostrukturen in Bezug zu den Eigenschaften zu setzen, die in der jeweiligen Anwendung gefragt sind. Dabei ist es üblich geworden, zwischen Struktur- und Funktionswerkstoffen zu unterscheiden. Die einen dienen vor allem zum Aufbau von Konstruktionen, wobei es bei ihnen hauptsächlich auf mechanische Eigenschaften ankommt, die unter dem Begriff der Festigkeit gut zusammengefasst werden können. Sie sollen vor allem mechanisch belastbar sein und die Belastung möglichst sicher und für lange Zeit in diversen Umgebungen (Temperatur, korrosive Umgebung usw.) ertragen. Ganz andere Aufgaben haben die Funktionswerkstoffe. Hier stehen teilweise ganz unterschiedliche physikalische Eigenschaften (beispielsweise Datendichte für Speichermedien, Strahlungsfestigkeit, Formgedächtnis) im Vordergrund, die die eingesetzten Werkstoffe erfüllen müssen. Das Gebiet der Werkstoffe ist heute so gefestigt und etabliert, dass sich aus ihm bereits wieder eigene Fachgebiete, wie die Nanotechnik oder die Bruchmechanik, erfolgreich abgespalten haben.

Es versteht sich fast von selbst, dass die Werkstoffkunde letztlich nur dann vollständig durchdrungen werden kann, wenn auch die fachtheoretischen Grundlagen mit den entsprechenden Prüf- und Untersuchungsmethoden unterstützt und verifiziert werden können. Unter den zahlreichen physikalischen, chemischen und technologischen Prüfverfahren nehmen die optischen Untersuchungsmethoden der Licht- und Elektronenmikroskopie eine ganz zentrale Stellung ein: Letztlich ist nur mit ihnen eine systematische und umfassende Darstellung des bereits erwähnten Werkstoffgefüges möglich.

Gerade in Deutschland hat die Gewinnung bis hin zur Ver- und Bearbeitung der Werkstoffe zu Bauteilen und Maschinen eine lange und vor allem fachlich tiefgründige Tradition. Dabei gab es fraglos heftige wirtschaftliche Krisenzeiten, die gemeistert werden mussten. Aber insbesondere der Werkstoffkompetenz, sowohl in den Laboren und Instituten der unterschiedlichen Hochschulen, als auch in den vielen ausgewiesenen Entwicklungszentren der Industrie, hat dies nicht nachhaltig geschadet. Im Gegenteil, hat dies mancherorts sogar eher noch zu einer Konzentration und einem kräftigen Auftrieb des Fachgebietes geführt. Nicht ganz unbeteiligt sind hieran auch die zahlreichen werkstofforientiert arbeitenden Steinbeis-Zentren. Ihre Dienstleistungen werden von der Industrie zunehmend gefragt, sei es bei der Entwicklung neuer Werkstoffe und Werkstoffkonzepte bis hin zur Untersuchung und Bewertung von Schadensfällen, in denen falsch eingesetzte oder auch fehlerhaft hergestellte Werkstoffe beteiligt sind. Eines dieser Zentren ist das Steinbeis-Transferzentrum Werkstoffentwicklung und -prüfung. Angegliedert an die Hochschule Pforzheim hat es sich seit mittlerweile mehr als zehn Jahren als ein verlässlicher Partner der heimischen Industrie etabliert und so ein enges und dauerhaftes Netzwerk mit vielen Unternehmen geschaffen. Der Fokus und die Arbeitsgebiete des Transferzentrums können in die drei Hauptgruppen Werkstoffentwicklungen und -optimierungen; Validierung, Prüfung und Analyse von metallischen und polymeren Werkstoffen sowie als drittes die produktionsbegleitende Optimierung von werkstoffrelevanten Fertigungsprozessen zusammengefasst werden.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Norbert Jost leitet zusammen mit Prof. Dr.-Ing. Gerhard Frey das Steinbeis- Transferzentrum Werkstoffentwicklung und -prüfung (WEP) an der Hochschule Pforzheim. Das Zentrum ist neben werkstoffkundlichen Untersuchungen, Werkstoffprüfungen, -analysen und Werkstoffentwicklungen spezialisiert auf die Begutachtung von Schadensfällen.

Prof. Dr.-Ing. Norbert Jost
Steinbeis-Transferzentrum Werkstoffentwicklung und -prüfung (WEP) (Wiernsheim)
su0627@stw.de

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