Bioanalytik „to go“

Steinbeis entwickelt mobiles Messgerät zur Erfassung der Toxizität

Pestizide in Gemüse, Antibiotika in Fleisch, abgelaufene Ware – durch die häufigen Skandale in der Lebensmittelindustrie werden Verbraucher zunehmend kritischer. Am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der Technischen Universität München wird daher seit vielen Jahren an Test-Systemen geforscht, die eine sehr genaue Analyse der (Aus-)Wirkung von Medikamenten, Pestiziden in Lebensmitteln und anderer Umweltbelastungen ermöglichen. Als Ergebnis dieser Forschungsarbeiten haben die Experten am Steinbeis- Transferzentrum Zellchip-Technologien ein miniaturisiertes und tragbares Gerät für den Einsatz unter Praxisbedingungen entwickelt.

Grundlage der Forschungsarbeiten war die Beobachtung von Zellen: Anhand der Reaktionen eines speziell ausgewählten Zellorganismus auf bestimmte Stoffe kann auch auf potentielle Reaktionen anderer Organismen, wie die des menschlichen Organismus, geschlossen werden. Die Zellen integrieren ständig verschiedene Signale physikalischer und chemischer Natur aus ihrer Umwelt, um daraus ein angemessenes Verhalten zu „berechnen“. Dieses Verhalten manifestiert sich auch in der Entscheidung über Zellteilung oder Zelltod, im Aktivieren bestimmter Stoffwechselwege oder der Produktion und Freisetzung von Proteinen. Im Projekt wurden diese mikrophysiologischen Parameter sensitiver Zellkulturen im Kontakt mit Umweltgiften erfasst – auch außerhalb eines Labors. Die Erfassung erfolgte durch die sogenannte automatisierte Wirkstofftestung, bei der die Signale der Zellen über Sensorchips registriert und analysiert werden.

Mit dem Ziel, eine kompakte Methode für den Gebrauch außerhalb des Labors zu finden, wurde dieses Verfahren der Wirkstoffsuche an Zellen am Steinbeis-Transferzentrum Zellchip-Technologien in Form eines mobilen Messgerätes umgesetzt. Ein Chip wird in das Messgerät eingelegt und an ein Fluidiksystem angeschlossen, das die Zellen periodisch mit frischem Medium versorgt. Mittels der dafür speziell entwickelten bioelektronischen Mikrosensoren und der Auswahl einer geeigneten, organtypischen „Target“-Zellkultur kann die in-vitro Toxizität von Stoffen präzise erfasst werden. Das handliche Testgerät misst die Veränderung der metabolischen Aktivität der Zellen vor, während und nach Zugabe von Testsubstanzen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann aus dieser Toxizität die Wirkung auf den menschlichen Organismus ermittelt werden. Mit dieser Methode wurde in ersten Versuchen der Einfluss handelsüblicher Fungizide auf die Vitalität von Hefezellen untersucht. Das Verfahren hat sich bereits in der Praxis bewährt. Die analog aufbereiteten, digital verarbeiteten Daten werden unmittelbar an eine Internetdatenbank weitergeleitet. Nach der Messdatenanalyse erhält der Nutzer direkte Rückmeldung, beispielsweise zur toxikologischen Bewertung der Substanz.

Der in diesem „biohybriden System“ enthaltene Bio-Sensorchip wurde, analog zum Transistor, als cellristor® bezeichnet, da das biologische Signal der Zelle den Stromfluss des elektronischen Bauelements steuert. Der Sensorchip enthält die physikalischen Sensoren, mit denen die Signale des lebenden Organismus erfasst werden. Ein technisches Lebenserhaltungssystem sorgt für ein in-vivo ähnliches Mikromilieu für die untersuchten Zellen. Das Gerät besitzt als Systemplattform durch die Integration mechanischer, mikrofluidischer, mikrosensorischer und elektronischer Komponenten einen hochkomplexen Aufbau. Eine der großen Herausforderungen im Projekt war die Integration zu einem funktionalen Gesamtsystem, also die genaue Abstimmung der Systembauteile mit dem Ziel des Realzeit-Monitorings an dem außerordentlich sensitiven Zell-Objekt. Eine andere Problematik der Umweltanalytik betrifft die sachgerechte Extraktion der Inhaltsstoffe aus dem rohen Untersuchungsmaterial und deren Überführung in ein geeignetes Kulturmedium.

Das Biosensorsystem auf Basis lebender Zellen als Signalwandler kann eine Alternative zu bestehenden Messgeräten zur Umweltüberwachung bieten oder sie ergänzen. Durch die geringen Betriebskosten und das Einbeziehen des Mobilfunknetzes erreicht man eine Flexibilität, die eine Wirkungsanalytik von Umweltschadstoffen erlaubt. Durch die automatische Analyse und das Auswerten der Messdaten können Umweltverstöße oder das Auftreten besonderer Belastungen von Gewässern schnell erkannt werden. Der Einsatz von lebenden Organismen erlaubt eine sehr gezielte Reaktion auf jede Art von Toxin, das sonst nur durch aufwendige chemische Verfahren selektiv erfasst werden kann.

Kontakt

Prof. Dr. Bernhard Wolf
Steinbeis-Transferzentrum Zellchip-Technologien (München)

Karolin Herzog
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der TU München
herzog.ka@tum.de

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