„Wir befinden uns in einer Transformation des Energiesystems“

Im Gespräch mit Professor Gerd Heilscher, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Dezentrale Regenerative Energiesysteme

Professor Gerd Heilscher gibt im Gespräch mit der TRANSFER einen Überblick über die wesentlichen Entwicklungen auf dem Gebiet der regenerativen Energiesysteme und spricht über die Bedeutung von Smart Grids in der aktuellen Transformation des Energiesystems. Er spricht über nachhaltige Energieversorgung und wagt eine Prognose für unsere „Energiezukunft“.

Herr Professor Heilscher, Sie haben jahrzehntelange Erfahrung in der Planung und Analyse von regenerativen Energiesystemen. Was würden Sie rückblickend als die wesentlichen Umbrüche auf diesem Feld bezeichnen?

Der größte Erfolg ist sicherlich die Kostenreduzierung sowohl bei der Windenergienutzung als auch bei Photovoltaiksystemen. Dezentraler Solarstrom von dem Hausdach vor Ort ist in Deutschland und dem größten Teil der Europäischen Union heute günstiger als die Strompreise der Energieversorgungsunternehmen. Wesentliche Ursache dieser Entwicklung war die Verbreitung der Einspeisegesetze mit degressiven Einspeisevergütungen. Gleichzeitig haben Industrie und Dienstleistungsunternehmen hohe Qualität der regenerativen Energiesysteme sichergestellt, denn schlechte Qualität und Ausfälle haben sich in dem System der Einspeisevergütungen immer sofort auf die Wirtschaftlichkeit ausgewirkt.

2014 wurden Sie für Ihre Forschungsarbeiten „Intelligente Stromnetze für die Energiewende“ mit dem Wissenschaftspreis der Stadt Ulm ausgezeichnet. Was bedeuten diese Smart Grids für die Umwelt, aber auch für die Verbraucher?

Die Umstellung unserer Energieversorgung auf dezentrale regenerative Energiesysteme führt zu einer vollständigen Umwälzung der Versorgungsstruktur und der damit verbundenen Unternehmen und Geschäftsmodelle. Wir befinden uns eben nicht in einer „Energiewende“ sondern in einer „Transformation des Energiesystems“. Aus dem Energieabnehmer wurde mit der Liberalisierung der Energieversorgung ein Kunde. Mit der Energiewende wird aus dem Kunden gleichzeitig auch ein Lieferant. Diese Kombination wird heute als Prosumer bezeichnet. Alle bisherigen und die neuen Teilnehmer an der Energieversorgung müssen sich auf diese neue Struktur der Energieflüsse und die Auswirkungen auf den Energiemarkt erst einstellen.

Die Smart Grids sind in dieser Umwälzung ein wichtiger Baustein. Smart Grids bedeutet zuerst mehr Information über diese Energieflüsse in einer dezentralen Versorgungsstruktur. Gleichzeitig bilden diese Informationen die Grundlage für neue Dienstleistungen.

Nachhaltige Energieversorgung ist wichtig, trotzdem scheint sie – noch – nicht überzeugend zu funktionieren. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Aus meiner Sicht wird bereits sehr deutlich, dass nachhaltige Energieversorgung funktioniert. Gleichzeitig gibt es aber in dieser Transformation des Energiesystems Verlierer. Die etablierten Versorgungsunternehmen haben den Wandel erst sehr spät aufgegriffen und es ist noch nicht klar, wie diese Unternehmen den Umbau zu einer dezentralen Versorgung bewältigen.

Selbst dem Bundesumweltministerium ging der Wandel zu einer nachhaltigen Energieversorgung zu schnell. Mit der Strompreisbremse und der Steuer auf Solarstrom wurde eine Art Notbremse gezogen, um den Versorgungsunternehmen Luft für die Bewältigung des Wandels zu verschaffen.

Bereits sehr wenig Solarstrom in dem Energiemarkt hat das Geschäftsmodell von neuen Kraftwerken zerstört. Das war für die meisten Marktteilnehmer überraschend, ist aber heute für Studierende im fünften Semester einfach nachvollziehbar. Das Grün- und Weißbuch des Bundeswirtschaftsministeriums für eine Umgestaltung des Energiemarkts hat dazu den Diskussionsprozess eingeleitet.

Damit eine nachhaltige Energieversorgung auch im weiteren Ausbau funktioniert sind aber weitere Veränderungen notwendig. Auch Strompreisbremsen werden diese Entwicklung nicht aufhalten können. Die kritische Frage ist aber, wer die zukünftigen Akteure auf dem Energiemarkt sein werden. So wie Industrie 4.0 den Wettbewerb von Google und Co. mit den Industriebetrieben in Deutschland markiert, ist bereits auch ein Wettbewerb zwischen den IT-Newcomern und der konventionellen Energiewirtschaft im Gang.

Ihr Team im Steinbeis-Transferzentrum beschäftigt sich mit Energiewirtschaft und –management sowie mit Smart Grids und dezentralen Energiesystemen. Aus welchen Industriebereichen und mit welchen Problemen kommen aktuell Ihre Kunden zu Ihnen?

An dem Smart Grids-Thema wird zusammen mit der Hochschule Ulm gearbeitet. Das Smart Grids-Team ist vor allem auf Stadtwerke fokussiert und begleitet den Wandel von Netzbetreibern, Messdienstleistern und Energieanbietern. Wir nutzen dazu insbesondere den Ausblick auf konkrete Szenarien mit einem vollen Ausbau dezentraler Versorgung und untersuchen die Auswirkungen auf das Stromnetz und die Energieflüsse. Spannende Fragen sind aktuelle die Verknüpfung von Strom-, Wärme- und Gasnetzen, aber auch der Einsatz von Smart Metern und die direkte Kommunikation mit Wechselrichtern.

Was erwartet uns Ihrer Meinung nach mittelfristig in unserer „Energiezukunft“?

Ich bin noch mit einem grauen Telefon mit Wählscheibe aufgewachsen. Heute nutze ich ein Telefon, das kein Kabel mehr hat und bei dem das Telefonieren nur noch eine von vielen Funktionen darstellt. Eine Flatrate für die Energienutzung, die Flexibilisierung des Strom- und Wärmebedarfs in Anpassung an das Energieangebot, der Einzug von Speichern und viele neue Produkte und Dienstleistungen sind für mich die Bausteine dieser spannenden Energiezukunft, an deren Beginn wir gerade stehen.

Professor Gerd Heilscher ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Dezentrale Regenerative Energiesysteme an der Hochschule Ulm. Die Tätigkeitsschwerpunkte des Steinbeis-Unternehmens umfassen Photovoltaik, Energiewirtschaft und -datenmanagement, Smart Grid, Smart Meter und Smart Home, Netzintegration dezentraler Energiesysteme sowie Energiemeteorologie.

Professor Gerd Heilscher
Steinbeis-Transferzentrum Dezentrale Regenerative Energiesysteme (Ulm)
SU1513@stw.de

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