Virtuelle Fertigungslinien der Zukunft

Werkzeug für Forschung und Entwicklung, Lehre sowie Prozesssteuerung

Mit der Entwicklung und Verbreitung der Groß-, Mini- und schließlich der PC-Rechner nahm die Einführung der Digitalisierung in allen Gebieten der Gesellschaft ihren Lauf – das Rennen der Zukunft entgegen begann. In den Ingenieurwissenschaften leistete die Formulatranslation- Programmiersprache (FORTRAN) den Wissenschaftlern und Ingenieuren ab den frühen 1970er-Jahren wertvolle Dienste. Nach der Einführung der Pascal- und der C-Programmiersprachen in den 1980er-Jahren wurde der Rahmen geschaffen, um Multi Level Objekt Orientierte Aufgaben als Subroutinen behandeln zu können. Nun konnten erstmals auch General Purpose Programme entstehen, wie CAD-, MKS-, MATLAB®/Simulink- oder FEM-Plattformen. Sie boten mit der 2D-, später auch 3D-Visualisierung mächtige Tools, die ganz maßgeblich zu einem Anstieg der Qualität in den Ingenieurwissenschaften beitrugen. Die ersten Schritte zur Virtualisierung hin waren unternommen. Professor Dr.-Ing. Dr. h. c. Florin Ionescu, Steinbeis-Leiter in Konstanz, hat in den vergangenen Jahren die Entwicklung der Virtualisierung angewandt auf Fertigungslinien und deren Komponenten verfolgt und forciert.

Von der Virtualisierung profitiert haben vor allem der Anlagen- und Fahrzeugbau, die Luft- und Raumfahrt sowie die Schifffahrt- und Eisenbahnindustrie, deren Produkte nun auch in virtueller Form vorgestellt werden konnten. Als Pionier der virtuellen Anwendungen gilt aber die Automobilindustrie: Hier waren Entwicklungs- wie Qualitätssprünge möglich, Entwicklungszeiten und -kosten sanken enorm und gleichzeitig erhöhte sich der Funktionssicherheitsgrad nachhaltig.

Die Welt von morgen strebt in der Fertigungsautomatisierung eine komplette Virtualisierung der Fertigungslinien (Virtual Manufacturing Lines, VML) an, ist aber stets vom Stand der Entwicklung im Bereich der automatisierten Verarbeitung abhängig. Das EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ und das BMBF-Rahmenkonzept „Forschung für die Produktion von morgen“ stellen in zukunftsweisenden Ausschreibungen finanzielle Mittel für die Lösung von Aufgaben in diesem Sektor bereit. Experten erwarten von den VML der Zukunft als Schlüsselfaktoren des technologischen Fortschritts umfassende Auswirkungen auf die produkt- wie auch dienstleistungsorientierten Märkte. Einen wesentlichen Schritt in Richtung Zukunft sehen Spezialisten in der erwarteten industriellen Einführung der Doppel- oder Mehrprozessorentechnologien und der Germaniumprozessoren.

Die Virtualisierung bringt zweifellos zahlreiche Vorteile mit sich. Mit ihr entsteht eine neue Form der stets von Berechnungen begleiteten Design- und Entwicklungstätigkeit, die die Modellierung und Simulation der Antriebs-, Steuerungs- und Regelsysteme miteinbezieht. Entwicklung und Modellierung bestehen immer mehr aus der realitätsgetreuen Rekonstruktion von Werkzeugen und Werkzeugmaschinen, von spanenden Prozessen, Industrierobotern wie auch von Logistikanlagen (Magazine für Tools/Vorrichtungen, Teiletransport). Die Virtualisierung erlaubt darüber hinaus die Integration von Sensoren, einzeln wie auch in Netzwerken. Aktuell lässt die Integration über optische Fasern eine Geschwindigkeitserhöhung erwarten. Die Prozessbegleitung und Datensammlung zu einzelnen Arbeitszuständen macht Diagnosen und Vorhersagen möglich, auf deren Basis Kompensations- und Ersatzmaßnahmen geplant und online umgesetzt werden können. Durch die Virtualisierung ist die parallele Prozessmodellierung und Simulation ganzer VML möglich: Parameter für die Erreichung weiterer Optimierungen können hier festgelegt werden, insbesondere für die Malfunktion der sich drehenden und reibenden Teile, und Effekte der nichtlinearen Phänomene können frühzeitig erkannt und beseitigt werden. Forschung und Hochschullehre werden wesentlich bereichert, die allgemeine Aus- und Weiterbildung wird sehr anschaulich und instruktiv gemacht. Dies gelingt durch die Schaffung eines hoch genauen und phänomenologischen Darstellungsinhalts und -qualität, aber auch durch Maschinen-, Anlagen-, Energie-, Raum- und Materialeinsparungen. In vielen Fällen werden sie dadurch überhaupt erst möglich.

Das VML-Konzept hat sich über Jahre hinweg konkretisiert und wurde in Phasen umgesetzt. Die Komplexität der Themen setzte umfangreiche Kenntnisse in Physik, Mechanik, Mathematik, Ingenieurwissenschaften, 3D-Modellierung und Simulation, Steuerung und Regelung, Antriebstechnik sowie IT voraus. Auch die ständige Einbeziehung des aktuellen Entwicklungsstands der Hard- und Software-Komponenten war entscheidend. Im Mittelpunkt des VML-Konzepts stehen:

  • Das Multi Level-objektorientierte Konzept und dessen Modelle: Es besteht aus einer Zusammenstellung der Module, das niedrigste Level ist dabei den Schichteigenschaften gewidmet. Sie lassen sich sowohl bei MKS- als auch bei HYPAS-Plattformen in Körper oder Teilmodule zusammenfassen, darauf aufbauend in Ketten sowie Maschinen/Anlagen. Nach oben kann ein Modell offen bleiben, dies ist für potentielle Erweiterungen hilfreich.
  • Der Aufbau von Komponenten: Das Design und die Modellierung laufen spezifisch. Dadurch lassen sich Komponenten für Werkzeugmaschinen, Industrieroboter, Sensoren sowie Logistikanlagen unabhängig entwickeln.
  • Der Arbeitsplatz stellt die Grundstation einer VML dar: Er kann aus einer oder mehreren Werkzeugmaschinen mit deren spezifischer Umgebung zur spanenden Fertigung, aus einem oder mehreren Industrierobotern, Magazinen sowie Sensoren bestehen.
  • Die Modelle für Vorrichtungsmagazine, Industrieroboter und Logistikanlagen werden mittels einer MKS M/S-Plattform erstellt, die über CAD- und FEM-Programme verfügt.
  • Die Industrieroboter werden von Fall zu Fall auch über Videokameras beobachtet und ggf. angesteuert und geregelt.
  • Die Modellierung und Simulation der Antriebs- und Regelfunktionen und die Prozesssteuerung lassen sich über die Plattform HYPAS erstellen, die in die VML-Plattform integrierbar ist. Die Plattformen verfügen dazu über Integrationsalgorithmen (RKII, RKIV, PC, usw.).
  • Die Logistik verfügt über ein eigenes Antriebs- und Lagerregelungssystem und versorgt Arbeitsplätze mit Teilen, Werkzeugen und Vorrichtungen. Das System wird durch einen eigenen Prozessrechner angesteuert und geregelt.
  • Die Mobilroboter der Logistikanlagen sind Minianlagen und müssen gesondert behandelt werden. Ihre Steuerung und Regelung lässt sich lokal wie auch zentral realisieren. Somit stellen diese Roboter ein eigenständiges Teilgebiet der VML dar.

Im Rahmen der VML-Entwicklung liefen langjährige Projekte am Steinbeis- Transferzentrum Engineering & Project Consulting in Konstanz und am Steinbeis-Transfer-Institut Dynamic Systems der Steinbeis-Hochschule Berlin. Die Projekte behandelten Realisierungen von partiellen Modulen, setzten aber auch den konkreten Transfer der Ergebnisse in die Unternehmenspraxis um. In Zusammenarbeit mit der Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH in Emsbüren wurde auf dieser Basis eine unter Tage arbeitende Arbeitsmaschine entwickelt und realisiert, die für das Unternehmen einen Meilenstein in seiner Weiterentwicklung darstellte.

Kontakt

Professor Dr.-Ing., Dr. h. c. Florin Ionescu
Steinbeis-Transfer-Institut Dynamic Systems (Berlin/Konstanz)

Steinbeis-Transferzentrum Engineering & Project Consulting (Konstanz)

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